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Der Schwung ist dahin

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Daß die Regierung Kreisky schon bessere Zeiten gesehen hat, wurde wahrscheinlich schon öfter festgestellt. Nun ist sie endgültig außer Tritt geraten: Das verflixte siebente Regierungs-Jahr hat deutliche Spuren hinterlassen.

Momentan stehen wir stark unter dem Eindruck tagespolitischer Ereignisse. An vielen Fronten liegen sich die Parteien in den Haaren. Trotz aller gespielten Siegesgewißheit läßt sich die geänderte Grundströmung der politischen Entwicklungen nicht verheimlichen: In der Mediendiskussion, im Wirtschaftsleben, in der Gesellschaftspolitik wie in personeller Hinsicht hat sich der Schwung der propagandistischen Blitzkriege zu Beginn der siebziger Jahre verflüchtigt. Von vielen unbemerkt ist Kreiskys SPÖ im abgelaufenen 7. Regierungsjahr in die Verteidigung übergegangen.

Wo bleiben die geistige Aufbruchsstimmung des Villacher Parteitages, der schmeichelnde Glanz um das Dreigestirn Brand-Palme-Kreisky oder gar der zauberhafte Pomp anläßlich der Republiksfeiem im Schloß Schönbrunn?

Wie formulierte doch Kreisky am Parteitag 1972: „Sozialdemokratische Politik darf nicht rütteln an dem Grundsatz der Freiheit der Presse, ganz im Gegenteil - sie muß, so wie sie es immer war, ihr entschlossenster Wortführer und Verfechter sein.“ In diesen Tagen war die SPÖ Wortführer und Verfechter: Für die Installierung eines roten Politruk im Rundfunk.

Bundeskanzler Kreisky, der auch eine zweite Rundfunkgesellschaft propagierte, an der sich alle Zeitungsherausgeber beteiligen sollten, ließ damals in seinem konsequenten Bemühen, den „Bacher-Rundfunk“ sozusagen als Nährboden faschistoider Medienpolitik anzuschwärzen, einen bezeichnenden Satz fallen: „In diesem Zusammenhang müssen allerdings noch andere Fragen in die Beratungen und Betrachtungen einbezogen werden … etwa daß die Redakteure und ständigen Mitarbeiter des Rundfunks in der Ausübung ihres Berufes wirklich unabhängig sein müssen.“

Die gedruckte Fassung der Villacher Parteitagsrede vermerkt an dieser Stelle: „Neuerlicher starker Beifall.“

Bisher waren die Rundfunkjouma- listen also nur unabhängig. Unter den Fittichen des Broda-Schützlings Keller sind sie nun „wirklich“ unabhängig.

In vielen anderen Bereichen zeigt sich genauso, daß der Schwung dahin ist In der Finanzierung der Staatsausgaben müssen hohe indirekte Steuern herhalten, obwohl sie laut Parteiprogramm als unsozial abgelehnt werden; gleichzeitig wehrt man sich mit Händen und Füßen gegen eine Steuersenkung, obwohl in Villach Maßnahmen angekündigt wurden, daß die unteren Einkommensbezieher nicht zu rasch in die „Progressionsmühle geraten, die sie um einen großen Teil ihrer Einkommensverbesserung bringen würde“.

Wie Spott und Hohn wirken im Nachhinein Äußerungen des Bundeskanzlers aus dem Jahre 1972 über die notwendige Stärkung der Institution Volksbegehren auf die fast 900.000 Unterzeichner des Anti-Fri- stenlösungs-Begehrens.

Hat Kreisky 1967 mit seiner Wahl zum SP-Vorsitzenden eine völlig neue Phase in der Politik eingeleitet, so beschränkte sich das Neue auf die Methodik der Machtausübung, auf die Schöpfung fast revolutionärer Verhaltensmodelle für die Zusammenarbeit zwischen Politik, Medien und Öffentlichkeit. Geblieben sind die traditionellen Aufgabenstellungen der Politik, angereichert um die verführerische Komponente der Anspruchsinflation. Kreisky und seinem Team war es sicher zu einem guten Teil Vorbehalten, langsam aber sicher Nachfragen nach neuartigen Staatsleistungen zu wecken, für die es früher keine Bedürfnisse gegeben hat.

Heute stehen wir vor dem Resultat dieser Anspruchsinflation. Der materielle Plafonds scheint erreicht: Das Finanzierungschaos im Krankenkassenbereich kann nun nicht mehr durch den möglichen Propaganda- Schlager eines Gratiskrankenbettes saniert werden. Der Ruf nach einer Entlastung des Staates ertönt vor allem aus dem linken Lager, das unter Handlungszwang steht.

Daß diesem Unterfangen ein traditionell zentralistisches und auf die Ausweitung der Staatstätigkeit und -fürsorge ausgerichtetes Parteiprogramm entgegensteht, ist das Spannende an der momentanen Programmdebatte innerhalb der SPÖ.

Die Kluft zwischen dem ideologischen Establishment und dem Brain- trust der Regierungspragmatiker vergrößert sich zusehends. Androsch, der sich als Kreisky-Erbe selbst im Gespräch hält, redet von Eigen Verantwortung, Eigeninitiative und Eigenvorsorge, meint, daß es nicht mehr nur um materiellen Wohlstand, sondern um Wohlfahrt geht, „wo sehr viele immaterielle Dinge hineinspielen“. Ideen, für die unleugbar die katholische Soziallehre Pate gestanden hat.

Auf der linken Seite bleiben die Klassengesellschaft und die Forderung nach Umkehr der Lohn- und Gehaltsskalen aktuell.

Mit solch extrem verschiedenartigen Grundsatzpositionen wird der Neuauflage des bald 20 Jahre alten Wiener Programms viel zugemutet.

Ob die SPÖ soviel Pluralismus aushält, bleibt abzuwarten. Daß aber ihr aktuelles Programm auf die. Dauer nicht exekutierbar ist, das zeigen die Hilferufe von Matzner, Androsch und Co.

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