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Haie und kleine Reform-Fische

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Wien wird durch Leopold Gratz erst schön, hatte es noch vor dreizehn Monaten, wenige Tage nach dem triumphalen persönlichen Erfolg des erst kurz amtierenden Bürgermeisters bei der Landtagswahl vom 21. Oktober 1973 geheißen. In seiner Antrittsrede nach der Konstituierung des neuen Gemeinderats wiederholte Bürgermeister Gratz seine kommunalen Zielsetzungen spürbar konkreter als dies nach dem Ausscheiden von Felix Slavik aus der Kommunalpolitik und während des Wahlkampfes geschah. Er versprach, die Wiener Stadtverfassung zu demokratisieren, mit allerlei Skandalen und Skandälchen aufzuräumen, das Danau-Inselprojekt neu zu überdenken, das UNO-City-Pro- jekt auf ein Normalmaß zu reduzieren, weltstadtgemäße Fußgängerzonen zu schaffen, das kulturelle Angebot an die Normalverbraucher beiderseits der Donau zu bringen, im sozialen Wohnbau neue Wege zu gehen, die Verkehrspolitik neu zu organisieren… Bürgermeister Leopold Gratz versprach das alles, da und dort ein wenig mehr, mit dem Brustton der Überzeugung und mit der Geste eines Mannes, der sich auf kommunale Realpolitik versteht. Bedenken, wonach es ihm doch eigentlich nach höheren Aufgaben in der sozialistischen Bundespolitik gelüste, wies er zurück: er sei, sagte er, nicht in die Wiener Kommunalpolitik eingestiegen, um sich davon bald wieder zu verabschieden; jedenfalls zwei Legislaturperioden wolle er im Amt des Wiener Bürgermeisters bleiben.

Das nährte die Hoffnungen auch des nicht-sozialistischen und kritischen Wählerpotemtials der Bundeshauptstadt. Heute, etwas mehr als ein Jahr später, sind diese Hoffnungen Enttäuschungen gewichen. Die Wiener Kommunalpolitik wird, wie auf dem Höhepunkt der Slavik-Ära, von einem in den anderen Skandal gejagt. Niemand vermag heute genau zu sagen, wie hoch das Defizit des von der Gemeinde Wien mit 97 Prozent beherrschten Baurings tatsächlich ist. Die Schätzungen liegen zwischen 600 Millionen und einer Milliarde Schilling. Erst schien es, als ob es Leopold Gratz gelänge, das dichte Netz der Beziehungen zwischen kommunaler Auftragsvergabe und kommerzialisierter Durchführung zu entflechten; heute ist davon selbst unter den bedingungslosen Anhängern von Leopold Gratz nicht mehr die Rede. Es vergeht kein Monat, da nicht neue Hintergründe dieses größten kommunalen Skandals des Nachkriegs-Wien im Rathaus diskutiert werden. Dazu kommt, daß die personelle Zusammensetzung der neu-errichteten kommunalen Holding alle Hoffnungen auf eine neue Ära im kommerzialisierten kommunalen Bereich zunichte gemacht hat. Heute steht an der Spitze dieser Holding mit Josef Machtl jener Mann, der schon in der Slaivk- Periode die Drähte zwischen dem Business und der Kommunalpolitik gezogen hat. Was immer Leopold Gratz dazu veranlaßt hat — wahrscheinlich die Macht der roten Bezirks-Haie im sozialistischen Wien, seine Reform-Versprechen sind kleine Fische geblieben.

Gratz versprach vor bald vierzehn Monaten, er werde das umstrittene Donauinsel-Projekt neu überdenken und vorurteilsfrei entscheiden. Die Donauinsel (aber auch die UNO- City) werden weiter gebaut, so als hätte es nie Kritik an diesen Projekten gegeben und so als hätte der Wiener Bürgermeister nie versprochen, die Pro» und Kontra noch einmal genau zu überprüfen. Die neuen

Wege von Leopold Gratz im kommunalen Wohnbau beschränken sich darauf, das sogenannte §-7-Verfah- ren (also die Erhöhfing der Mieten bei Hausrenovienungen) auch im sozialen Wohnbau einzuführen. Dafür mag es angesichts des Zustandes zahlreicher Gemeindebauten viele und gute Gründe geben, nur, Leopold Gratz hat in seiner ersten Rede vor dem Wiener Gemeinderat im Juni 1973 versprochen den sozialen Wohnbau in Wien noch sozialer zu gestalten.

Im kulturellen Bereich der Bundeshauptstadt ist nichts geschehen, was die großen Erwartungen gerechtfertigt hätte. Nach wie vor gibt es keine echte Verständigung zwischen der Stadt und ihren Universitäten und Hochschulen; der Wiener Bürgermeister, noch vor wenigen Jahren Kulturzuständiger auf Bundesebene, hat mit keiner öffentlichen Äußerung in die Vorgänge um die Besetzung der Direktoren im Burgtheater und in der Staatsoper eingegriffen, obwohl es dazu aus Wiener Sicht sehr viel zu sagen gibt.

So beschränkt sich das Versprechen, das visuelle Angebot der Bundeshauptstadt an die Normalverbraucher heranzubringen, auf die Errichtung einer Fußgängerzone in der

Kämtnerstraße. Und dieses Projekt, jetzt im Spätherbst merkt man es besser als im Sommer, ist fehlgeschlagen. Heute wirkt die Kärnter- straße in dem Sinne „demokratisiert“, daß sie auch als Verbindungsweg etwa in der Großfeldsiedlung fungieren könnte.

Am glaubwürdigsten aber wirkte Leopold Gratz seinerzeit mit dem Versprechen, die Wiener Stadtverfassung zu demokratisieren. Heute liegen die Veränderungsvorschläge vor: sie laufen im wesentlichen darauf hinaus, die Rechte des Bürgermeisters und der Mehrheit zu stärken. Der Wiener Bürgermeister soll laut Gesetzentwurf das Recht haben, Gameinderatsbeschlüsse zu sistieren und mit Hilfe von Notverordnungen über Millionenbeträge unumschränkt zu verfügen. Das Kontrollamt bleibt ihm wie zu Felix Slaviks Zeiten, unterstellt. Für Volksbegehren in Wien ist die Zustimmung von rund zehn Prozent der Wähler (120.000 Unterschriften) notwendig. Hätte es diese Bestimmung schon vor einem Jahr gegeben, das umstrittene Volksbegehren über den Stemwartepark wäre nie zustande gekommen und Felix Slavik könnte noch immer dort sitzen, wo heute Leopold Gratz residiert.

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