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„Stockkonservativ sind sie..

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Ist die Partei von Strachwitz u. Co. eine neue ÖVP?

Die ÖVP hat ihre Führungskrise überwunden — die ÖVP hat ihre programmatische Schwäche (im bundesdeutschen Jargon „Profilneurose" genannt) überwunden —, die ÖVP „löst Probleme besser“, betont jedenfalls im gegenwärtigen Wahlkampf den Vorrang der Lösung von Problemen vor einer Machtpolitik. Sie stellt dem neu-alten Programm der sozialistischen Minderheitsregierung 107 konkrete Vorschläge gegenüber und dem Ein-Mann-Team der Sozialisten ein Fünferteam, womit offenbar das autokratische Honoratiorenprinzip in der Partei eines Julius Raab verlassen werden soll. „Dieser Wahlkampf ist auch ein Lernprozeß", sagte unlängst in kleinem Kreis ein ÖVP-Politiker. „Unsere Funktionäre in Stadt und Land werden jetzt das veränderte

Bild der Partei zur Kenntnis nehmen müssen."

Aber dieses veränderte Bild der ÖVP hat schon gleich nach Beginn des Wahlkampfes einen scheußlichen Kratzer bekommen: durch die Aufstellung zweier deutschnationaler Kandidaten an sicherer Stelle nämlich. Und das weiß man schon heute auch in der Kärntnerstraße. Ein Wahlkampf ist auch ein Lernprozeß …

* Der „Kratzer’ ‘ bezieht sich hingegen keinesfalls auf Professor Ermacora, der zu Österreichs bedeutendsten Rechtsgelehrten zählt. Schade nur, daß er jetzt in so fatale Nachbarschaft gerückt ist (siehe das „Furche“-Gespräch mit Ermacora).

Die unabhängigen Partner Strachwitz und Fischer freilich werden aber nicht so heftig in die öffentlichkeit gerückt, wie dies auf Grund früherer Erfahrungen anzunehmen gewesen wäre. Die Regierung Kreisky mit ihrer einschlägigen Kopflastigkeit und die Aussicht auf eine rot-blaue Koalition hat jedenfalls das antifaschistische Herz der Genossen ruhiger schlagen lassen. Übrigens, man trägt wieder … Begegnen so einander Vorgestern und Morgen wieder?

Der Nationalratskandidat der ÖVP, Dr. Ernst Strachwitz, war in den letzten 20 Jahren „nur ein interessierter Zuschauer" der Politik in Österreich gewesen. Das ist zwar eine interessante Untertreibung, denn auch publizistische Tätigkeit zählt im allgemeinen; aber es entsprach in formaler Hinsicht genau der Wahrheit: Dr. Strachwitz organisierte vor mehr als 20 Jahren die damals aktuell gewesene"Heimkehrerhilfe — sein Pendant auf der „roten“ Seite war der heutige Innenminister Rösch —, und war dann Sprecher der „Jungen Frönt“, einer, wie Alexander Vodo- piv e c in seinem Buch „W e r regiert in Österreich?“ treffend schreibt, „rebellierenden Gruppe in der ÖVP" im Parlament. Die Rebellion mißlang, der „steirische Jurist, Gebirgsjägerhauptmann und Ritterkreuzträger Ernst Strachwitz“ (so Alexander Vodopivec) schied nach andauernden Konflikten mit Julius Raab (dazu Strachwitz heute recht versöhnlich: „Mein väterlicher Freund Raab“) aus dem Parlamentsklub der ÖVP aus und wurde bei den Nationalratswahlen 1953 nicht mehr wiedergewählt. Achtzehn Jahre sind seither vergangen. Aus den heimgekehrten Soldaten sind graumelierte Herren geworden. Achtzehn Geburtsjahrgänge haben seither das Wahlalter erreicht, ja mehr, denn auch das Wahlalter ist inzwischen herabgesetzt worden. Achtzehn Geburtsjahrgänge — Soldaten der Wehrmacht, Waffen-SS, Volkssturm — sind seither abgetreten.

Die ÖVP-Führung weiß, daß ihre Wählerschaft zu einem Großteil — Worte des Bundesparteiobmannes — aus „Arbeitern, Angestellten und Beamten“ besteht. Daß sie es weiß, sollen ja auch die 107 Programmpunkte zeigen. Es ist unbegreiflich, daß sie sich dennoch trotzdem durch älter gewordene Sprecher der einstigen „Jungen Front" die Schau stehlen läßt. Wen, welche wichtige Wählergruppe will die ÖVP-Führung also durch diese Sprecher ansprechen als- sen?

Auch der zweite Kandidat, der Bürgermeister von Gleisdorf, Ingenieur Rudolf Fischer, kommt von der „Jungen Front“. Er, Angehöriger der Kameradschaft ehemaliger SS-Offiziere, war aber inzwischen Landesfunktionär der FPÖ. Dort nichts ungewöhnliches. Aber erst am 6. September dieses Jahres ist er aus der FPÖ ausgetreten. Über die Reaktion seiner ehemaligen Parteifreunde kann er sich, nach den gefallenen Äußerungen, keine Illusionen machen. Trotzdem bot er eine „Vermittlerrolle" für den Fall an, daß zwischen ÖVP (der er nicht angehören will) und FPÖ (der er seit dem 6. September auch nicht mehr angehört) im Parlament Gespräche geführt werden sollten. Hat so endlich der ÖVP-Klub einen idealen „Vermittler“ …?

Aber viel peinlicher ist es, wie die „schwarzen Peter“ in der ÖVP ihre Inhaber wechseln. Bundesparteiobmann Schleimer behauptet, der Vorschlag der Nominierungen sei durch Freunde an ihn herangetragen worden, es pab „sehr viele besorgte Stimmen“ angesichts des sozialistischen Machtstrebens, und so habe es sich eben ergeben; die Kandidaten selbst hingegen legen Wert auf Darstellungen, die von dem abweichen: Es hätten Gespräche, viele Gespräche stattgefunden. Niemand will also den ersten Schritt getan haben. Wer also sind die Freunde Schleimers, die ihm Strachwitz und Fischer empfohlen haben, mit wem haben die beiden so viele Gespräche geführt?

Wie man erfahren kann, werden die „unabhängigen“ Kandidaten sogenannte Wählerkomitees nach dem Beispiel der Waldheim-Komitees gründen und diese auch über den Wahltag hinaus am Leben erhalten. Also eine Art „Vorfeldorganisation" der ÖVP? Das Wort „unabhängig" wird sich dabei also genauso „einschleifen" und seinen wahren Stellenwert bekommen, wie das jetzt so umstrittene Wort „Klubzwang", das ganz plötzlich für den offenbar unbefragten Klubchef Koren bedeutungsvoll geworden ist. Jedenfalls harte Jahre für den ersten ÖVP- Mann im Parlament.

Die schlimmste Wirkung der ganzen Episode trifft die Partei vorerst nur indirekt: Wegen des Alleinganges des Bundesparteiobmannes sind führende Funktionäre der ÖVP schwer verärgert. Sie fühlen sich düpiert, vor fertige Tatsachen gestellt. Und ein hoher ÖVP-Funktio- när aus Niederösterreich meinte unlängst sehr ärgerlich: Diese Herren wollen „konservative, liberale und nationale Kreise“ ansprechen, denn nur dann wird nach ihrer Meinung die ÖVP in der Lage sein, an der Zukunft mitzuwirken. Wer ist aber von ihnen liberal? Stockkonservativ sind sie — aber, was hat das mit Zukunft zu tun?

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