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Bürgerliches Trauerspiel

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Mit den Beschlüssen des Parteivorstandes vom vergangenen Sonntag und der Parteileitung vom Mittwoch dieser Woche hat die ÖVP die Weichen in eine ungewisse Zukunft gestellt. Sie wurde dazu von ihrem noch im Amt befindlichen Parteiobmann Josef Taus gezwungen, der damit gleichzeitig eines bewirkt hat: Die schonungslose Offenlegung der Situation, in der sich die große Oppositionspartei derzeit befindet.

Alois Mock mußte als Taus-Nachfolger einem Zeitplan zustimmen, der eine breite Reformdiskussion zwischen dem außerordentlichen Parteitag am 7. Juli und den endgültigen Reformbeschlüssen eines ordentlichen Parteitages voraussichtlich im März kommenden Jahres vorsieht.

Es ist ein begrüßenswertes Vorhaben, die programmierte Reformdiskussion nicht auf organisatorische Fragen, sondern sogar in erster Linie auf die Grundsätze der ÖVP-Politik erstrecken zu wollen. Allerdings ist bekanntlich schon Josef Taus mit dem Versuch einer Ideologiediskussion gescheitert, und zwar erwiesenermaßen nicht nur beim politischen Gegner!

Sicher ist es nicht so, daß die ÖVP auf einmal keine Ideologie mehr hätte; sie scheint nur selbst nicht zu glauben, daß ihre Grundorientierung noch „mehrheitsfähig“ ist, weshalb sie sich immer häufiger in Widersprüche verstrickt.

Zweifellos ist das nicht ihr alleiniges Verschulden. Ein deutscher Politologe hat jüngst sehr vereinfachend, aber doch treffend bemerkt, daß in der nachindustriellen Gesellschaft unserer Zeit zwei Wertsysteme einander konkurrieren: Das eine stammt gewissermaßen aus der Sicht der Produktion und umfaßt die herkömmlichen Tugenden von Leistung, Sparsamkeit, Ein- und Unterordnung, Opferbereitschaft usw.; das andere wurzelt in der Einstellung des

Konsums und hat mehr Freiheit und Freizeit, persönliche Annehmlichkeit, Kollektivierung von Verantwortung und ähnliches als Grundtendenz.

Dazu kommt bei der ÖVP im besonderen noch die ganz primitive Frage, was eigentlich ein Arbeiter, Bauer, Unternehmer, ein Intellektueller und ein Manager noch gemeinsam haben, wenn nicht Restbestände eines christlichen Menschenbildes und Angst vor kollektivistischer Nivellierung. Das Rest-Christentum wird aber durch die fortschreitende Entchristlichung unseres öffentlichen Lebens ein immer dünneres Bindemittel, und die „rote Katze“ scheint durch den weitgehend verbürgerlichten Kreisky-Sozialismus ihres Schreckens beraubt.

Eine Folge wirkung dieser geringen Integrationskraft ist sicher auch die mangelnde Solidarität führender ÖVP-Politiker und die zunehmende Sprengkraft, die von den Bünden gerade bei wichtigen politischen Entscheidungen gegenüber der Gesamtpartei entfaltet wurde. Man erinnere sich nur an die „parteischädigenden“ Äußerungen eines geschäftsführenden Bundesobmannes über Josef Taus und die Grenzmoral eines anderen, der zu Mocks Loyalität gegenüber Taus bemerkte, sie habe „sich schon oft jenseits politischer Klugheit bewegt“.

Auf viele Staatsbürger wirkt daher die ÖVP geradezu als Karikatur einer „christdemokratischen“ Partei, so daß nicht nur die mangelnde Anziehungskraft auf Randschichten, sondern sogar schon ein Abbröcke-lungsprozeß unter ehemaligen Kernschichten zu befürchten ist

Man darf freilich nicht übersehen, daß die Vorschläge von Josef Taus vor allem auch den Zusammenhang zwischen Einfluß und Verantwortlichkeit wieder stärker in den Vordergrund rücken wollten. Mit Ausnahme der überragenden Persönlichkeit des ehemaligen Parteiobmannes Julius Raab waren nämlich alle Parteichefs der ÖVP mehr oder minder von Länderfürsten und Bündeobmännern abhängig, wurden aber stets allein für Rückschläge und Niederlagen haftbar gemacht. Es ist ein für die ÖVP ganz spezifisches Charakteristikum, daß dort „zweitrangige“ Politiker - auf viele von ihnen trifft das Wort in mehrfacher Bedeutung zu - das eigentliche Sagen haben.

Für die Uberlebensfähigkeit dieser wenig attraktiven Garnitur ist bezeichnend, daß man die Josef Taus bereits gemachte Konzession, auch die Stellvertreter des Bundespartei-obmannes vom Parteitag wählen zu lassen, wieder rückgängig machen wollte, damit die Bündeobmänner automatisch diese Funktion erhalten; wobei geheime Abstimmungen, wie etwa die letzte im Parlamentsklub, den Betroffenen ohnedies Aufschluß über ihren Stellenwert geben müßten...

Der „Zwang zum Erfolg“ - der bisher brutal auf alle Obmänner der ÖVP angewandte einzige Maßstab -verlagert sich nun also auf Alois Mock. Schon allein deswegen verdient er alle Sympathie.

Mock hat bereits einmal einen prinzipientreuen ÖVP-Politiker ablösen müssen: Das war, als die Partei ihren Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevi6 in der Frage des neunten Schuljahres zu desavouieren drohte, worauf dieser zurücktrat; Alois Mock wurde sein Nachfolger und zugleich der bisher letzte Unterrichtsminister der ÖVP!

Im Interesse des demokratischen Systems unseres Landes bleibt zu hoffen, daß er jetzt nicht auch der letzte Obmann der ÖVP als Großpartei sein wird. Denn der Ruf nach einer „anderen Volkspartei“ ist schon weit verbreitet; und zwar nicht nur unter enttäuschten Rechten. Der im Ausmaß unerwartete Wahlsieg der SPÖ hat schon da und dort die Meinung bestärkt, sie sei eigentlich die „bessere Volkspartei“.

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