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Rathaus -Rochaden

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In der nächsten Woche wollte Gratz die Namen jener Politiker nennen, die das Rathaus-System entrümpeln sollten. Dies kündigte er bald nach dem Einsturz des größten Wiener Verkehrsweges, der Reichsbrücke, an. Seither wurden kaum Gedanken über die Zukunft der Bundeshauptstadt geäußert, sondern die angekündigte Bereitschaft zum Saubermachen wurde vor allem in Bemühungen, die Mitschuldigen an der Reichsbrückenkatastrophe freizusprechen, umgesetzt. Ex-Stadtrat Hofmann ist wieder wer, kann seine noch festere Verankerung in der Wiener SP-Zentrale und seine bestätigte Funktion als Wiener Partei-obmann-Stellverfreter aus den Trümmern retten. Trägt er auch die Reichsbrücken-Verantwortung, so soll er nun die langfristige Strategie der hiesigen Kommunalpolitik entwerfen und bestimmen. Selbst den Bundesländer-Sozialisten ist derlei Personalpolitik unbegreiflich, was ihnen zunächst freilich nichts als Schelte von Leopold Gratz eintrug, der doch einst von Demokratie und freier Meinungsäußerung so viel hielt.

Der höchste Wiener Baubeamte Seda, ein Günstling des Vizebürgermeisters Pfoch, dürfte im Amt bleiben. Die nach der Landtagswahl 1973 von Gratz eingeführte Reduktion der Stadtratsgarnitur von zehn auf acht wird bestimmt wieder zurückgenommen. Plötzlich wissen die Rathaus-Verantwortlichen, daß sich dieses vor kaum drei Jahren eingeführte System der Ressortverteilung infolge Unübersichtlichkeit nicht bewährt. Gratz sagt „mea culpa“, aber in der Wiener Kommunalpolitik werden Fragen von Schuld und Sühne am Rande behandelt.

Fest steht, daß der nach außen so liberale Gratz bei der Besetzung der zwei oder drei neuen Stadträte keinesfalls auf Nicht-Parteimitglieder zurückgreifen wird. Sie dürfen Experten sein, meinte Gratz, aber sie müssen auf jeden Fall das Mitgliedsbuch in der Tasche haben. Das war bislang immer der beste Ausweis für eine Befähigung im Rathaus-System. Der Meidlinger ÖGB-und Nationalrats-Präsident Anton Benya soll Gratz schon klargemacht haben, daß unter allen Umständen ein Gewerkschafter in den Stadtsenat einziehen muß. Fritz Hofmann, dessen Frau das Gewerkschaftssekretariat von Anton Benya leitet, steht dem ÖGB sehr nahe. Sein Nachfolger dürfte der Zentralsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten, Helmut Braun, ein Mann, dessen kommunalpolitische Fähigkeiten durch nichts bewiesen sind, werden. Eine AMöse des Finanzstadtrates Hans Mayr — er gilt als scharfer Kritiker der Gratzschen Bauring-Politik — durch den Finacz-wissenschaftler Egon Matzner (er sollte schon 1973 in den Stadtsenat einziehen und arbeitet derzeit am wirtschaftspolitischen Teil des nächsten SPÖ-Grundsatzprogramms) wird von Gratz kleinlaut gefordert, dürfte aber von der Favoritner SPÖ, der Matzner formal angehört, abgelehnt werden.

Als Jolly Joker für Stadtratsposten bietet sich auch der Parteiangestellte und Gemeinderat Rudolf Edlinger an. Er fiel bald nach Bekanntwerden des Reichsbrückeneinsturzes durch die Bemerkung auf, daß möglicherweise die Wiener ÖVP schon lange davon gewußt haben muß. Im übrigen wirkt er auf die Sozialistische Korrespondenz heftig ein, immer wieder zu betonen, daß die Reichsbrücke doch in der Ära des Ständestaates errichtet wurde. Ernsthaft überlegt wird in der Wiener SPÖ dem Vernehmen nach auch die Absetzung des Vizebürgermeisters Pfoch, dem man im Zusammenhang mit dem Reichsbrücken-Einsturz zwar keine besonderen Versäumnisse nachsagen kann, der aber Gratz nicht zu Gesicht stehen soll.

Gratz weiß, daß er rasche und wirksame Personalmaßnahmen vorzunehmen hätte, weil schon das nächste spektakuläre Ereignis die Wiener Kommunalpolitik beschäftigen wird: Der Bauring-Prozeß im

kommenden Herbst, wenn es nicht dem Leiter der Rechtsanwaltskanzlei von Justizminister Dr. Broda, Dr. Herbert Schachner (er verteidigt die Hauptangeklagten Wawrowetz und Zöllner), doch noch gelingt, eine Vertagung des Bauring-Prozesses zu erreichen. Allerdings gibt es auch in der SPÖ Kreise, die etwas daran auszusetzen haben, daß ausgerechnet der in Verlags- und Zeitungsangelegenheiten eng mit der Wiener SPÖ zusammenarbeitende Schachner die

Bauring-Hauptangeklagten verteidigt.

Gratz schweigt und konzentriert sich vor allem darauf, die Splitter lim Auge der Wiener ÖVP zu entdecken, um die Balken in den Augen seiner Parteiorganisation und der Wiener Kommunalpolitik zu kaschieren. Er und seine Organisation lassen sich nicht mehr kritisieren, weshalb sie sich nach außen auch gar nicht mehr genieren.

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