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Zu neuen Ufern

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Wer im Applaus von Versammlungsteilnehmern badet, kann allzu leicht die Übersicht über die Wirklichkeit verlieren. So dürfte es dem ÖVP-Bundesobmann Dr. Josef Taus im Wahlkampf ergangen sein. Wo immer er auftrat, spürte er begeisterte Zustimmung, Bezirks- und Landessekretäre berichteten ihm von Rekordbesuchen, da und dort hieß es auch, daß selbst parteiferne Kreise Gefallen an seinen politischen Äußerungen gefunden hätten. Daß das freilich nicht die totale und ungeschminkte Wirklichkeit war, machte das Wahlergebnis vom 5. Oktober 1975 klar. Es bereitete dem jungen ÖVP-Bundesobmann vor allem deshalb eine so große Enttäuschung, ifreil er an den vorliegenden Meinungsumfragen vorbei mit einer angenehmen Sensation gerechnet hatte; mit einer Sensation, die ihn als hervorragenden Verhandlungspartner in den Koalitionsgesprächen hätte ausweisen sollen.

Schon kurze Zeit später hatte Josef Taus die Enttäuschung überwunden, und der Volkspartei die Notwendigkeit der permanenten Diskussion und der permanenten Reform gepredigt. Nicht vom „Trockendock“ war die Rede, sondern von neuen Ufern. Vom Engagement in Fragen, die sich außerhalb der unmittelbaren Volkspartei-Interessen anbieten: Kultur, Recht, Außenpolitik. Vor allem aber machte Josef Taus klar, daß es in den nächsten Jahren vorrangig darum gehen werde, die ideologische Basis der Volkspartei zu festigen. Natürlich sollen auch organisatorische Fragen nicht zu kurz kommen. VP-General-sekretär Dr. Erhard Busek kündigte in diesem Zusammenhang Überprüfungen und Korrekturen an Ort und Stelle an, also dort, wo die ÖVP am 5. Oktober besonders schwere Einbußen hinnehmen mußte. Schließlich •aber soll auch die Parteizentrale in der Kärntnerstraße organisatorisch und inhaltlich neu ausgerichtet werden. Das von Dr. Karl Schleinzer eingeführte Ministerialsystem samt vielen Abteilungen, die oft aneinander vorbei Konzepte und Aussagen produzierten, soll zugunsten einer Zweiteilung aufgegeben werden. Die Abteilung A soll Ideen, Konzepte und Programme produzieren, die Abteilung B dann dafür das Marketing besorgen. Auf dem Papier sieht diese Planungsabsicht gut und vernünftig aus, das Schwierige ist nur, sie auch erfolgsorientiert zu realisieren. Im personellen Bereich will die Führungsspitze keine unüberlegten Schnellschüsse abfeuern. Sicherlich hat die zentrale Werbung der Volks_-partei nicht nur bei den letzten Nationalratswahlen unglücklich operiert. Das nach einer verlorenen Wahl festzustellen, mag billig wirken, ist es aber dann nicht, wenn man bedenkt, daß Werbestrategien in der ÖVP-Zentrale meist nur intuitiv, also ohne seriöse Unterlagen über die Bewußtseins- und Erwartungslage der Wähler vorgenommen werden. Es ist nun einmal so, daß auf der politischen Ebene eine Partei, die an das Furchtmotiv appelliert, mit einer instinktiven Abwehr der von ihr ausgesprochenen Warnungen zu rechnen hat. Da sich der Wähler in der Regel das Grauen nicht allzu präzis ausmalen möchte, stellt sich bei ihm so etwas wie ein Gefühl der Dankbarkeit ein, wenn ihm Sprecher der Gegenpartei versichern, daß zu so unschönen Vorstellungen wegen des von ihr virtuos gehandhabten wirtschaftspolitischen Managements ohnedies keine ernsthaften Gründe bestehen. Die Volkspartei malte im letzten Wählkampf das Krisengespenst an die Wand und erreichte dadurch, daß sie sich im Vorstellungsgefüge der Wähler zwangsläufig mit den Sachverhalten assoziierte, vor denen sie warnte. Am Ende des letzten Wahlkampfs war der Wähler wahrscheinlich bereit, jeder Kritik der Volkspartei an der Wirtschaftspolitik der. Bundesregierung zuzustimmen, nur: man hatte ihm keinen Ausweg aufgezeigt. Alles geriet so düster, daß letztlich.die positiven Aussagen völlig untergingen.

Wie die Parteizenträle mit ihrer Werbung längerfristig und . wählerbezogen operieren wird müssen, so sollte sich das Führungsduo auch die Frage stellen, ob nicht schon seit einigen Jahren zu wenige Gründe dafür, daß man die ÖVP wählen sollte, genannt wurden. Nach der „Ro-ten-Katze“-Tour scheint auch das Wirtschaftskrisen-Argument gestorben zu sein. Das aber waren 'seit Kriegsende und bis zuletzt die zentralen Aussagen zwischen und in den Wahlkämpfen. Hier wird man zu anderen, vor allem aber weniger negativ angereicherten Aussagen kommen müssen.

Diese Forderung verlangt freilich auch eine stärkere weltanschauliche Fundierung der Volkspartei. Warum sollte die ÖVP auch wirklich nicht die Probleme der Freiheit in der Ger sellsciiaft einmal ohne Scheuklappen angehen können? Das allein schon gibt einen breiten. Raum für Grundsatzdiskussionen, die auch oder vor allem typische Kreisky-Wähler interessieren sollten.

Vom bundesdeutschen Soziologen Erwin K. Scheuch stammt das Wort, daß sozialistische Diskussion in Westeuropa im wesentlichen nur Beschreibung von meist '.inzutreffend anstößigen Sachverhalten und die Formulierung von Wunschvorstellungen sei. Nur unbedarfte Zeitgenossen können darin Marxismus erkennen, in Wirklichkeit handelt es sich dabei um die Fortsetzung dessen, was der Marxismus einmal tadelnd den „utopischen Sozialismus“ nannte.

Auch darüber sollte eihe Diskussion zur Klärung der Standpunkte helfen. Der österreichische Sozialismus analysiert nicht mehr vor allem die dynamischen Kräfte der Entwicklung, sondern unterstellt die Dynamik als gegeben und untersucht allein ihre Schäden. Diese Schäden sol-

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