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In Wien bleibt alles beim alten

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Seit zehn Jahren ist Leopold Gratz Bürgermeister von Wien. Die Probleme der Stadt sind nicht kleiner geworden, an Ideen zu ihrer Bewältigung fehlt es nach wie vor.

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Seit zehn Jahren ist Leopold Gratz Bürgermeister von Wien. Die Probleme der Stadt sind nicht kleiner geworden, an Ideen zu ihrer Bewältigung fehlt es nach wie vor.

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Erhard Busek, schwarz-grünes Aushängeschild, meinte noch in der Wahlnacht, daß die Gemeinderatswahl am 24. April wohl die letzte Wahl „traditionellen Stils“ gewesen sein dürfte. Was er damit andeutete: Das kritische Protestwählerpotential traut offensichtlich keiner der etablierten Parteien so recht zu, eine radikale Änderung des herkömmlichen „Poli- tikmachens“ zustande zu bringen.

Eine Analyse des Ergebnisses der Wiener Wahl macht dies deutlieh. Zwar verloren die regierenden Rathaussozialisten in manchen der Hochburgen an die vier Prozent Stimmen, was sich aber nur zu einem geringen Teil auf Seiten der Wiener Volkspartei zu Buche schlug.

Zur Erinnerung noch einmal das Wahlergebnis:

Die SPO Wien verlor insgesamt 1,7 Prozent und hält nun bei 55,5 Prozent Stimmenanteil, was gleichzeitig ein Schrumpfen ihres Mandatsstandes von 62 auf 61 Gemeinderatssitze bedeutet. Die Wiener Volkspartei konnte mit einem Stimmenanteil von nunmehr 34,8 Prozent 37 von insgesamt 100 Sitzen im Gemeinderat erringen — ein Zugewinn von zwei Sitzen.

Der Vollständigkeit halber: Die Freiheitliche Partei verlor in Wien eines ihrer drei Gemeinderatsmandate und erlangte nur durch eine Änderung der Stadtverfassung wieder Klubstatus im Rathaus.

Die Alternative Liste Wien schaffte im ersten Anlauf mit 2,5 Prozent zwar keine Gemeinderäte, stellt aber zehn Bezirksräte.

Wer nun geglaubt hat, daß die Wiener Sozialisten unter Bürgermeister Leopold Gratz auf die zweite Wahlniederlage in Serie mit einem Themenwechsel, auch mit der Präsentation attraktiver, unverbrauchter Personen reagieren würden, wurde bald nach der Wahl eines besseren belehrt.

Selbst die innerparteiliche Opposition außer acht lassend, stattete der Wiener Parteivorstand den angeschlagenen Bürgermeister mit einer Art „Generalvollmacht“ aus — ähnlich wie seinerzeit Bruno Kreisky nach seiner Niederlage bei der Atomvolksabstimmung.

Schon die Präsentation der neuen Stadtregierung löste allenthalben Enttäuschung aus.

Die drei neuen SP-Stadträte — Friederike Seidl, Franz Mrkvicka und Roman Rautner — gelten als Vertreter des verknöcherten Parteiapparates. Die übrigen sechs „Amtsführenden“ rekrutieren sich aus der alten, wenig erfolgreichen Gratz-Mannschaft.

In seiner Antrittsrede bezeich- nete Gratz „Stadterneuerung und Umweltpolitik“ als zentrale Auf gaben der kommenden Jahre. Nach zehn Jahren Amtszeit kann diese Ankündigung wohl nicht viel mehr als das Eingeständnis bisherigen Versagens in diesen Bereichen gewertet werden.

Der Vorrang, den die SP-domi- nierte Stadtverwaltung „grünen“ Anliegen gewähren will, wurde vom neuen Baustadtrat Roman Rautner nach seinem Amtsantritt gleich ins schiefe Licht gebracht. Der Bau- und Holzarbeiter-Gewerkschafter, in den letzten Jahren durch seine Ausfälle gegenüber Bürgerinitiativen zu Berühmtheit gelangt, will seiner Betonphilosophie auch in neuer Funktion nicht abschwören: Stadtautobahnen haben auch in Zukunft Vorrang, von einer Zu- rückdrängung beziehungsweise Eindämmung des Individualverkehrs in der Stadt wird nicht gesprochen.

Der neue Baustadtrat dürfte überhaupt zum Reibebaum all jener — äuch in der SP Wien — werden, denen eine alternative Stadt entwicklungspolitik am Herzen liegt. Alternative Stadtentwicklung meint: Weg von zentralen Versorgungseinrichtungen, weg von Großwohnanlagen, weg von hochleistungsfähigen Straßenbauten, die das Leben in der Stadt immer weniger attraktiv, die Flucht aus der Großstadt an den Rand immer mehr als erstrebenswert erscheinen lassen.

Das Versagen der Gemeindeverwaltung bei der Müllbeseitigung, das Debakel rund um den AKH-Neubau werden auch in der kommenden Gemeinderatsperiode wie ein Klotz am Bein kommunaler Neuerungsbestrebungen hängen.

Wie überhaupt wenig Geld für neue Initiativen und Projekte vorhanden ist. į Finanzstadtrat Hans Mayr will zwecks Budgetsanierung eine rigorose Sparpolitik, verbunden mit laufenden Tariferhöhungen für städtische Dienstleistungen, durchziehen.

Da wird es auch die oppositionelle Volkspartei nicht leicht haben, bei dem Beharrungsvermögen, das die Wiener Sozialisten an den Tag legen. Verständlich, daß sich der Forderungskatalog der Busek-Schwarzen zum größten Teil auf die Reaktivierung von Vorschlägen aus den letzten Jahren beschränkt, mit einer Konkretisierung im Bereich Bürgerbeteiligung: Die VP fordert ein „Bürgerbüro“ nach Grazer Vorbild.

Bleibt also Wien auch in den nächsten Jahren wie es in den letzten Jahrzehnten war? Mit einer anonymen, bürgerfernen Verwaltung und laufenden kommunalen Skandalen?

Nimmt man die ersten Aktivitäten der neuen Stadtregierung zum Maß, kann die Antwort darauf nur ja lauten.

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