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Politischer Wustensand?

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Saugfähig wie der saudiarabische Wüstensand, in dem die Steuermillionen der Wiener versickerten, scheint der Sand in der Wiener politischen Arena zu sein, in dem die Spuren eines Skandals mehr und mehr verschwinden. Eben die Spuren dessen, was dabei ist, als Bauring-Skandal in die an Präzendenzfällen reiche österreichische Nachkriegsgeschichte einzugehen. Ist es erst einmal dort angelangt, können es die einen aufgeben, auf Konsequenzen zu hoffen, brauchen die anderen solche nicht länger zu fürchten. Noch ist, um im Bilde zu bleiben, ein nasser Fleck in der Arena sichtbar. Aber er verschwimmt mehr und mehr mit seiner Umgebung, der (geographisch wie politisch) näheren und weiteren.

Was kann der Rathausmehrheit in diesem Falle überhaupt noch passieren? Die Gemeinderatswahlen hat sie zu einem Zeitpunkt glänzend überstanden, als der Bauring-Skandal längst ruchbar war. Er hat ihr nicht geschadet. Was kann ihr überhaupt schaden? Was kann in Österreich eine Partei diskreditieren?

Gut, man muß Bürgermeister Gratz zugestehen, sich und die Seinen bestens aus der Affäre gezogen zu haben. Die Flucht nach vorne war so glänzend inszeniert, daß sie geradezu zum politischen Vormarsch wurde. Der neue Bürgermeister ging als politischer Saubermann ins Ziel. Peinlich korrekt beim Bereinigen einer Vergangenheit, die man ja in Wien bekanntlich am allerliebsten begraben würde, bevor sie passiert ist. Ein Mann mit dem drohend geschwungenen Finger: Daß mir das ja nicht wieder passiert! Im Bauring selbst: Schaumgebremstes Schuldbewußtsein.

Offen sind überhaupt nur noch zwei Fragen. Die nach der endgültigen Schadenshöhe. Die Rathausmehrheit hat bereits beschlossen, zur Bereinigung des Abenteuers bis zu 550 Millionen Schilling springen zu lassen. Vorerst weiß niemand genau, wieviel es sein wird — noch ist die Straße in Saudi-Arabien nicht fertiggestellt. Der Verdacht liegt nahe, daß man mit den 550 Millionen gerade auskommen wird. Der echte Verlust war höher.

Der vom Rathaus vorläufig gesetzte 550-Millionen-Rahmen bedeutet für jeden Wiener Wahlberechtigten einen Verlust von 460 Schilling. Wenn man aber vom echten Gesamtverlust ausgeht, entfällt derselbe Betrag auf jeden einzelnen Einwohner der Bundeshauptstadt, bis hinunter zu den Neugeborenen. Was soll all das beschönigende Gerede über Bauring-Direktoren, die ihre Befugnisse teils ausnützten, teils überschritten, als sie auszogen, in Saudi-Arabien kapitalistische Haifische zu mimen? Die Bauringdirektoren hatten genau jene Befugnisse, die ihnen das Rathaus gab, und sie genossen dessen Vertrauen. Über den Bauring hat die Wiener Stadtverwaltung hasardiert und verloren.

Die zweite offene Frage ist die nach der zivilrech'tlichen Belang-barkeit der beiden ehemaligen Bauring-Direktoren, um deren Pensionen (Muß man sie weiterzahlen? Rann man sie streichen?) es jetzt geht. Auch hier kann der sympathische junge Mann im Rathaus, der seine Sauberkeit wie seine Schüchternheit so geschickt auszuspielen vermag, nur gewinnen. Wenn die Anwälte, die schon auf einige Erfolge in Olaih-Zusammenhängen zurückblicken und auch seinerzeit den Bananenprozeß der Gewerkschaft gewonnen haben sollen, und jetzt diese Frage prüfen, zu dem Schluß gelangen, daß die Pensionen leider weitergezahlt werden müssen, na, dann hat es der Bürgermeister wenigstens versucht. Kann die Pensionszahlung aber eingestellt werden, ist vorauszusehen, daß die moralischen Sündenböcke auch noch zu finanziellen Sündenböcken werden — ihr Beitrag zur Abdeckung der Bauring-Pleite hätte allerdings nur Symbolwert, denn selbst eine verfallene 30.000-Schilling-Pen-sion würde sich bei ltoialiger Auszahlung pro Jahr erst in 200 Jahren zur vollen Schadensabdeckung summieren, wobei wir die Verzinsung großmütig vergessen haben.

Politisch wäre eine solche Pensionsstreichung freilich für die Rathauspartei den halben Bauring-Schaden wert, denn wer könnte Gratz dann noch die Qualifikation als strahlender Rathaus-Saubermann streitig machen? Ernstlich — niemand. Die nächste Gewinnhoffnung des Baurings droht sich bereits als Pleite zu entpuppen — wer wird nodvdavon reden? Gratz hat die große Rute geholt und den schlimmen Knaben Bauring gezüchtigt. Wer redet nach erfolgter Bestrafung noch viel darüber, wenn der Ball nicht nur eine Scheibe, sondern ein Doppelfenster zerschlagen hat?

So wird die Bauring-Affäre denn möglicherweise als jenes Ereignis in die Lokalgeschichte eingehen, das zum Testfall dafür wurde, daß Milliardenpleiten hierzulande politisch ohne Folgen bleiben. Aber auch als ein Ereignis, dessen Behandlung nicht gerade das Vertrauen einflößt, daß daraus wenigstens gelernt wurde, wie man Wiederholungen verhindert. Denn dies ist der deprimierendste Aspekt der ganzen Bauring-Gausa: Hier konnte und mußte die neue Rathausspitze erstmals ihren neuen Stil, mit derartigen Affären fertigzu-werden, demonstrieren. Und was hat sie dabei gezeigt? Einen glänzenden Stil und außerordentliches Geschick im Fertigwerden mit vollzogenen Tatsachen. Doch vor jenem Zeitpunkt, als eben-diese Tatsachen einfach nicht mehr abzustreiten waren, hat der neue Mann im Rathaus nichts Neues gezeigt; nicht das, was er hätte zeigen müssen, wenn man ihm den neuen Stil wirklich glauben soll. Nämlich: Erhöhte Empfindlichkeit für Dinge, die sich erst anbahnen.

Die Tatsache, daß der Bauring mit einem militärischen Projekt in einem politischen Krisengebiet Geld machen wollte, hat im Rathaus keineswegs den zu erwartenden Entsetzensschrei ausgelöst — keineswegs den großen Knüppel gelockert. Erst die Pleite, die finanzielle, nicht die politische, löste den Alarm aus.

Ein Flughafen, gebaut vom Wiener Baufing in einem arabischen Land — das wäre wohl glatt über die Bühne gegangen und noch als Erfolg' gefeiert worden, wenn der Bauring dabei nicht Verluste, sondern Gewinne gemacht hätte.

Dieses Geld hätte gestunken.

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