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Das alte Lied mit besserem Dirigenten

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In jener seligen Zeit, in der noch die Buben auf den Gassen, in Ihren Gaßn, ballestern konnten, wie es Josef Weinheber beschreibt, gab es ein aufregendes Spiel. Es hieß köschern. Ein Könner, ein Jaß, zog mit souveräner Geste einen kleinen Vollgummiball aus seiner Hosentasche und forderte eines der Ar-mitschkerl, die keinen Ball hatten, auf, in einem Fußballdribbling um den Ballbesitz zu kämpfen. Der Jaß ließ scheinbar andere mitspielen. Aber fast nie kam sein Spielpartner in den Ballbesitz. Der Ballbesitzer war eben ein Jaß. Zum Schluß nahm der Könner den Ball auf, steckte ihn mit Siegermiene ein und ging mit ein bißchen mehr Ruhm vom Platz.

Bruno Kreisky versteht nicht nur etwas vom Fußballsport. Er ist der Jaß in der SPÖ und gespielt wird in seiner Gassen. Den Unterschied zum Best der SPÖ möchte unsereins Klavier spielen können. Nach der kurzen, aber stürmisch verlaufenen Marx-Renaissance der sechziger Jahre, die unter den Nichtmarxisten allerhand Aufregungen und Verwirrungen hervorrief, zog der Vorsitzende Bruno Kreisky auf dem Parteitag der SPÖ 1972 mit der größten Gelassenheit das Ideologieproblem hervor. So, als gäbe es keinen Neomarxismus, keine Neue Linke, keine Jusos, keinen Regisseur der linken Linken namens Günther Nenning, ja überhaupt keine Frage: was ist Sozialismus.

Immerhin: der Ball war im Spiel. Aber einige ließen sich gar nicht köschern. So zum Beispiel Günther Nenning, der zuletzt offenbar eher anläßlich einer Diözesansynode als auf einem SPÖ-Parteitag zu Wort kommt. Während im benachbarten München die Jusos auf dem dortigen Parteitag der SPD den Vogel abschössen, gemeint ist der erfolgreiche Oberbürgermeister der Olympiastadt 1972, Vogel, wurde in Villach nach dem ideologischen Dribblingmanöver des Vorsitzenden weder geschossen noch erheblich über Ideologie diskutiert.

Bruno Kreisky fing damit an, daß er das Programm der SPÖ aus 1958 für bombensicher erklärte. Er legte eine lexikalisch stilisierte Definition des Sozialismus auf den Tisch: eine Formel, die weniger an Sozialisten adressiert ist als an Wähler, die an sich keine Sozialisten sind, die aber der jetzigen Regierungspartei auf Dauer die Macht im Staate erhalten sollen. Daß es jetzt der Regierung Kreisky auf diese Wähler ganz besonders ankommt, erklärte der Vorsitzende wörtlich und nachdrücklich.

Der Pivot, der Aufhänger, für den Begriff Sozialismus war das Bekenntnis zur klassenlosen Gesellschaft. 65 Jahre sind vergangen, seit Karl Lueger in seinem politischen Testament für seine Christlich-Soziale Volkspartei das Modell der „klassenlosen Volkspartei“ gefordert hat. Im Zeitalter der „Partnerschaft“ an Stelle von Klassenkampf von „klassenlos“ zu reden, ist also nicht so originell und an sich keine groß angekündigte Ideologiediskussion wert.

Indessen: der Klassenfeind mußte im Kampfgelände festgestellt werden. Viele Sozialisten sehen diesbezüglich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Da sie bereits mitten im Kapitalismus angesiedelt sind, nicht nur im Staatskapitalismus, sondern im privaten der Bourgeois, ist es für sie selbstverständlich, daß sie in den Gewässern schwimmen, gegen die sie anfänglich die Dämme einer klassenlosen Gesellschaft errichten wollten.

Seit der Affäre Schranz wissen auch die psychologisch weniger geschulten Zeitgenossen, daß das Erhabene nur nach Erniedrigung des Minderwertigen groß dasteht; daß das Gute erst in der Schwarzweißmalerei der Imagefabrikation zur Geltung kommt; daß das Ansehen einer Richtigkeit die öffentliche Verurteilung des Irrenden voraussetzt. Und also hielt der Vorsitzende einem der Banker in der SPÖ (Banker ist ein ent-ideologisierter Bankier kapitalistischer Prägung) vor, er hätte ganz und gar unrecht, wenn er den Kapitalismus in Österreich übersähe. Dieser Banker ist stellvertretender Generaldirektor der österreichischen Nationalbank, Exwirtschaftsideologe des ÖGB und hatte in den als Leitfaden der Ideclogiediskussion der SPÖ gedachten „Roten Markierungen“ (Wien, 1972) bereits eine Position jenseits des Kapitalismus ausgemacht. Was im Sinne der politischen Positionsstrategie heißt: die SPÖ hat die Zone des Kapitalismus nicht zerstört, sondern erfolgreich durchschritten. Besagter Banker, der auf dem Parteitag emanzipiert vom bürgerlichen Kragenzwang im Rollkragenpullover der Aufsässigen erschien, weist in den „Roten Markierungen“ nach, daß das also Erreichte gar nicht so übel ist.

Aber diesen Ball nimmt ihm der Jaß ab. Vom Kapitalismus kann in der SPÖ nicht die Rede sein, und im übrigen gebe es derlei noch genug in Österreich. Wieviel? Soviel oder sowenig, daß es sich nach der Ansicht des Vorsitzenden gar nicht mehr dafürsteht, den vorhandenen Rest in den Status des Staatskapitalismus, der Verstaatlichung, zu überführen. Mit einem gekonnt ausgeführten Rechtshaken überdribbelt der Vorsitzende seinen Vizekanzler Häuser, der (noch dazu vor der Nationalratswahl 1971) von einem Fortschreiten im Verstaatlichungsprogramm sprach. Aber geredet wird viel.

Den Kapitalismus, oder was von ihm blieb, und die geordnete Nachbarschaft zum Wirtschaftsliberalismus ging der Vorsitzende nicht an. Er weiß, daß die Bonner Linkskoalition ins Wackeln kam, als ihr Projekt einer „gerechten Eigentumsverteilung“ eher die Tendenz einer „Aufteilung“ des bereits Vorhandenen bekam und die Geldgeber der zur Mehrheitsbildung unerläßlichen FDP kategorisch erklärten: hier hat der Spaß ein Ende.

Nachdem die jungen Technokraten der Partei, Klubobmann Gratz und Finanzminister Androsch, mit ihren Ausführungen große Flächen des Diskussionsraumes überdeckt hatten, landete die Ideologiediskussion in der Ecke, aus der die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Österreich kommen soll.

Obwohl der Vorsitzende in einer nachfolgenden Pressekonferenz erklärte, es gebe in Österreich keinen Boulevardismus, erklärten die Wiener Boulevardblätter zum Teil, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sei das wirklich Neue. Man

(Fortsetzung auf Seite 2)

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