6868991-1978_16_01.jpg
Digital In Arbeit

Wien, ein bürgerliches Credo?

Werbung
Werbung
Werbung

Am Samstagdieser Woche ertönt das offizielle Signal für fast eine Viertelmillion sozialistischer Parteisoldaten zum Einströmen in die Bereitstellungsräume: Die Delegierten zum Wiener Landesparteitag der SPÖ werden erwartungsgemäß ihren Rathausmann Leopold Gratz mit einem bisher nicht dagewesenen Wahlergebnis zum neuen alten Landesparteivor-sitzenden wählen und damit parteiintern einen günstigen Wind für die nun merklich anlaufende Wahlauseinandersetzung um den Wiener Bürgermeistersessel schaffen.

In seinem Parteitagsreferat will Leopold Gratz seinen Zuhörern, darunter der oberste Würdenträger der Partei, Bruno Kreisky, über „Wien in den achtziger Jahren“ erzählen. Den Blick hält er also siegesbewußt in die Zukunft gerichtet, was für einen „regierenden“ Politiker erfahrungsgemäß nicht besonders riskant ist. Davon abgesehen dürfte es aus naheliegenden Gründen für Gratz wenig reizvoll sein, für seine Parteitagsrede das Thema „Wien in den siebziger Jahren“ zu wählen: Reichsbrücke, Bauring, Gasrohrgebrechen oder Stadtbahnunfälle geben aus sozialistischer Sicht für den Wahlkampf eben nicht viel her, was durchaus verständlich ist.

Gratz und der SPÖ zuliebe wird die SPÖ unter dem Motto „Wien zuliebe“ einen farbenfrohen Persilwahlkam pf führen. Auseinandersetzungen mit der Opposition werden die Sozialisten nicht suchen: Das brächte unerwünschte Profilierungsmöglichkeiten für Erhard Busek oder Erwin Hirnschall.

Knapp ein halbes Jahr vor den Wahlen vom 8. Oktober steht außer Diskussion: Es werden nicht nur Testwahlen sein. Die Wiener Landtagswahlen werden sehr entscheidend die weiteren Wege der Spitzenpolitiker und damit auch der von diesen vertretenen Parteien vorzeichnen.

Leopold Gratz muß trotz augenscheinlicher Wiedergeburt der bürgerlichen Idee das „Erreichte sichern“, also seinen Anteil von rund 60 Prozent der Stimmen zumindest annähernd halten, um weiterhin als geheimnisvolles Gratz-As im Talon des Bruno-Kreisky-Nachfolgespiels zu bleiben.

Darüberhinaus muß er aber der Volkspartei gegenüber geschickt taktieren. Will er die Stadträte der ÖVP wie in der abgelaufenen Funktionsperiode von der Zusammenarbeit ausschließen, wie sich das auch der Wiener Landesparteisekretär Rudolf Edlinger wünscht („Ich halte Koalitionen,

die 95 Prozent aller Abgeordneten in einer Regierung zusammenspannen, für die Demokratie für schädlich...“), muß er bedenken, daß er damit sich selbst als Spielfigur für eine große Koalition auf Bundesebene aus dem Verkehr ziehen kann.

Für Erhard Busek wird der 8. Oktober eine echte Feuertaufe: Bisher war er als intellektuelle Knackwurst mit Brille beliebtes Objekt parteiinterner Feierlichkeiten. Zweifellos verfügt Busek neben enormer Einsatzfreude und Kreativität über ein bestechendes rhetorisches Blendwerk. Jetzt aber kommt der große Auftritt in der Zirkuskuppel: ohne Netz und ohne Fangleine. Um als Wahlsieger beurteilt zu werden, wird Busek viele tausend Stimmen dazugewinnen müssen. Erhält Busek gleichviel Stimmen wie die ÖVP 1973, muß er wahrscheinlich auf Grund der neuen Wahlkreiseinteilung sogar ein Mandat an die FPÖ abgeben, was übrigens auch auf die Sozialisten zutrifft. Die Latte für Busek scheint insofern bereits recht hoch gelegt, als vermutlich nur ein Sprung auf den Vizebürgermeistersessel als echter Erfolg gewertet werden würde. Das heißt: Zu den momentan 31 Mandaten muß Busek eigentlich vier hinzugewinnen, um die für den Vizebürgermeister erforderliche Mandatszahl 34

beisammen zu haben und gleichzeitig die Tücken der neuen Wahlarithmetik auszugleichen.

Auch für die Freiheitlichen wird der 8. Oktober ein Lostag sein: War der große Sieg in Graz eine Eintagsfliege oder vollzieht sich eine blaue Tendenzwende? Erwin Hirnschall, der freilich als einziger aus der neuen Wahlkreiseinteilung mandatsmäßigen Nutzen zieht, wird es sehr schwer haben: Wien hat für die FPÖ nicht so fruchtbares Ackerland wie die Steiermark parat, Hirnschall befindet sich im Gegensatz zu Alexander Götz in der Rolle des Oppositionellen, der noch dazu im Schatten der von Busek angeführten größeren Oppositionspartei agieren muß.

Das persönliche Wahlziel des Wiener FPÖ-Pressemannes und Gemeinderates Holger Bauer lautet: Fünf Mandate. Anfang des Jahres durchgeführte Umfragen ergaben, daß die FPÖ Chancen hat, ihr 7,7 Prozent-Ergebnis von 1973 zu halten. Der inzwischen zum Peter-Nachfolger avancierte Götz, der seit ein paar Wochen auf den Wiener Plakat-Ständern Erwin Hirnschall über die Schulter schaut, soll noch mobilisieren helfen, was in Wien für die FPÖ mobilisierbar ist: Noch vor dem Sommer hat er zwei größere Auftritte in Wien, unmittelbar vor der Wahl steht er

wieder auf dem Programm: „Wir möchten ihn möglichst oft haben“, meint Bauer, für den die FPÖ in Wien mittelfristig für zwölf bis fünfzehn Prozent gut ist. Als Hoffnungspotential hater die Altersgruppe der 30- bis 35jährigen im Visier.

Auch Erhard Busek hat sich bereits um prominente Schützenhilfe für seine Partei umgesehen: Für den Landesparteitag am 28. April hat der Berliner CDU-Chef Peter Lorenz sein Kommen zugesagt. Mit Erich Kiesl, dem Uberraschungssieger aus München, und Alfred Rommel, dem „OB“ aus Stuttgart, wülBusek den Wienern in Erinnerung rufen, daß in der Bundesrepublik immer mehr große Städte von bürgerlichen Politikern verwaltet werden. „Wien - ein bürgerliches Credo“ ist der Titel eines demnächst bei Molden erscheinenden Busek-Buches, das den machtpolitischen Anspruch seines Autors intellektuell untermauern soll: Auf längere Sicht will Busek die absolute Mehrheit der SPÖ brechen und seine Partei in Wien zum Spitzenreiter machen. Jugendliche Schützenhilfe leistet schließlich ein Komitee, dem Vertreter der jungen ÖVP, des CV, der ÖSU und der Studentengruppe JES angehören.

Tatsächlich scheint in den Parteilokalen -der Wiener ÖVP in den letzten Monaten Leben eingekehrt.zu sein. Im Straßenbüd ist die Busek-ÖVP im Gegensatz zu früheren Wahlkämpfen immer wieder präsent. Die rund 10.500 Teilnehmer an der Vorwahl haben für neue Bewegung gesorgt, wobei insbesondere ORF-Mann Paul Twaroch als Newcomer der ÖVP im 9. Bezirk überraschte. Zur Verdeutlichung der Wien bejahenden Grundlinie trägt das Wien-Konzept der ÖVP den Namen „Pro Wien“—ganz im Gegensatz zu früheren Parolen wie „Diese Stadt ist krank“.

Ähnlich wie die FPÖ stützt die ÖVP ihre Hoffnungen auf die großen Zuzugsbezirke rund um die Stadt sowie auf den 3. und 19. Bezirk, wo je ein Grundmandat zusätzlich in erreichbarer Nähe scheint. Laut Landesparteisekretär Anton Fürst kann die ÖVP mit einem Zuwachs von vier Prozent der Stimmen (1973: 29,3 Prozent) rechnen: „Das behaupten Meinungsforscher aller Institute!“

SPÖ-Parteisekretär Edlinger ist da anderer Meinung. Nach den Umfragen, über die seine Partei noch vom Jahreswechsel verfügt, ist für die ÖVP der Vizebürgermeister nicht drinnen. Einen Vizebürgermeister Busek soll auch ein Arbeitsprogramm verhindern helfen, das unter Mitarbeit von 75.000 Wiener Sozialisten zusammengestellt wurde und als „Programm der Wiener“ auf einem eigenen Wahlkampf-Parteitag am 8. Juni verabschiedet werden soll. Im Gegensatz zum ÖVP-Produkt „Pro Wien“, das Edlinger als unfinan-zierbares „Wunschschreiben ans Christkind“ einstuft, soll das Programm der Wiener innerhalb von fünf Jahren realisierbar sein.

Sei es wie immer: Welche Programme Wunschschreiben fürs Christkind sind, wird sich wahrscheinlich nie herausstellen, da Programme bis zu einem gewissen Grad Unverbindliches an sich haben. Absolut verbindlich ist vorerst nur der am 8. Oktober artikulierte Wille. Und da ist der Wähler am Wort. Nicht das Christkind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung