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„Zahl der Armen hat sich erhöht“

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Sollte er Bundeskanzler werden, würde er vorrangig den unverschuldet in Not und Elend Geratenen helfen: den Ausgleichszulagenbeziehern, den Behinderten und den Kinderreichen. Für zusätzliche große Umverteilungsprozesse werde es in den nächsten Jahren keinen Platz geben, „aber zu Korrekturen von Ungerechtigkeiten muß es immer Möglichkeiten geben“. Dies erklärte ÖVP-Chef Josef Taus in einem FURCHE-Gespräch mit Alfred Grinschgl.

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Sollte er Bundeskanzler werden, würde er vorrangig den unverschuldet in Not und Elend Geratenen helfen: den Ausgleichszulagenbeziehern, den Behinderten und den Kinderreichen. Für zusätzliche große Umverteilungsprozesse werde es in den nächsten Jahren keinen Platz geben, „aber zu Korrekturen von Ungerechtigkeiten muß es immer Möglichkeiten geben“. Dies erklärte ÖVP-Chef Josef Taus in einem FURCHE-Gespräch mit Alfred Grinschgl.

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FURCHE: Oswald von Neil Breuning hat zur Jahreswende in Wien gesagt: „Den folgenschwersten Kniefall vor Karl Marx haben die christlichen Kirchen damit getan, daß sie ihre durch Jahrhunderte treu bewahrte kritische Haltung gegenüber dem Reichtum hintangesetzt haben.“ Jene Parteien, die sich auf die katholische Soziallehre berufen, haben diesen Kniefall doch mitvollzogen?

TAUS: Ich wüßte nicht, wo die Volkspartei einen Kniefall vor dem Reichtum gemacht hat. Was die Volkspartei aber immer angestrebt hat und auch weiter anstreben wird, ist eine kontinuierliche Wohlstandsmehrung aller Schichten der Bevölkerung. Nach allem, was wir heute über Wirtschaft und Wirtschaftsordnung wissen, scheint uns diese Politik am besten im Modell der Sozialen Marktwirtschaft gewährleistet. Mit dem „Eigentumswohnungsgedanken“, der Sparförderung, dem Familienlastenausgleich ist dieser Weg von der Volkspartei schon seit Jahrzehnten beschritten worden.

Im neuen Konzept der ÖVP zur „Einkommenssicherung“ heißt es daher: „Für die ÖVP, die das Privateigentum an Produktionsmitteln als Element einer marktwirtschaftlichdemokratischen Gesellschaftsordnung ansieht, ist es ein politisches Ziel, möglichst viele Menschen in ein direktes Naheverhältnis zum Privateigentum am Produktivkapital zu bringen. Nicht nur die Unternehmer, sondern alle müssen davon überzeugt sein, daß dieser Eigentumsform der Vorzug vor allen anderen zu geben ist und daß die Nutznießer einer gleichgültigen Einstellung gegenüber dem Privateigentum nur anonyme Machtapparate sein können.“

Viele Eigentümer auf dem Markt sind Garanten für Wettbewerb, Fortschritt und Innovation, viele Eigentümer in der Demokratie sorgen durch die Möglichkeit der Teilnahme am politischen Willensbildungsprozeß, für politische Kontrolle. Eigentum ist ein Mittel der Gewaltentrennung zwischen Wirtschaft und Politik.

FURCHE: Papst Johannes Paul II. hat in Mexiko an die von Paul VI. formulierte Lehre erinnert, wonach auf jedem Privateigentum „eine soziale Hypothek“ laste. Lassen Sie diese Lehre auch für unseren Raum gelten und was laßt sich daraus für die konkrete Politik ableiten?

TAUS: Sicher gilt das auch für entwickelte Industriestaaten und damit auch für Österreich. Die soziale Gebundenheit des Eigentums war immer ein Kernstück der christlichen Soziallehre. Für mich ist die Streuung des Eigentums die beste Möglichkeit, der sozialen Hypothek gerecht zu werden. Konzentration von Eigentum hingegen birgt ein größeres Risiko von Mißbrauch in sich.

FURCHE: Als die Regierung Kreisky 1970 angetreten ist, hat sie den „Kampf der Armut“ auf ihre Fahnen geschrieben. Gibt es in Österreich nach neun Jahren Kreisky noch Armut?

TAUS: Es gibt sicher noch Armut in Österreich. Zwar hat die sozialistische Regierung bei ihrem Antreten laut einen Kampf gegen die Armut verkündet, zwar hat sie ihn als eine ihrer wichtigsten Aufgaben bezeichnet - doch hat sie diesen Kampf nicht mit dem nötigen Nachdruck geführt. Entgegen all ihren Beteuerungen ist dieser Kampf noch lange nicht gewonnen. Auch nach neun Jahren Regierung Kreisky hat sich die Zahl der Armen nicht verringert, eher erhöht.

Nach der Lohnstufenstatistik der

österreichischen Sozialversicherung

hat die Zahl der Arbeitnehmer unter der Armutsgrenze zugenommen und ist auf etwa 300.000 angestigen. Dazu kommen noch 68.000 Selbständige und 240.000 Pensionisten, die einen kargen Lebensunterhalt fristen müssen. Ganz abgesehen von den etwa 100.000 in land- und forstwirtschaftlichen Berufen Tätigen, den 80.000 Bauern, die eine Ausgleichszulage, den 26.000 Bauern, die einen Hilflo-senzuschuß bekommen und den etwa 100.000 bäuerlichen Zuschußrentnern.

FURCHE: Welche Bevölkerungskreise sind Ihrer Meinung nach unverschuldet in Not und Elend geraten? Und welchen von diesen Betroffenen wurde ein Bundeskanzler Josef Taus vorrangig helfen?

TAUS: Für mich sind es vor allem d#ei Gruppen, denen vorrangig geholfen werden muß: die Ausgleichs-

zulagenbezieher, die Behinderten und die Kinderreichen.

FURCHE: Man spricht von den Grenzen des Sozialstaates. In der Bundesrepublik Deutschland wurde für einige Zeit die dynamische Rente ausgesetzt. Heißt das, daß die Zeit der materiellen Hilfen für die Benachteiligten vorbei ist?

TAUS: Jeder Umverteilungsprozeß hat Grenzen. Sie hegen dort, wo die Arbeitsfreude der Aktiven wegen zu hoher Belastungen sinkt und dadurch Wachstumsschwierigkeiten auftreten oder gar die Wirtschaft zu schrumpfen beginnt. Große zusätzliche Umverteilungsprozesse sind meines Erachtens in Österreich in den nächsten Jahren nicht möglich, aber zu Korrekturen von Ungerechtigkeiten muß es immer Möglichkeiten geben.

FURCHE: Wäre es für Sie denkbar, daß man die Arbeitszeit nicht generell reduziert: Also etwa den Angestellten weiterhin 40 Stunden an seinem Schreibtisch arbeiten läßt, den Hochofenarbeiter jedoch schon nach 35 Arbeitsstunden ins Wochenende entäßt? Der gesundheitliche und körperliche Verschleißprozeß ist ja je nach Arbeitsplatz ein unterschiedlicher?

TAUS: Solche Überlegungen sind sicher denkbar, nur sind sie sehr sorgfältig anzustellen und dürfen

kein tagespolitischer Wahlgag sein. Für Österreich ist die Sicherung seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit eine Existenzvoraussetzung.

FURCHE: Stichwort „Pensionistentod“: Manche Pensionisten sterben durch Nichtstun. Ich meine die Gruppe derer, die arbeiten wollen, aber nicht arbeiten dürfen.

TAUS: Die Volkspartei hat 16 Alternativkonzepte für wichtige Fragen der Politik erarbeitet. In unserem Konzept für die älteren Menschen haben wir uns gerade mit dieser Frage sehr eingehend beschäftigt. Sie haben recht, Ärzte und Psychologen warnen immer dringender vor dem Pensionsschock. Umfangreiche Untersuchungen beweisen, daß der Ruhestand der Vorbereitung bedarf.

Die Volkspartei schlägt hier konkret vor: Den arbeitenden Menschen sollen rechtzeitig ausführliche Informationen über den besten Zeitpunkt und die Form des Übertritts in den Ruhestand angeboten werden. Ein schrittweiser Ubergang muß ermöglichst werden; durch etappenweise Verkürzung der Arbeitszeit; schließlich könnten die Pensionisten ihr Wissen und ihre Erfahrungen den nachgerückten Arbeitskräften zukommen lassen.

FURCHE: Mit dem Wohnungseigentum hat die ÖVP vor vielen Jah-

ren sozialpolitisches Neuland betreten: Worin könnte dieses „Neuland“ in den achtziger Jahren bestehen?

TAUS: Dieses Neuland sehe ich vor allem in der Vermögensbildung. Die Vermögensbildung ist für mich ein wirksames Instrument zur grundlegenden Bekämpfung der Armut.

FURCHE: In der Einführung der 40-Stunden-Woche, bei der Urlaubsverlängerung und zuletzt in der Frage der Arbeiterabfertigung ist die ÖVP doch etwas auf der Strecke geblieben. Sie war im Prinzip immer für diese Anliegen, hatte sich aber offenbar jedesmal zu wenig dafür eingesetzt. Woran liegt das?

TAUS: Einer Partei, wie der Volkspartei, auf deren Initiativen hin unter anderem die dynamische Pension, der Familienlastenausgleich, das Wohnungseigentum oder die Sparförderung geschaffen wurden, kann man sicher nicht vorwerfen, daß sie im Bereich der Sozialpolitik auf der Strecke bleibt.

Auch bei der Arbeiterabfertigung ist die Volkspartei, wie sich das seit Jahren in den Programmen nachweisen läßt, initiativ gewesen und dafür eingetreten. Aber für etwas eintreten heißt immer, daß man die Konsequenzen sehen muß: Die klein- und mittelbetriebliche Stuktur der österreichischen Wirtschaft, in der immerhin der Großteil der Beschäftigten sichere Arbeitsplätze hat, darf dabei nicht überfordert werden.

Daher haben wir - an sich eine Selbstverständlichkeit - die Forderung aufgestellt, daß es den mehr als 200.000 Unternehmungen ermöglicht werden soll, für die Arbeiterabfertigung anzusparen. Wir haben ferner Wege für eine Uberbrückungslösung der Ansparzeit aufgezeigt.

Es ist immer leicht, aber verantwortungslos, nur etwas zu fordern und die Konsequenzen dabei nicht zu bedenken. Auch eine noch so berechtigte Forderung - wie die Arbeiterabfertigung - bedingt, daß die Konsequenzen bedacht und berücksichtigt werden müssen. Die Sicherung der Arbeitsplätze ist für die Volkspartei eine moralische Frage. Mit den von uns vorgeschlagenen flankierenden Maßnahmen würden bei der Einführung der Arbeiterabfertigung die Arbeitsplätze auch in den kleinen und mittleren Betrieben sicher bleiben.

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