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Kein Fest für Leopold Gratz
Es gibt kaum einen hohen sozialistischen Funktionär, der heute Leopold Grata um die Funktion des Wiener Bürgermeisters imd SP-Vorsitzenden beneidet. Auch Leopold Gratz dürfte längst erkannt haben, worauf er sich damals — im Herbst 1975, also noch verhältnismäßig lange Zeit vor dem offiziellen Rücktritt Felix Slaviks vom Amt des Wiener Bürgermeisters — eingelassen 'hatte, als er zustimmte, sich bei nächster Gelegenheit für das Wiener Bürgermeisteramt zur Verfügung zu stellen.
Vordergründig stolperte Slavik über die Baum-Geschichte im Wiener Sternwartepark. Das war die von ihm heiß ersehnte Chance, zurückzutreten, ehe der „Bauring“-Skandal aktuell wurde. Jener Skandal, der die Wiener Steuerzahler nach dem Reehnunigsstrich vielleicht eine, vielleicht aber auch 1500 Millionen Schilling kosten wird. Jener Skandal, der der Wiener SPÖ möglicherweise — wenn böse Zungen recht behalten — einiges Geld gebracht — aber wahrscheinlich noch keine Reputation gekostet hat. Jener Skandal, in den so ziemlich die ganze Rathausmannschaft verwickelt ist, von einigen wenigen Stadträten abgesehen (etwa den Gesundheitsstadtrat Stacher) — ein Planiungssitadtrat — Fritz Hofmann — geradeso wie ein Informationsstadtrat Peter Schieder.
So, wie der Bauring-Prozeß angelegt ist, sollen das Gerichte nicht aufdecken. Aus der Sicht der Wiener Rathaus-SPÖ besteht nur die Gefahr, daß noch und immer mehr Dokumente die Qualität eines Systems, in dem wohl .geben“ und „nehmen“ die wichtigste Rolle spielt, bloßlegen. Wozu kommt, daß heute im Rathaus gar niemand mehr übeiblicken kann, was wer zu welchem Zeitpunkt auf Akteiwermerken und Protokollen aus der Hand gegeben hat.
Am 15. Mai ließ sich Bürgermeister Leopold Gratz auf dem Landesparteitag der Wiener Sozialisten feiern und mit 95 Prozent als Lan-desparteiobmann bestätigen. Auch die anderen Rathau sfunktionäre erhielten einen respektablen Zuspruch der Delegierten, die, wüßten sie alles über den Bauring-Skandal, wahrscheinlich zögern würden, der Partei soviel Applaus zu spenden. Laut „Arbeiter-Zeitung“ legte Leopold Gratz in seinem „Referat eine überaus erfolgreiche Bilanz vor: „Auf allen Gebieten wurde bereits zur Halbzeit der Gesetzgebungsperiode das Arbeitsprogramm mehr als zur Hälfte erfüllt“.
Es hat gar keinen Sinn, gegen solche Behauptungen zu wettern. Wenn einer glaubt, daß grün rot ist, soll man sich erst gar nicht darauf einlassen, Farben-Fragen genauer zu erörtern.
Leopold Gratz hat in einem Gespräch mit den „Salzburger Nachrichten“ erklärt, daß er „beim Bauring alles getan hat, um die Verantwortlichkeit zu bereinigen“. Ob er das tatsächlich glaubt? Dann aber sagt er auch: „Der Bürgermeister von Wien ist grundsätzlich für alles verantwortlich. Daher bin ich auch schuld,“
Dieses Eingeständnis schafft eine kleine Chance, an Leopold Gratz nicht eu verzweifeln. Seine Rede vor den Delegierten am 15. Mai räumte diese kleine Chance aber leider wieder aus: es gibt nichts, was in Wien zu verteidigen wäre. Und sein Bundesvorsitzender Bruno Kreisky, der ja auch spätestens im Herbst 1972 erfahren haben dürfte, wie es um den Bauring tatsächlich bestellt ist, meinte in der Festrede: „Ich kenne keine Hauptstadt Europas, in der so große Vorhaben verwirklicht werden wie heute in Wien“.
Aber dabei geht es gar ndcht mehr nur um den Bauring, um die Verluste, die dieser Gemeindebetrieb erwirtschaftet hat, um die Provisionen, die über Scheichs, liechtensteinische Banken (auch etwas näher gelegene Privatbanken), geflossen sind. Es geht heute auch um technische und Finanzprobleme bei der Errichtung des Allgemeinen Krankenhauses, der UNO-City, der U-Bahn... Und in alten diesen „großen Vorhaben“ steckt ein wenig Bauring-Moral drinnen. Und für alle diese großen Vorhaben sollten längst nicht mehr ein paar Techniker und Manager, sondern vor allem Politiker zur Verantwortung gezogen werden...
Und Leopold Gratz darf das zu allerletzt freuen. Sein .großer politischer Traum vom Bundespräsidenten der Republik Österreich verliert mit jedem Tag, an dem er über die Lebensqualität in der Stadt philosophiert, an Realitätsnähe. Frißt auch ihn das „Rathaus-System“ auf?
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