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„Kreisky ist Kanzler, Peter bestimmt“

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„Jeder Stimme gleiches Gewicht.“ Das hämmern Sozialisten und Freiheitliche der Bevölkerung nun seit Jahr und Tag unverdrossen ein. So wird der gemeinsame Entschluß, das seit 50 Jahren gültige Wahlrecht abzuändern, motiviert. Jeder Stimme gleiches Gewicht, das bedeutet: Gerechtigkeit. Das geht dem Volks ins Ohr! Jeder Stimme gleiches Gewicht, das bedeutet gleichzeitig: Wahlunrecht beseitigen. Das geht dem Volk ins Ohr!

Aber es ist nur auf Kosten der Volkspartei möglich. „Schade“, sagen die Freiheitlichen, die davon profitieren. „Schade“, sagen auch die Sozialisten, denen die Schwächung des politischen Hauptkonkurrenten auch nicht zum Nachteil gereicht. Und was sagt die Volkspartei? Reißt sie sich die Brust auf, demaskiert sie dieses Spiel? Sie spricht nobelkonziiiant von Verhandlungsbereitschaft, obwohl die in diesem politischen Geschäftchen längst handelseins gewordenen Gegner nicht mehr am Gespräch, sondern nur noch am Niederstimmen interessiert sind Sie spricht nobel-konziliant von von der Notwendigkeit einer „Verpersönlichung“ des Wahlrechtes, obwohl der gemeinsame Plan von SPÖ und FPÖ genau auf das Gegenteil hinausläuft. Und was sagt das Volk, das man in einer so bedeutenden Frage ruhig hätte direkt anhören können, wenn man wirklich so demokratisch ist, wie man sich gerade jetzt in weit weniger wichtigen Dingen zu geben beliebt? Beim Wahlrecht wird das Volk nicht gefragt. Wozu auch, da man doch mit hauchzarter Mehrheit genau weiß, was es will! Auf die Idee, ein Volksbegehren einzuleiten, kommen alle anderen, nur nicht die ÖVP.

Zwar haben der 1. März und der 4. Oktober gezeigt, daß derzeit die Mehrheit des Volkes nicht hinter der Volkspartei steht. Sagt das aber bereits aus, daß es dem Volk gefällt, demnächst durch eine noch größere Zahl von Abgeordneten vertreten zu werden, die, vergrößerten Wahlkreisen zufolge, dem Volk noch mehr entrückt sind?

Sagt das bereits aus, daß es dem Volk auch schmeckt, wenn die Minderheitsregierung und die FPÖ einander lebensrettende Injektionen verabreichen? „Tausche Wahlrecht gegen Budgetzustimmung“, lautet die Formel: Früher, zu seligen Koalitionszeiten, hat man das immer als einen

üblen Kuhhandel gebrandmarkt. Dabei ist gerade in der gegenwärtigen innenpolitischen Situation das genaue Gegenteil des Behaupteten der Fall, ist der Wählerwille verfälscht wie niemals zuvor. Seit die Regierung Kreisky die Ministerstühle besetzt, zählt im Parlament am meisten die Stimme der FPÖ, weil sie, angesichts der Konfrontation einer nahezu gleichen Mandatszahl beider Großparteien, in Wirklichkeit entscheidet, was in Österreich zu geschehen hat, oder unterbleiben soll. Kreisky ist Kanzler, aber Peter bestimmt. So liegen die Dinge. Tatsache ist, daß die Millionen von Wählern, die hinter der Sozialistischen Partei stehen und jene Millionen Wähler, die der ÖVP die Treue halten, gegenüber dem bescheidenen Anhang der Freiheitlichen zur Quantite negli-geable umfunktioniert worden sind. Da die Sozialisten heute alle Regierungsämter in Händen haben, die Volkspartei aber lediglich im Parlament vertreten ist, wird vordergründig nur ihre eigene Ohnmacht, nicht aber die keineswegs geringere der Sozialisten spürbar.

Über Österreichs Schicksal bestimmt heute eine Gruppe, die sich noch am 16. Jänner dieses Jahres zur Garantie berufen fühlte: „Kein roter Bundeskanzler — kein schwarzes Österreich“, und die sich heute als Lebensretter Kreiskys anheuern läßt. Und zu welchen Bocksprüngen werden Peter und seine Freunde demnächst bereit sein, wenn sie wieder eine politische Überlebenschance wittern?

In diesem Licht besehen, gewinnt die Frage an Bedeutung, was die unvermeidlich scheinende Änderung des Wahlrechtes dem Land bescheren wird. Die gemeinsamen Pläne von Sozialisten und Freiheitlichen mindern die Chance gewaltig, daß es in Österreich wieder klare Mehrheitsverhältnisse geben kann. Die Freiheitliche Partei wird mit sozialistischer Schützenhilfe also Zünglein an der Waage bleiben. Demnach wird die Änderung des Wahlrechtes nicht dazu führen, daß jeder Stimme gleiches Gewicht zukommt. Sie wird dazu führen, daß die wenigen Stimmen zugunsten der Freiheitlichen erheblich mehr wiegen als der Anhang von Sozialisten und Volkspartei zusammen. Denn klare Mehrheiten wird es in diesem Land nicht mehr geben.

Unter solchen Gegebenheiten könnte man die Wahlkosten in Zukunft wirklich einsparen und die immer mehr zum Formalismus abgewertete parlamentarische Demokratie begraben, bevor die Leiche allzusehr stinkt.

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