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Regierung in Seenot

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Eine um den Zentralsekretär Marsch und den Klubobmann Weisz erweiterte Bundesregierung zog sich im Bundeskanzleramt zu mehrstündigen Beratungen zurück, um, wie es erst nach der Verlautbarung einer durchaus mageren Ernte hieß, eine ganztägige Regierungssitzung am 4. September vorzubereiten. In dieser Regierungssitzung wird das Programm für den Herbst 1973 und das Frühjahr 1974 festgelegt und, was mit Sicherheit zu erwarten ist, die Bundesregierung umgebildet.

Als vorrangige Gesetze für den Herbst nannte Bundeskanzler Kreisky am Ende der „kleinen“ Klausur zum Saisonausklang sehr zögernd: die Novellierung der Gewerbeordnung, die Volksanwaltschaft, das Assanierungsgesetz. Alles Dinge, die ohnehin im Parlament liegen. Erst an vierter Stelle eine gesetzliche Änderung des bislang noch unabhängigen ORF. Gerade in Sachen ORF hätte man die wiederholt angekündigte Vorlage des Gesetzestextes erwartet. Um so mehr, als des Kanzlers gutachtliche Kommission ihre Vorstellungen für einen „wahrhaft unabhängigen ORF“ erst vergangenes Wochenende veröffentlicht hat und Kreisky seine Regierungsvorlage nach den Vorschlägen der Reformgruppe gestalten will. Aber vielleicht hat die einhellige, scharfe Ablehnung dieser „Reformvorstellungen“ durch die „Volksbegehrenszeitungen“ den Kanzler zu einer vorläufigen Prolongation des „Rundfunkspiels“ bewogen. Jeder Punkt dieses Miniprogramms hätte auch schon vor einem Jahr am Ende einer Regierungsklausur genannt werden können. Damals wäre das nicht spektakulär gewesen, heute ist es schon wieder spektakulär, wie wenig doch diese Regierung und ihr Kanzler Kreisky noch anzubieten haben.

In der Frühjahrssession 1973 hat sich sehr deutlich gezeigt, daß das Kabinett Kreisky II nicht nur große Schwierigkeiten durchmacht, sondern auch nicht genügend Kraft besitzt, diese Schwierigkeiten zu meistern. Die Gründe dafür liegen auf der Hand:

• ihr Personal reicht für die Regierungsaufgaben nicht aus — dos gilt nicht nur für die reine Zahl;

• das Hin- und Herschieben von Problemen, aber auch die innere Unruhe in der Sozialistischen Partei stehen im Widerspruch zu der besonnenen Stetigkeit, die von der politischen Führung im Volk verlangt wird. Selbst Bundeskanzler Kreisky kommt dieser Forderung immer seltener nach;

• das Regierungsprogramm ist nach wie vor ein beispielhaftes Stück politischer Romantik nach der Formel: begrenzte Nähe, verschwommene

Ferne;

• das alles führt zu einer Regierungspraxis, die keine Ziele setzt, sondern nur den Ärger möglichst geringhalten will.

Es darf angenommen werden, daß Kreisky die Lage seiner Regierung erkannt hat. Seine Flucht in Verhandlungen mit den Oppositionsparteien war in erster Linie eine Flucht vor der Forderungswelle in seiner eigenen Partei. Für kurze Zeit gelang es ihm, die Oppositionsparteien als Koalitionäre bloßzustellen; als sich aber herausstellte, daß er in den entscheidenden Fragen nur sehr geringen Handlungsspielraum in seiner eigenen Partei hat — etwa in der ORF-Reform und in der Frage der Fristenlösung —, wich auch dieses Denken.

Die nahezu ergebnislose Regierungsklausur vom 16. Juli offenbarte sehr deutlich, daß diese Bundesregierung heute kaum imstande ist, das Bundesgesetzblatt zu füllen. Dabei war ihr Ziel eine Umgestaltung Österreichs. Die vertane Gnade des Nullpunkts von 1945 sollte im nachhinein wirksam gemacht werden. Die Demokratie sollte jetzt erst richtig anfangen. Kreisky wollte sicherlich mehr, als Beamte fleißig arbeiten lassen.

Aber was wollte Kreisky wirklich, was will er genau? Alle seine Erklärungen (insbesondere die Regierungserklärungen) enthalten dort, wo die allgemeinen Ziele umrissen werden, wenig Realität. Seine Erklärungen formulierten wirkungsvoll eine verbreitete Stimmung zu Beginn der siebziger Jahre, ohne die Perspektive selbst des Jahres 1980 wirklich zu konturieren. Auch im Juli 1973 und ganz gewiß am Ende der dieswöchigen Regierungsklausur hat sich das Gewölk nicht gelichtet.

Dagegen haben die Interessenten aus den klingenden Worten des Bundeskanzlers längst schlichte Ansprüche abgeleitet. Mehr Demokratie wird so zu immer weniger Staat. Kreisky rettet sich vor diesen Problemen in das Idealbild seiner Kanzlerschaft, das mehr aus Forderungen an seine Person als aus Ansprüchen an seine Politik besteht. Vielleicht ist er im Zuge dieser Reduktion seiner dritten Biographie näher als, der komplizierten Gegenwart.

So hat sich in Österreich ein Regierungsstil herausgebildet, für den das Gesetz des geringsten Widerstandes zur obersten Maxime geworden ist: Nicht die Richtung, sondern nur noch die Position wird bestimmt; statt Ideen werden Rechenarbeiten und Meinungsumfragen produziert. Die „Reformen“ sind den Apparaten anvertraut, die sie fleißig in die Handelsware kleiner Gefälligkeiten umsetzen. Was bei dieser oder jener Parteigruppe Anstoß erregen könnte, wird ausgeklammert.

Diese Politik, die zuletzt durch das Ergebnis der Regierungsklausur markiert wird, ist ganz gewiß nicht das, was die Bundesregierung 1970 und 1971 wollte. Man darf wohl annehmen, daß Bundeskanzler Doktor Kreisky das Ungenügen an dieser Situation empfindet. Aber die Grenzen dieser Regierung sind gesetzt. Und sie dürften nach dem 21. Oktober 1973 eher enger liegen.

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