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Ein Recht auf den Offenbarungseid

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Seit Josef Taus die Ideologiediskussion ausgelöst hat, kann '>nan die unterschiedlichsten Meinungen darüber hören, ob es denn überhaupt zweckmäßig sei, gerade im jetzigen Zeitpunkt eine solche Diskussion vom Zaun zu brechen, zumal doch das allgemeine Interesse hiefür keineswegs besonders ausgeprägt ist.

Ich halte eine Ideologiediskussion nicht nur für sehr zweckmäßig, sondern sogar für ausgesprochen notwendig und dringend geboten. Wenn — was ich im übrigen gar nicht bestreiten möchte — die Bevölkerung derzeit kein besonderes Interesse an einer Ideologiediskussion bekunden sollte, dann zeigt dies um so deutlicher auf, daß hier offensichtlich schwere Versäumnisse vorliegen. Diese Versäumnisse bestehen eben darin, daß es die politischen Parteien bislang entweder ganz bewußt oder doch zumindest fahrlässigerweise verabsäumt haben, den Bürger über ihr Wollen und ihre Absichten, über das von ihnen angestrebte Ziel und vor allem auch über den Weg, der zu diesem Ziel führen soll, vorbehaltlos und wahrheitsgemäß aufzuklären.

Als politischer Pragmatiker mit langjähriger Erfahrung verstehe ich unter Ideologiediskussion die Auseinandersetzung, und als deren Ergebnis eine Aussage darüber, wie Staat und Gesellschaft nach den Vorstellungen der einzelnen politischen Parteien beschaffen sein sollen. Genau das und nichts anderes will Taus erreichen, wenn er die Sozialistische Partei Österreichs auffordert, sie möge das Ziel ihrer Politik und die Wege, die zu diesem Ziel führen sollen, ganz offen und ehrlich darlegen. Er sah sich zu dieser Frage um so mehr veranlaßt, als die SPÖ sich bisher beharrlich geweigert hat, in dieser Frage Farbe zu bekennen und klare Aussagen zu machen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an eine Debatte erinnern, die am 7. Dezember 1971 im Nationalrat anläßlich der Beratung über das

Budget 1972 stattfand. In meiner damaligen Rede befaßte ich mich mit den gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der sozialistischen Regierung, wobei ich darauf hinwies, daß Bruno Kreisky in seiner Regierungserklärung vom 5. November 1971 davon gesprochen habe, daß sich seine Regierung bei ihrer Reformarbeit von sozialdemokratischen Grundsätzen leiten lassen werde, während Androsch in seiner Budgetrede erwähnt hatte, daß bei Aufstellung des Budgets für 1972 gesellschaftspolitische Wertvorstellungen maßgeblich gewesen seien. Ich habe Kreisky damals aufgefordert, zu erläutern, was er unter „sozialdemokratischen Grundsätzen“ verstehe, und ich habe Hannes Androsch ersucht, nähere Angaben darüber zu machen, in welche Richtung seine „gesellschaftspolitischen Wertvorstellungen“ gingen.

In seiner Replik auf meine Ausführungen hat Bruno Kreisky unter anderem erklärt: „Was nun die sehr bemerkenswerten Ausführungen des Herrn Vizekanzlers außer Dienst Withalm betrifft, die die ideologischen Grundlagen der Politik betreffen, so werde ich mir erlauben, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit in sehr ausführlicher Weise auf diese Fragen zurückzukommen.“ Seit dieser Erklärung Bundeskanzler Kreiskys sind Jahre vergangen. Er hat, entgegen seiner Ankündigung vom 7. Dezember 1971, bisher in keiner Weise, geschweige denn in sehr „ausführlicher“ Weise, zu den von mir damals aufgeworfenen ideologischen Fragen Stellung genommen.

Sehr wohl aber haben Bruno Kreisky und die sozialistische Regierungspartei mittlerweile auf leisen Sohlen eine eindeutig sozialistische Gesellschaftspolitik nach schwedischem Muster gemacht.

Was liegt unter diesen Umständen näher, als daß Josef Taus im Jahre 1976 genau das urgiert, was Kreisky bereits im Dezember 1971 angekündigt hat, nämlich in sehr ausführlicher Weise auf die Fragen der ideologischen Grundlagen der Politik der Sozialistischen Partei Österreichs zurückzukommen und eine klare und ehrliche Antwort auf Fragen zu geben, die die zukünftige

Gestaltung der Gesellschaft m unserem Lande immerhin sehr wesentlich berühren?

Nicht mehr, aber auch nicht weniger, will Taus mit der von ihm initiierten Ideologiediskussion erreichen. Es muß ganz klar gesagt werden, daß die österreichische Bevölkerung ein unbestreitbares Recht darauf hat, von den maßgeblichen politischen Kräften nicht im unklaren darüber gelassen zu werden, wohin die Wege führen sollen, die die politischen Parteien in Österreich zu gehen beabsichtigen.

Die Bevölkerung hat weiters ein Recht darauf, zu erfahren, was Sozialismus letzten Endes bedeutet und was er an Folgen für jeden einzelnen und für die Gesellschaft mit sich bringt, wie sie anderseits genauso berechtigt von der ÖVP den Offenbarungseid über deren Pläne und Ziele erwartet.

Ich bin davon überzeugt, daß es die Bevölkerung dem Bundespartei-obmann der ÖVP eines Tages sehr wohl zu danken wissen wird, daß er es war, der für klare Aussagen in Fragen, die für die ganze Bevölkerung von existentieller Bedeutung sind, gesorgt hat.

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