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Palaver statt Aktion

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Nach dem Ende der Frühjahrs-Session des Parlaments erklärte der Obmann der ÖVP, Dr. Withalm, in einer Pressekonferenz, daß er die Minderheitsregierung als ein Unglück für die demokratische Entwicklung in Österreich erachte. Zweifellos ist diese Formulierung zu hart. Außerdem trägt die ÖVP einen Teil der Schuld, daß es zu dieser Regierung kam; ja noch mehr, sie zeigte sich in den vergangenen Monaten keineswegs als eine geschlossene Partei, deren Führung zielbewußt ihren Weg geht und eine echte Alternative zur Minderheitsregierung anbietet. Vielmehr hat der neutrale Beobachter das Gefühl, daß die ÖVP-Führung jeden Tag zu Gott betet, Er möge die Minderheitsregierung noch lange Zeit erhalten, damit sie selbst genügend Muße fände, ihre Krise zu überwinden.

Dennoch besteht kein Zweifel, daß die Minderheitsregierung eine gewisse Gefahr für die Entwicklung des demokratischen Lebens in Österreich bedeutet. Wenn dies nicht auf den ersten Blick sichtbar wird, dann dank der Geschicklichkeit Dr. Kreds-kys als Bundeskanzler, der nicht minder klugen Taktik der FPÖ, die aus dem gegenwärtigen Zustand den größten Vorteil zieht, und der Schwäche der ÖVP, die so offensichtlich ist, daß die Hoffnung besteht, die Partei habe ihren Tiefpunkt erreicht und es könne nur mehr aufwärts gehen. All diese Faktoren täuschen jedoch nicht darüber hinweg, daß die Minderheitsregierung den Auftrag der Wähler nicht erfüllt, der da lautet, die Regierung solle in erster Linie regieren und nicht debattieren. Sicherlich konnte die Regierung Kreisky die parlamentarische Hürde nehmen und bis zum Herbst eine Atempause gewinnen. Auch muß sie bis dahin nicht mehr mit dem Rük-ken an der Wand kämpfen. Doch ist die Sommerpause im Grunde nur eine Galgenfrist. Alle wichtigen Probleme sind offengeblieben. Zwar besteht für die Regierung weiterhin die Chance, mit einer der beiden Oppositionsparteien, vor allem mit der FPÖ, eine Mehrheit für Gesetze zustandezubringen, doch der Un-sicherheitsfaktor wird von Monat zu Monat größer. Außerdem kann es geschehen, daß sie wie im Fall der Uberstundenbesteuerung bei der Abstimmung unterliegt und Gesetze durchführen muß, für die ihr Finanzminister bei der gegenwärtigen Budgetlage im Grunde die Verantwortung nicht übernehmen dürfte.

Um über diese innere Unsicherheit hinwegzukommen, ist Kreisky auf den genialen Einfall gekommen, neben dem Parlament Scheinparlamente ins Leben zu rufen. Unter dem Schlagwort „Demokratisierung“ werden nun alle schwebenden Fragen vor die verschiedensten Foren gebracht und der Eindruck einer Art unmittelbarer Demokratie erweckt. Kreisky schuf damit im Gegensatz zur APO in den westlichen Nachbarländern eine gesittete „Außenparlamentarische Opposition“, die von der Regierung gegen das Parlament aufgestellt wird. Eine gesittete APO ist aber noch unnützer als eine wilde ÄPO. Letzlich entscheidet das Gesamtvolk durch Wahlen über die Mehrheitsverhältnisse in unserem Staate, und keine Gruppe ist gesetzlich berechtigt, auch nur im geringsten etwas daran zu ändern.

Das Wort „Demokratisierung“ klingt zwar sehr schön, doch wird es häufig von verschiedenen Gruppen dazu verwendet, bestehende demokratische Einrichtungen zu unterhöhlen. Wie sinnlos diese Demokratisierungsspiele sein können, zeigte beispielsweise die Fernsehdiskussion über den ORF zwischen Kreisky und einigen Chefredakteuren. Die Sachlage ist klar. Auf Grund des von der ÖVP und FPÖ beschlossenen Rundfunkgesetzes ist der Bundeskanzler in seiner Eigenschaft als Gesellschafter und Hauptaktionär des ORF berechtigt, die fünf Vertreter für Religionsgemeinschaften, Wissenschaft, Kunst, Volksbildung und Sport auf Grund von Dreiervorschlägen der verschiedenen Körperschaften für den Aufsichtsrat des ORF zu ernennen.

Nun mögen in den Augen von Kreisky die Ernennungen durch seinen Vorgänger Klaus nach parteipolitischen Gesichtspunkten erfolgt sein. Kreisky könnte nun ebenso vorgehen wie Klaus, und der Normalbürger würde es verstehen. Doch so einfach möchte es Kreisky nicht haben. Da werden zunächst die Chefredakteure, die für dieses Problem gar nicht zuständig sind, gefragt, was sie vorschlagen. Dem Staatsbürger soll es vor so viel Demokratie den Atem verschlagen. Hätten nun die Chefredakteure Humor besessen und mehrheitlich Kreisky wissen lassen, ihrer Meinung nach wären die fünf Virilisten im Aufsichtsrat des ORF über jeden Tadel erhaben, und Kreisky könne sich als hervorragender Demokrat erweisen, wenn er sie weiterhin in ihrer Position belasse — was wäre dann geschehen? Entweder hätte Kreisky mit süßsaurem Lächeln den Vorschlag der Chefredakteure akzeptieren müssen und wäre damit eine Zeitlang von seinem Demokratisierungshobby geheilt gewesen, oder er hätte mit tiefernster Miene verkünden müssen, daß er sich auch noch an andere Gremien wenden werde, letztlich aber keiner dem Bundeskanzler die Entscheidung abnehmen könne.

Hier aber sind wir beim Kernpunkt des Problems. Der Bundeskanzler hat zu entscheiden. Er und seine Minister müssen für das, was sie tun, vor dem Parlament und der Bevölkerung geradestehen. Sie können die Verantwortung auf keine Gruppe, und wäre sie noch so angesehen, abwälzen. Die Bevölkerung aber wünscht eine Regierung, die handelt, und nicht eine, die die Probleme mit Gruppen zerredet, denn regieren heißt immer, auch in der Demokratie, Taten setzen. Die Demokratie unterscheidet sich dadurch von der Diktatur, daß die Bevölkerung bei den Wahlen Noten über diese Taten austeilen kann. Die Gefahr der Minderheitsregierung Hegt nun darin, daß sie nur im beschränkten Maße in der Lage ist, Taten zu setzen, und an deren Stelle Meinungsumfragen und ein allgemeines Palaver treten. Aber gerade dies könnte die Demokratie in ihren Grundfesten erschüttern.

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