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Land der Gegensätze

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Wer einen Urlaub am Wörther See oder auf der Turrach verbracht hat, darf sich nicht der Täuschung hingeben, Kärnten zu kennen. Auch wenn er mit offenen Augen und mit gespitzten Ohren landauf und landab gewandert wäre, bliebe ihm Kärnten in seinem Wesen fremd. Denn selten trügt der Schein so stark wie in diesem Land der Gegensätze. Diese Gegensätze treten auf den verschiedensten Gebieten des Lebens klar zutage. Kraß sind sie auch auf politischer Ebene.

Ist es denn kein Gegensatz, daß dieses bäuerliche Kärnten eine sozialistische Mehrheit besitzt? Obwohl das Land an Industrie nicht gerade gesegnet ist, hält sich auch der kommunistische Anhang so zäh, daß ein Vertreter sogar seinen Stammplatz im Landtag innehat.

Die Landtagswahlen am vergangenen Sonntag bewiesen erneut, daß an dieser parteipolitischen Konstruktion kaum viel zu ändern sein dürfte. Die Volkspartei hat mit einem bisher nie dagewesenen Aufwand ihre Wahlparolen ins Volk getragen. In allen Varianten wurden die Gegensätze — hier persönliche Freiheit, dort Kollektivismus — aufgezeigt, beschwörend wurde unterstrichen, daß ein einziger Mandatszuwachs bei den Sozialisten diesen die Mehrheit im Landtag sicherte, während zur Zeit noch die „kommunistische Prothese“ für einen Mehrheitsbeschluß gegen den Willen der Volkspartei und der FPÖ erforderlich war.

Es war verständlich, daß sich die SPÖ die Erringung des so wichtigen einen Mandats als Wahlziel gestellt hatte. Ein weiterer Einbruch in das Dorf und nicht zuletzt die immerhin für ein Mandat ausreichenden Stimmen der Jungwähler sollten Kärnten die sozialistische Alleinherrschaft sichern. Auch die Sozialisten geizten nicht mit Propagandahilfsmitteln. Nach der Äußerung eines Mitgliedes des engeren Wahlvorbereitungskreises soll die SPÖ für die Landtagswahl immerhin den Betrag von 600.000 Schilling bereitgestellt haben.

So entspann sich der „engere Wahlkampf“ zwischen den beiden großen Parteien. Ob der FPÖ ihr Stimmenreservoir treu bleiben werde und ob die Kommunisten die nun einmal für ein Mandat erforderlichen Stimmen aufbringen werden: das waren lediglich die Begleiterscheinungen des zähen Ringens der beiden Rivalen um die Gunst jedes einzelnen Wählers.

Seine Majestät der Wähler sah sich das Buhlen um die Stimmen teils desinteressiert, teils belustigt an und — schwieg.

So kam es zu einem lustlosen Wahltag, dessen erste Überraschung: die geringe Wahlbeteiligung von nur 86,9 Prozent gegenüber 95.6 Prozent der letzten Wahl. Und die nächste Überraschung war die Feststellung, daß. diesmal die -Hauptleidtragenden dieser Abstinenz die Sozialisten waren. Die SPÖ konnte den bisher nie gestoppten Vormarsch nicht fortsetzen. Gegenüber den Nationalratswahlen im Vorjahr betrug die Einbuße fast volle 11.000 Stimmen! Der Prozentsatz hatte mit 48,50 ein einmaliges Tief erreicht. Schon Stunden bevor man in der Landeswahl-behörde das vorläufige Wahlergebnis errechnen konnte, war es klar: die SPÖ werde das 19. Mandat nicht erhalten, sie werde vielmehr einen ganz beträchtlichen „Schönheitsfehler“ in Kauf nehmen müssen.

Das vorläufige Ergebnis lautet bei 259.904 abgegebenen Stimmen (Landtagswahl 1956: 266.058):

Landtags- Landtags- Nationalrats- Prowahl i960 wähl 1956 wähl 1959 zent

SPÖ 126.094 (128.006) (136.967) 48,50

ÖVP 86.454 (86.996) (88.813) 33,30

FPÖ 38.735 (41.722) (36.687) 14,90

KPÖ 7.770 (8.238) (6.714) 2,90

NSAP 851 — - 0,09

Die mandatsmäßige Zusammensetzung des Kärntner Landtages bleibt nach diesem Wahlergebnis unverändert. Dem Landtag gehören an 18 Abgeordnete der SPÖ, 12 Abgeordnete der Volkspartei, fünf der FPÖ und ein Kommunist. Auch in der Landesregierung werden wieder vier Sozialisten, zwei Angehörige der Volkspartei und ein FPÖ-Mann anzutreffen sein.

Ebenso wie die Sozialisten hat auch die Volkspartei ihr gestecktes Ziel nicht erreicht. Etwa 3 500 Stimmen fehlen für das so heiß erwünschte 13. Mandat, das der Volkspartei ein gewichtiges Mitspracherecht bei der Bestellung des Landeshauptmannes eingebracht hätte. Eitel Freude über das Wahlergebnis gab es daher auch nicht im Neubau in der Bahnhofstraße.

Es wird zwar dort im Landesparteisekretariat mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß die Sozialisten einen beachtlichen Stimmenrückgang zu verzeichnen haben, daß sie auch den niedrigsten Prozentsatz der SPÖ-Stimmen seit 1945 aufweisen, daß vor allem aber die sozialistische Mehrheit im Landtag vereitelt wurde. Auch aus sozialistischen Kreisen hört man die Meinung, das schlechte Abschneiden der SPÖ sei die Quittung für die Zusammenarbeit mit den Kommunisten.

Mit -der Schadenfreude, daß es dem Rivalen auch nicht besser ergangen sei, gibt sich die Leitung der Volkspartei natürlich nicht zufrieden. Allgemein ist man der Ansicht, daß die ÖVP schon deswegen ins Hintertreffen kommen mußte, weil der Erneuerungsprozeß noch nicht beendet sei. In Kärnten wurde nach dein Rücktritt des Landesobmannes Nationalrat Hermann Gruber und einem immerhin etliche Monate andauernden Interregnum erst Mitte Dezember der neue Landesparteiobmann gewählt. Hermann Grubers Nachfolger wurde der Landesbeamte und Abgeordnete des Landtages Dr. Karl Schleinzer. Kurz vor dem Weihnachtsfest hat der neue Obmann seine Stelle angetreten. Es war klar, daß er bis zum vielleicht auch eben deswegen so früh von den Sozialisten angesetzten Wahltag kein Wunder schaffen konnte. Obwohl die „Renaissance der ÖVP in Kärnten“ trotz der Faschingszeit eingeleitet und vorwärtsgetrieben wurde, befindet sich alles noch in Gärung. Statt zweieinhalb Monaten hätte Doktor Schleinzer zweieinhalb Jahre bis zum ersten ernsten Wahlgang benötigt.

Doch allein der Ausbau der Organisation ist nicht entscheidend. Viel wichtiger ist der Kurs, den die neue Leitung einzuschlagen gedenkt. In einem klaren Aktionsprogramm sind die Richtlinien für das Wollen der Volkspartei in Kärnten festgelegt. Daß man ernstlich an eine Befriedung im gemischtsprachigen Gebiet arbeiten wolle, wurde sowohl von den Slowenen als auch von der übrigen Bevölkerung anerkennend zur Kenntnis genommen. Das auf der slowenischen Seite noch vorhandene Mißtrauen sollte durch Taten beseitigt werden. Der Volkspartei wurde auch nahegelegt, sich von nationalliberalen Tendenzen zü distanzieren. Besonders der Jugend soll der österreichische Patriotismus nahegebracht werden.

Dies sei unter anderen Forderungen und Wünschen nach der Überzeugung vieler Kärntner der einzige Weg, der der Volkspartei auch in Kärnten neuen weiteren Auftrieb, und das auf Kosten sowohl der FPÖ wie der Sozialisten, geben könnte.

Dies erfordere immense Kleinarbeit auf lange Sicht. Denn die politische Willensbildung der Kärntner ist äußerst konservativ. In der Ersten Republik wurden in Kärnten vier Landtagswahlen durchgeführt; diese brachten folgende Ergebnisse (in Prozenten):

Dieses fast festgefrorene Festhalten an einer politischen Gruppe macht jede größere Stimmenumschichtung fast illusorisch. So hat die Volkspartei es in Kärnten besonders schwer, weiteren Boden zu gewinnen. Ob es der neuen Landesleitung gelingen wird, kann erst die Zukunft zeigen.

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