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Graz wählt und hofft

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Bürgermeister Dipl.-Ing. Scherbaum lächelt verschmitzt von den Plakatwänden: „Wir Grazes- wählen Bürgermeitser Dipl.-Ing. Scherbaum“, postulieren die Sozialisten. Daneben klebt ein anderes Haupt, ernst den Blick in die Ferne (oder in die Zukunft) gerichtet: „Unser Mann — Stadtrat Dr. Götz“, werben die Freiheitlichen für ihren Spitzenkandidaten, der im Gemeinderat eine beträchtliche Aktivität entfaltet hat.

Auch die Kommunisten haben es auf Köpfe abgesehen: Auf Haschen mit roter, schwarzer und brauner Tinktur prangen als Stoppelschmuck die möglichst unkennbar geratenen Gesichter von Scherbaum, Koren und Götz mit dem schlichten Vermerk: „Davon wird Graz nicht gesund.“

Die ÖVP hat bis jetzt auf die Plakatierumg ihres führenden Mandatars, Landesrat Univ.-Prof. Dr. Hanns Koren, verzichtet und zieht auf Plakaten grüne Kreise, die teils als Ampel, teils als Uhrblatt für den Grazer Uhrturm Verwendung finden. Mit jedem neuen Plakat sollen die Kreise größer werden. Und jetzt stört niemand mehr diese Kreise. Nicht einmal die ÖVP selbst.

Etwas vereinsamt taucht ab und zu auch das bisher unbekannte Porträt eines Mannes auf, der von seiner Fraktion nicht nur als Fleischenweister und Landwirt, sondern auch als Oberfähnrich und EK-Träger angepriesen wird: Anton Kristjan, Spitzenkandidat des WGS. WGS ist die Abkürzung für den parteiungebundenen Wahlblock der Gewerbetreibenden und

Selbständigen, der bei diesen Gemeinderatswahlen zum erstenmal kandidiert. Und zu guter Letzt ringt auch mit hoffnungslosem Trotz die WdU um die Gunst des Wählers. Diesmal mit den Ergokraten vereint.

Es geht am die „steirische Linie“

Niemand wagt heute zu prophezeien, wie diese Wahl ausgehen wird, aber jede der vier „Hauptparteien“ und auch der WGS hoffen. Es ist eine Wahl der Hoffnungen. In gewisser Beziehung ist das natürlich jede Wahl, aber die Grazer Gemeinderatswahlen am 31. März sind für diese Bezeichnung besonders geeignet. Es geht nämlich um mehr als um die Wahl von 48 neuen Gemeinderäten, es geht leider auch nicht so sehr um kommunalpolitische Probleme, deren es in Graz eine erkleckliche Anzahl zu lösen gäbe, es geht bei dieser Wahl, vor allem für die ÖVP, um die grundsätzliche Frage der „steirischen Linie“.

Noch nie dürfte die Wahl eines Gemeinderates so sehr unter dem äußeren Druck von Vorgängen in der Bundespolitik gestanden sein. Der ÖVP-Stadtparteitag am 2. März war eine Vertrauenskundgebung für Landeshauptmann K r a i n e r, dessen Haltung bei den Regierungsverhandlungen in Wien entsprechend gewürdigt wurde.. Die ganze Versammlung schien unter dem Motte- „Jetzt erst recht“ zu stehen. Stadtparteiobmann Primarius Dr. Stepantschitz sprach es schließlich ganz offen aus: „Es geht darum, richtunggebend nicht nur für Graz, sondern für ganz Österreich zu wirken.“

Ein Exempel statuieren

Die Regierungsverhandlungen werfen also ihre Schatten auf die Gemeinderatswahlen. Taktisch steht die ÖVP nun vor einer schweren Entscheidung: Nach der Aufgabe des Außenministeriums, die nicht nur in der Steiermark, sondern auch von ÖVP-Organisationen in Salzburg und Tirol mit geharnischten Resolutionen öffentlich hart kritisiert wurde, gab es in Graz Tendenzen, diese Gemeinderatswahl dem Landeshauptmann „zum Geschenk“ zu machen: Mit der Wahl sollte bewiesen werden, daß die Grazer ÖVP gerade jetzt die „steirische Linie“ besonders betont und gewillt ist, in Graz ein Exempel zu statuieren. Diese spontanen Postulate, mit denen Krainer darin bestärkt werden sollte, daß er in der Steiermark noch immer oder besonders jetzt Rückhalt findet, scheinen aber nun der Einsicht gewichen zu sein, daß man den Landeshauptmann nicht mit einer Wahl belasten kann, deren Ausgang völlig ungewiß ist. Eine Programmatik, die Krainers Politik auf Bundesebene nun mit dem Ergebnis einer Gemeinderatswahl bestätigen will, könnte nämlich das Gegenteil von dem bewirken, was guten Willens bezweckt wurde: die .Verwandlung des geplanten Geschenks in eine Danaergabe.

Die Qual der Wahl

Die Qual der Wahl bei der Kandidatenaufstellung war diesmal besonders anstrengend. Es verfloß wertvolle Zeit, ehe endgültig feststand, wer nun eigentlich ÖVP-Spitzenkandidat sein sollte. Josef S t ö f f 1 e r, der seinerzeit in den Stadtsenat kooptiert worden war und der nach nach dem Abgang von Dr. A m s c h 1 Vizebürgermeister wurde, machte als Kommunalpolitiker rein sachlich keine schlechte Figur. Aber er hat das Pech, Wirtschafts-bündler zu sein, und im „roten Graz“ möchte man natürlich einen Mann des AAB die Kandidatenliste anfuhren lassen. Außerdem heete man die Befürchtung, Stöfflers Temperament sei einem propagandistischen „Aufbau“ seiner Persönlichkeit etwas hinderlich. Natürlich gab es auch noch viele andere Gründe. Es wäre müßig, jetzt noch alle die Namen von Persönlichkeiten aufzuzählen, die aus taktischen Gründen oder aus echter Überzeugung für würdig befunden wurden, bei einem all fälligen Wahlerfolg den Grazer Bürgermeistersessel zu besteigen, ein Stuhl, der „schwarzer“ Lasten völlig entwöhnt ist. Schließlich einigte man sich auf die integre Persönlichkeit des Landeskulturreferenten Univ.-Prof. Dr. Hanns Koren, der schwankend zustimmte, vom Revier der geliebten Kulturpolitik auf das ungewohnte

Parkett der kommunalen Angelegenheiten überzuwechseln. Verschiedene Bemühungen zielen darauf ab, Koren dort auch festzuhalten — selbst dann, wenn ihm der Entscheid der Wähler den Bürgermeisterposten nicht sichern sollte.

Die ÖVP-Liste für die Gemeinderatswahlen, einen Tag vor „Torschluß“ eingereicht, enthält sechs neue Namen. Bemerkenswert ist, daß der Gemeinderat Helli Wolf, dessen Kandidatur im Jahre 1958 einiges Mißfallen erregt hatte, nicht mehr aufgestellt wurde. Wolf, einst Grazer SA-Standartenführer, diente nämlich als „nationales“

Aushängeschild, als Angel, die ohne bemerkenswerten Erfolg in den nationalen Karpfenteich gehängt wurde. Interessant ist auch, daß der ehemalige Landtagsabgeordnete und Grazer ÖAAB-Chef DDr. Freunbichler, der bei den letzten Landtagswahlen in die Verbannung geschickt worden war, nun als Gemeinderatskandidat an sicherer neunter Stelle sein politisches Comeback versucht.

Die ÖVP ist also hoffnungsfroh: der Zug bei sämtlichen bisherigen Wahlen sprach bisher für sie. Hoffnungen hegen aber auch die Sozialisten. Nicht vielleicht deshalb, weil die gepflegte Mittelmäßigkeit ihrer Gemeindeverwaltung in der Grazer Bevölkerung besondere Begeisterung hervorrief, nein: sie bauen nicht nur auf die mehr selbstverständliche als bewußt geförderte Tradition eines „roten“ Bürgermeisters — sondern auf die Selbstzerfleischungsstrategie der ÖVP, die ihre mühsam errungene Position in Graz mit der dieser Partei innewohnenden Gesetzlichkeit sorgsam wieder etwas untergraben hat.

Abstieg — Aufstieg

Vergleicht man die Ergebnisse der Wahlen in Graz seit 1958, dann versteht man, daß die Sozialisten die Entwicklung kummervoll verfolgen mußten: Bei den Gemeinderatswahlen am 23. März 1958 erhielt die SPÖ 71,206 Stimmen, bei den Nationalratswahlen im Jahre 1959 70.749 Stimmen, bei den Landtagswahlen 1961 67.296, und erst bei den Nationalratswahlen im vergangenen Jahr stieg die Stimmenzahl wieder auf 69.324 an.

Die Entwicklung bei der ÖVP: 1958 erhielt sie 56.790 Stimmen, 1959 62.602, bei den Landtagswahlen 67.410 und bei den letzten Nationalratswahlen 68.473. Selbst wenn man die jeweils veränderte Gesamtwähleranzahl in Betracht zieht, ist dieses Ansteigen der ÖVP-Stimmen bemerkenswert.

Nun hat die Grazer SP aber nicht nur zugewartet, bis die ÖVP mit ihren internen Schwierigkeiten bei der Kandidatenaufstellung fertig wurde, sie hat auch die Chance der Selbstlähmung des Gegners genützt und mit ungewohntem Fleiß, den sonst nur die ÖVP bei Landtagswahlen zu entfalten pflegt, einen gewissen Vorsprung in der Wahlpropaganda herausgewirtschaftet.

Ein in Graz besonders wirksamer

Propagandaschlager gelang den Sozialisten mit der Einladung des Regierenden West-Berliner Bürgermeisters Willy Brandt, der in der überfüllten Industriehalle zum Thema „Berlin 1963“ sprach. Zwar soll es sich um eine Einladung gehandelt haben, die schon Jahre zurückliegt, die Partei selbst verhielt sich auch äußerst zurückhaltend und ließ den Magistrat als für diese Großveranstaltung verantwortlich zeichnen — aber der Grazer SP war es sicher äußerst angenehm, daß der photogene Willy Brandt ausgerechnet zur Zeit des Wahlkampfes Zeit hatte, nach Graz zu kommen. Als besondere Pikanterie mußte bei dieser Veranstaltung des „Grazer Magistrats“ auch Landeshauptmann Krainer an der Spitze der ÖVP-Prominenz teilnehmen.

Von 48 Grazer Gemeinderäten gehören 23 der Sozialistschen Partei an, von der Volkspartei sitzen 18 Vertreter in der Gemeindestube, ein Kommunist fristet dort sein Dasein — und sechs Freiheitliche sind ein nicht unbedeutender Faktor, seit es ihnen gelungen ist, die SP-VP-Koalition im Gemeinderat zu brechen. Klubobmann Dipl.-Ing. Dr. Götz wurde jüngst in einer Zeitung mit dem für einen österreichischen Politiker schmeichelhaften Prädikat eines „geschickten Taktikers“ versehen. Dieser junge Stadtrat, der seinen Besuch bei der EWG-Kommission in Brüssel propagandistisch auszuwerten versteht, verliert aber jeden Sinn für Taktik, wenn es um Fragen geht, die er für grundsätzlich erachtet, und gehört sicher zu den nicht sehr zahlreichen Kommunalpolitikern, die mehr von ihrem Fach verstehen, als für nötig erachtet wird. Auch die FPÖ erhofft sich einiges von den Grazer Gemeinderatswahlen: „Wenn jetzt nicht, wann dann?“, ist die einigermaßen'berechtigte Frage, die man sich in den Reihen der Freiheitlichen stellt

FPÖ wieder: „Position gehalten“?

Die Freiheitlichen waren aber auch eifrig bemüht, diese günstige Ausgangsposition zu nützen. Sie eröffneten den Wahlkampf mit den ersten Plakaten (erst etwa vier Wochen später folgten die Sozialisten mit ihrer Plakatierungs-ouvertüre) und raubten unbewußt der ÖVP ihren vorbereiteten Propagandaeinfall von der „Europastadt Graz“, mit dem der Durchschnittswähler allerdings nicht viel anzufangen weiß. Die Politiker wahrscheinlich auch nicht, aber die Wahlstrategen hatten offenbar das Gefühl, daß dieser Spruch publikumswirksam sein könnte.

Die FPÖ konnte bei den Gemeinderatswahlen im Jahre 1958 18.019 Stimmen auf sich vereinigen. Das war sozusagen die blühendste Position dieser Partei. Denn bei den Nationalratswahlen im Jahre 1959 sank sie in Graz auf 16.288 Stimmen ab, erreichte bei den Landtagswahlen 1961 mit 15.892 Anhängern den Tiefpunkt und kam bei den Nationalratswahlen 1962 wieder auf 16.472 Stimmen. Damals hatte man sich mehr erhofft, vermeldete aber kurz und enttäuscht: Position ge-, halten!

Sechs im ganzen

Auch die Kommunisten haben wieder „Blut gerochen“: Die 5889 Stimmen, die ihnen am 23. März 1958 ein Gemeinderatsmandat einbrachten, verringerten sich im Jahre 1959 auf

1459, stiegen bei den Landtagswahlen auf 1880 an und blieben am 18. November 1962 in der Mitte: bei 1672 Stimmen.

Eine wahrscheinlich nicht entscheidende Unbekannte bei den kommenden Gemeinderatswahlen bildet der WGS, eine Gründung, die nur den sogenannten bürgerlichen Parteien schaden kann. Sie verbuchte auf ihrer Liste nur 41 Namen, hätte aber, nach Aussage eines ihrer Exponenten, „auch 60 aufbringen können.“

Der parteiungebundene „Wahlblock“ Gewerbetreibender und Selbständiger“, der seinen Tätigkeitsbereich auf einer Flugschrift auch noch auf alle „schaffenden Menschen“ erweitert, begründet sein Entstehen vor allem mit der Tatsache, daß „das Kleingewerbe und die Selbständigen im Grazer Gemeinderat keinen Sprecher haben.“ Eine allerdings etwas mit Vorurteilen behaftete Behauptung. Landwirt, Fleischermeister und E.-K.-Träger Anton Kristjan will aber außerdem noch die Heimkehrer und die „vergrämten“ positiven Kräfte ansprechen.

Sechs Listen wurden für die Grazer Gemeinderatswahl am 31. März eingereicht, sechs Hoffnungen (wenn man so I-Tüpferl reitet und die spaßige Wahlpartei der Unabhängigen mitrechnet). Ein schlichter Grazer Wähler bemerkte dazu unlängst mit schauderndem Interesse: „In dieser Wahl liegt alles drinnen.“ Und er hatte recht.

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