6805928-1972_07_05.jpg
Digital In Arbeit

Stein am Hals der SPÖ

19451960198020002020

Im Dezember 1970 wurde er zum Bürgermeister gewählt. Bei dieser Wahl vergaß sogar die FPÖ im Wiener Gemeinderat auf ihr traditionelles Nein zum Stadtoberhaupt und stimmte für Felix Slavik. Auch die Presse gab dem vitalen Endfünfziger uneingeschränkten Vertrauensvorschuß. Heute, rund 400 Tage später, ist Slavik wohl der unpopulärste Politiker in Österreich. Dabei hat er sich auf diesem kurzen Weg vom Glück ins Unglück gar nicht verändert.

19451960198020002020

Im Dezember 1970 wurde er zum Bürgermeister gewählt. Bei dieser Wahl vergaß sogar die FPÖ im Wiener Gemeinderat auf ihr traditionelles Nein zum Stadtoberhaupt und stimmte für Felix Slavik. Auch die Presse gab dem vitalen Endfünfziger uneingeschränkten Vertrauensvorschuß. Heute, rund 400 Tage später, ist Slavik wohl der unpopulärste Politiker in Österreich. Dabei hat er sich auf diesem kurzen Weg vom Glück ins Unglück gar nicht verändert.

Werbung
Werbung
Werbung

Slavik war schon unter Bürgermeister Jonas und erst recht unter dem sitzfesten „Übergangsbürgermeister“ Marek der eigentliche Ent-scheidunigsmittelpunkt in der Rathauspolitik. Im entscheidenden Augenblick seiner längst erwarteten Wahl verstand er dennoch den Eindruck zu erwecken, in Wien würde nun alles anders werden. Dennoch war im Grund er selbst für die versteinerten Strukturen der Wiener Kommunalpolitik verantwortlich, doch hofften viele, das neue Amt behagen der Wiener erkennen lassen.

Mißwirtschaft

„Furche“-Leser kennen Slavik. Sein Image hat er in den zwölf Jahren seiner Tätigkeit als Wiener Finanzstadtrat klar geprägt: Nach außen eher großzügig und weltmännisch, tief drinnen aber kleinbürgerlich und bieder. Als Mensch ein guter Kamerad, aber doch schwach. Die Diskussion über Slaviks „menschliche Schwächen“ — sprich Privatleben — wollen wir anderen überlassen, obwohl ihre Veröffentlichung nach seiner Wahl zum Stadtoberhaupt endgültig das Eis der Kritiklosigkeit brach. Selbst wenn das zum

Gesamtbild der Persönlichkeit eines Spitzenpolitikers gehören sollte, ist das für seine Politik nicht ausschlaggebend.

Hier geht es vielmehr um den Kommunal- und Finanzpolitiker und den Sozialisten Slavik, dessen Glück-losigkeit bisher nur durch die Macht der Mehrheit seiner Partei in Wien vertuscht werden konnte. Dessen zweifelhafte Maßnahmen zur Förderung seiner Wiener Partei teilweise auch gerne vertuscht wurden. Und dem nun mit zunehmenden Reprädie Übersicht zu entgleiten droht.

Es geht um hunderte Millionen Schilling Steuergeld, die direkt oder indirekt durch „gemischtwirtschaftliche“ Betätigung der Gemeinde in Bierbrauereien, Fleischwerken und größtenteils schauerliche Filmproduktionen verlorengingen. Es geht ferner um aufgelassene Schulen, die mit Millionenaufwand renoviert und dann sozialistischen Organisationen zur Verfügung gestellt wurden. Um SPÖ-Lokale in Gemeindebauten, die von der SPÖ wiederum an Pensionistenklubs der Gemeinde untervermietet werden. Und vor allem auch um zwielichtige Geschäftemacher, die aus Angst vor dem Skandal in falsch verstandener Parteidisziplin bis zuletzt mit Glacehandschuhen angefaßt werden.

Das alles aber hätte noch nicht ausgereicht, den Unmut der nicht „mithaftenden“ eigenen Genossen zu erregen. Diesen geht es um den politischen Ungeist in der stärksten Landesorganisation, die sich heute noch an der Vergangenheit orientiert und demokratisch verstockt ist. Um einen Slavik, der den Volkszorn über die mutwillige Sperre des Rathausplatzes damit aus der Welt zu schaffen glaubte, daß er sich in den Paragraphendschungel zurückzog und dort den Begriff des „Privateigentums“ der öffentlichen Hand ausgraben ließ. Um einen Bürgermeister, der anläßlich der letzten Tramwaytariferhöhung studentische Grundsatzkritik an der städtischen Verkehrspolitik mit dem Paradoxon zurückwies, er sei niemandem außer dem Gemeinderat verantwortlich. Letztlich also um eine Wiener SPÖ, die all das deckt.

Wer kann Slavik stürzen?

Kein Wunder, wenn jetzt behauptet wird, daß die letzte Titelgeschichte im Monatsmagazin „pro-fll“ über „Das tote Wien“ aus Kreisen des Bundeskanzleramtes lanciert wurde. Während nämlich Slavik als braver Parteigänger noch jetzt Kreisky als „alten Jugendfreund“ lobt, verlautet aus Kreiskys Umgebung schon längst, des Kanzlers Verhältnis zu Slavik sei „distanziert“ und Slavik mit seiner Wiener Partei sei ein Mühlstein am Hals der österreichischen Sozialdemokratie.

Dennoch könnte ein Versuch Kreiskys, Slavik aus dem Sattel zu heben, sich als völlig unrealistisch erweisen. Slavik hat sich in seiner Wiener Partei, im Rathaus, bei den österreichischen Sozialisten und auf internationaler' 'Ebene geradezu optimal abgesichert. In seiner Wiener Partei und im Rathaus durch ein seit mehr als zehn Jahren aufgebautes und perfektioniertes System der Abhängigkeit; in der Gesamtpartei als Repräsentant jener starken Gruppe, die im ehemaligen revolutionären Sozialisten Slavik, der 1934 durch über die Leitungen geworfene Kupferdrähte die Tramway lahmlegte, merkwürdigerweise noch heute den kämpferischen Sozialismus in den besseren Händen glaubt; auf internationaler Ebene aber durch seine Funktion als Präsident des internationalen Gemeindeverbandes IULA. Wer wagt es also, den Chef aller Bürgermeister, den Welstadtbürgermeister Slavik, zu stürzen? Daß Slavik infolge der Wiener Mehrheitsverhältnisse nur von seiner eigenen Partei gestürzt werden könnte, ist überdies klar. Und seine kleine Nasenoperation im Jänner (Polypen) reichte nicht einmal für einen kleinen Erholungsurlaub, von einer Ehrenrettung „aus Gesundheitsgründen“ gar nicht zu reden.

Es scheint also Kreisky doch nicht um die Person Slaviks zu gehen: Der Bundeskanzler hat auch bereits die Wiener SPÖ aufgefordert, sich hinter Slavik zu stellen. Einziger denkbarer Zweck dieser Provokation: Es soll offenbar das ganze Nest „politischer Hinterwäldler“ (so ein SPÖ-Bundespolitiker) ausgeräuchert werden, um auch die potentiellen bodenständigen Nachfolger zu ruinieren und einen „sozialdemokratischen Politkommissar“ aufzuzwingen. Man spricht von Handelsminister Staribacher.

Härtere ÖVP-Gangart

In dieser Situation ist nun eine Wendung eingetreten, die der sozialdemokratischen Führung der SPÖ den Spaß an der internen Wühlarbeit verleiden könnte. Bisher rechneten nämlich die imagebewußten SPÖ-Denker damit, daß die ganze Sache der SPÖ an sich nicht schaden könne. In Wien, so dachte man, gilt die ÖVP mit den Sozialisten als hoffnungslos „verbandelt“. Außerdem pflegen sozialistische Wähler normalerweise nicht gleich den Gegner zu wählen und gehen auch dann zur Wahl, wenn ihnen vieles nicht paßt. Slaviks bewußtgemachter Imageverlust sollte also dazu führen, daß SPÖ-intern reiner Tisch gemacht werden konnte. Den „Schwarzen Peter“ aber wollte man der ÖVP überlassen, weil man ihr vorwerfen würde, sie hätte gewissermaßen selbst dann noch mit Slavik aus' einem Trog gefressen, als sich sogar seine eigene Partei schon über ihn im klaren gewesen sei.

Zur gleichen Zeit aber dürfte es der Wiener ÖVP- zur Gewißheit geworden sein, daß sie in der verkorksten Wiener Kommunalpolitik nur dann eine Chance hat, wenn sie sich klar profiliert und von der sozialistischen Mehrheitspolitik distanziert. Eine aufgebrachte Wiener SPÖ mußte daher im Wiener Stadtsenat überrascht zur Kenntnis nehmen, daß man ohne reinen Tisch, ausreichende Information und saubere Weste von der ÖVP kein Vertrauen mehr erwarten dürfe. Der Wiener ÖVP-Ob-mann Dr. Bauer sprach es noch deutlicher aus, daß sich die Wiener ÖVP nicht in Slaviks Saft mitbraten lassen will: „Wir lassen uns nicht hineinziehen. Eine Zusammenarbeit um jeden Preis wird es in Wien nicht geben.“

Mit der „Knall-und-Fall-Konse-quenz“, einfach in die Opposition zu gehen, kann sich die Wiener ÖVP zwar nicht anfreunden. Laut Stadtverfassung, die wieder nur von der Mehrheit geändert werden könnte, hätte die ÖVP nämlich auch dann noch vier Stadträte. Diese würden zwar keine Ressorts leiten, doch wäre man dann vermutlich noch schlechter informiert. Dennoch scheint das Wort „Opposition“ in der Wiener ÖVP des Jahres 1972 keine Angst mehr auszulösen.

Die nächste Runde in diesem Ping-Pong hat inzwischen bereits begonnen. In der konkreten Affäre um den Ex-Hafendirektor Leutner wird zu klären sein, warum Slavik erst 1970 und 1971 die Anzeigen erstatten ließ, obwohl er schon 1968 von den Vorwürfen gegen Leutner amtlich informiert wurde.

Es wird weiter beim Innenminister zu klären sein, warum die Wirtschaftspolizei trotz Übergabe der Unterlagen nicht eingeschritten ist, und beim Justizminister, warum die Statsanwaltschaft damals eine Verfolgung unterließ, sich aber jetzt doch dazu veranlaßt sieht. Ob dabei die Vorbereitung der Minderheitsregierung auf die Nationalratswahl 1971 eine Rolle spielte?

Der Ball, scheinbar geschickt vom Ballhausplatz abgespielt, ist also wieder dort gelandet...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung