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Seine Majestät, der Nichtwähler

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Am 8. Oktober wird in Wien ein neuer Gemeinderat gewählt. Zugleich wird eine wichtige Vorentscheidung für die Nationalratswahlen des Jahres 1979 fallen, denn bundesweite Wahlen werden in der Regel in der Bundeshauptstadt entschieden. Kann die ÖVP hier nicht das Stimmenreservoir der Regierungspartei - und der NichtWähler - anzapfen, wird sie sich wohl im gesamten Österreich für eine weitere Legislaturperiode mit der zweiten Geige begnügen müssen. Anderseits ist für sie auch bei einer gelungenen Wahlschlacht um Wien der Kampf um Österreich noch lange nicht gewonnen.

Im Wiener Gemeinderat besitzen derzeit die SPÖ 66, die ÖVP 31 und die FPÖ drei Mandate - nach der neuen Wahlkreiseinteilung, die bei den bevorstehenden Wahlen zum Tragen kommen wird, steht es theoretisch 65 : 30 : 5. Während der Wiener SP-Landessekretär Rudolf Edlinger noch im April eine politische „Windstille“ konstatierte, wobei wohl der Wunsch Väter des Gedankens war, legte der Direktor des Instituts für empirische So-

zialforschung (IFES), DipL-Ing. Gehmacher, kürzlich bei einer Veranstaltung der „Aktion Besseres Wien“ eine derart rot eingefärbte Brille ab: „Daß die SPÖ in Wien Mandate verlieren wird,'ist mit freiem Auge zu sehen.“

Tatsächlich traut niemand der SPÖ zu, daß sie ihr Traumergebnis von 1973 (60,2 Prozent der Stimmen) wieder erreichen kann, obwohl ihr die diversen Pleiten der Gemeinde Wien und der Reichsbrückeneinsturz kaum geschadet zu haben scheinen, sieht man davon ab, daß die ÖVP durch den Reichsbrückeneinsturz zweifellos stärker wurde, weil sie in Erhard Busek einen neuen dynamischen Spitzenkandidaten erhielt. 1973 hatte bekanntlich die SPÖ aus der Not eine Tugend gemacht, indem sie Leopold Gratz als „Wunderknaben“ an die Stelle des im Sternwartepark-Dschungel gescheiterten Felix Slavik setzte. Seither hat Gratz bei den Wechselwählern zweifellos einiges von seiner damaligen Attraktivität eingebüßt.

Dabei signalisiert die sozialistische Kandidatenliste vor allem ein Bemühen um die Wechselwähler, weniger um die eigene Stammwählerschaft. Von den 194 Kandidaten sind 90 Angestellte, 64 öffentlich Bedienstete und nur 14 Arbeiter (ebenso viele sind Selbständige oder Freischaffende). Für die ÖVP sollen vor allem drei neue' Kandidaten - „Watschenmann“ Dr. Hansjörg Mauthe, der Generalsekretär im ORF, Dr. Paul Twaroch, und die leitende Angestellte Dkfm. Sigrun Schlick - die Kastanien aus dem Feuer holen. Daß die ÖVP stärker wird, steht außer Zweifel, fraglich ist nur, ob es für die 34 für den Vizebürgermeister nötigen Mandate reicht.

Wie weit sich in der Schlacht der Großen die FPÖ behaupten kann, die in Wien bei Gemeinderatswahlen stets über 7, bei Nationalratswahlen aber nur knapp 4 Prozent erreicht, ist nicht vorherzusagen. Daß die Freiheitlichen durch den Grazer Götz-Erfolg Auftrieb erhalten haben, ist noch keine Garantie für ein Behaupten der vorläufig nur auf dem Papier existierenden fünf Gemeinderatssitze.

Die Strategie der ÖVP, die in Wien derzeit fünf der 23 Bezirksvorsteher stellt und sich in zwei Bezirken (Mariahilf, Hietzing) gute, in zwei weiteren (Aisergrund, Döbling) zumindest heimliche Hoffnungen auf diese Würde machen darf, ist klar. Vor allem gilt es, die vielen Nichtwähler an die Wahlurnen zu bringen. Erfahrungsgemäß beträgt die Zahl der NichtWähler bei Nationalratswahlen rund 150.000, bei Gemeinderatswahlen aber wesentlich mehr (1973: 257.905, 1969: 307.001).

Die ÖVP bemüht sich nun, jene Wähler, die wohl bei Nationalratswahlen, aber nicht bei Gemeinderatswahlen ihr Votum abgeben, für die nächsten Wiener Regionalwahlen besonders zu motivieren. Mit gutem Grund, denn diese Wähler tendieren eindeutig zur ÖVP. Lautete das prozentuelle Verhältnis bei den Nationalratswahlen 1971 und 1975 jeweils 60 SPÖ: 34 ÖVP: 4 FPÖ, so zeigte sich bei Gemeinderatswahlen für die ÖVP immer ein ungünstigeres Ergebnis (1969:57 SPÖ:

28 ÖVP : 7 FPÖ : 5 DFP; 1973:60 SPÖ :

29 ÖVP : 8 FPÖ).

Eine geringe Wahlbeteiligung nützt erfahrungsgemäß der SPÖ. Die ÖVP wäre deshalb gar nicht böse, würde die SPÖ - da ihr doch eine geringe Wahlbeteiligung zugutekommt - an ihre Mitglieder die Empfehlung ausgeben, am 8. Oktober nicht zur Wahl zu gehen.

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