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Romisches Muster - europaisches Modell?

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Italiens Wähler haben den Knoten des italienischen Regierungspaktes nicht durchtrennen können. Keine Gruppierung verfügt über eine absolute Mehrheit — und sollen nicht die Neo-faschisten das alles entscheidende Zünglein ,sein (was niemand will), dann muß in Italien eine Gruppe jetzt Farbe bekennen: die Sozialisten.Tatsächlich hängt jetzt alles davon ab, ob die italienischen Sozialisten unter ihrem Chef de Martino jetzt lieber mit den gestärkten Christdemokraten gehen wollen — oder aber mit den Kommunisten. Demokratie oder Volksfront: die Frage ist — leider —■ wirklich ganz einfach zu formulieren. Was hinter dem Vorgang freilich steht, der aus treuen Partnern der DC in einer seinerzeitigen Mitte-Links-Regierung offene Hilfstruppen der KP machte, ist ein Umdenkprozeß in den sozialistischen Parteien ganz Westeuropas. Es ist einfach Blindheit, wenn man nicht die völlig veränderte Szenerie sieht, die sich am europäischen Horizont jetzt ergibt. Vom portugiesischen Abenteuer — wo Sozialisten und Kommunisten immerhin ein Jahr lang engstens zusammengearbeitet haben, über das Volksfront-Bündnis in Frankreich zur Volksfront-Erklärung der italienischen Sozialisten zieht sich eine — freilich gewundene — Linie. Daß auch österreichische Sozialisten, wie der „Junge-Generations“-Chef Alfred Ko-necny letzte Woche, in Enrico Berlinguers KPI einen Partner erkennen, vervollständigt nur das Spektrum.Wie sich die italienische SP-Entscheidung für Europa in den nächsten Wochen allerdings auswirken wird, kann jetzt noch nicht abgeschätzt werden. Aber keine sozialistische Partei in Europa wird sich jetzt mehr um die Gretchenfrage drücken dürfen, wie sie es mit den Kommunisten als nationale und internationale Partner hält.

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Italiens Wähler haben den Knoten des italienischen Regierungspaktes nicht durchtrennen können. Keine Gruppierung verfügt über eine absolute Mehrheit — und sollen nicht die Neo-faschisten das alles entscheidende Zünglein ,sein (was niemand will), dann muß in Italien eine Gruppe jetzt Farbe bekennen: die Sozialisten.Tatsächlich hängt jetzt alles davon ab, ob die italienischen Sozialisten unter ihrem Chef de Martino jetzt lieber mit den gestärkten Christdemokraten gehen wollen — oder aber mit den Kommunisten. Demokratie oder Volksfront: die Frage ist — leider —■ wirklich ganz einfach zu formulieren. Was hinter dem Vorgang freilich steht, der aus treuen Partnern der DC in einer seinerzeitigen Mitte-Links-Regierung offene Hilfstruppen der KP machte, ist ein Umdenkprozeß in den sozialistischen Parteien ganz Westeuropas. Es ist einfach Blindheit, wenn man nicht die völlig veränderte Szenerie sieht, die sich am europäischen Horizont jetzt ergibt. Vom portugiesischen Abenteuer — wo Sozialisten und Kommunisten immerhin ein Jahr lang engstens zusammengearbeitet haben, über das Volksfront-Bündnis in Frankreich zur Volksfront-Erklärung der italienischen Sozialisten zieht sich eine — freilich gewundene — Linie. Daß auch österreichische Sozialisten, wie der „Junge-Generations“-Chef Alfred Ko-necny letzte Woche, in Enrico Berlinguers KPI einen Partner erkennen, vervollständigt nur das Spektrum.Wie sich die italienische SP-Entscheidung für Europa in den nächsten Wochen allerdings auswirken wird, kann jetzt noch nicht abgeschätzt werden. Aber keine sozialistische Partei in Europa wird sich jetzt mehr um die Gretchenfrage drücken dürfen, wie sie es mit den Kommunisten als nationale und internationale Partner hält.

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Zwar hatten sich die Panteichefs aus 18 Staaten beim internationalen Sozialistentreffen im dänischen Helsingör im Jänner 1976 noch angesichts der heiklen Entscheidung, die für manche Schwesterpartei auf nationaler Ebene (etwa in der Bundesrepublik) wahltektisch höchst brenzlig werden könnte, zu einer betont diplomatischen Sprachregelung durchgerungen: Ein Vorgehen en bloc könne es nicht geben, denn zu differenziert, seien die historischen und aktuellen Erfahrungen im Umgang mit Kommunisten, zu unterschiedlich auch das jeweilige politische Gelände; aber man müsse immerhin die „besondere Situation“ der Genossen in Südeuropa berücksichtigen.

Am gelassensten geben sich nach wie vor die Soziajistenchefs Bruno Kreisky und Olof Palme: vor Schwierigkeiten in dieser Frage stünden eigentlich nur die Kommunisten, denn für eine „Mitbeteiligung im demokratischen Prozeß“ müßten die kommunistischen Parteien verschiedene ideologische Grundlagen preisgeben: beispielsweise den proletarischen Internationalismus oder die Abhängigkeit von Moskau. Damit aber würden sie zu Reformisten — fast zu Sozialisten. So einfach ist das also. Freilich sieht es nicht jeder so kühl.

Vor allem der deutsche Kanzler Helmut Schmidt, als nicht gerade hochkarätiger Sozialiist den Linken längst ein Dorn im Auge, verficht nach wie vor die scharfe Abgrenzung zum Kommunismus. Schmidt verbürgte sogar sein politisches Gewicht dafür, daß in der Bundesrepublik ein Zusammengehen von SPD und DKP ausgeschlossen bleiben würde. Einem Kokettieren mit dem listorischen Gedanken einer Volks-ront von Sozialisten und Kommu-listen, dem LieMingismodell des f ram-ösischen Sozialistenchefs Francois ilitterrand, erteilt Schmidt nach wie vor eine energische Absage. Während Mitterand den „Kampf der Arbeiterklasse“ gerne gemeinsam geführt sehen möchte und sogar erklärte, das „Klassenbündnis“ mit den Kommunisten sei im Zweifels-fall wichtiger als der Fortbestand der NATO, konnte sich der Bonner Regierungschef die bissige Bemerkung nicht versagen, ein Ausweichen gewisser Länder vor NATO-Verpflichtungen würde ein Ubergewicht der Bundesrepublik nach sich ziehen.

Helmut Schmidt verteidigt derzeit seinen Standpunkt ebenso wie die Marktwirtschaft gegen Frankreichs Sozialistenführer ziemlich allein. Jener Mann, der als deutscher Bundeskanzler sein Vorgänger war und von dem es zunehmend mehr Beobachter der innenpolitischen Szene nicht ganz für abwegig halten, daß er auch sein Nachfolger werden könnte, widmete sich höheren Dingen: Es waren eben nicht nur die Führer der süd-europäisohen Sozialisten — und von ihnen wiederum gar nicht alle —, die teils versohleiert, teils unmißverständlich mit einer sozialistischkommunistischen Umarmung liebäugelten. Auch SPD-Chef Willy Brandt will „interessante, entdog-matisierende Prozesse“ bei den Kommunisten im freien Teil der Welt erspäht haben, die ihm engere Kontakte, zunächst nur zwecks „Information“ natürlich, anscheinend zwingend nahelegen. Und man soll auch nicht ganz übersehen, daß Bruno Kreisky die Äußerungen Berlinguers zur Demokratie und zur NATO als „interessant“ qualifizierte.

Gewiß haben in den letzten Jahren einige kommunistische Parteien in Westeuropa die totale Fernsteuerung aus Moskau durch teilweise spezifisch nationale Farbtöne optisch aufgelockert. Vor allem die KP Italiens und die KP Frankreichs. Doch dies bedeutet kein Indiz' für eine Wandlung zu demokratischem Denken, sondern .allenfalls für ein auf Vordermann gebrachtes Polit-Mar-keting: Die letzten Umfragen haben ergeben, daß bei jetzt stattfindenden Urnenigängen die französischen Sozialisten 30 Prozent der Stimmen ernten würden, während die Kommunisten bei 20 Prozent blieben. Um das zu kompensieren, sucht die KPF offenbar ihr Heil darin, sich „vaterländisch“ zu profilieren. (Die jählings auf den Scheffel gestellte Erleuchtung der KPF, ausgerechnet sie müsse die nationale Souveränität Frankreichs verteidigen, entspringt im übrigen noch einem weit höherrangigen Gesichtspunkt als bloß dem der Sitzanteile in der Nationalversammlung: Die Kommunisten sind davon überzeugt, daß nur noch fröhliche Urständ der verstaubten nationalen Masche die europäische Integration verhindern können.)

Doch selbst die klassische Europafeindlichkeit der Kommunisten in Frankreich ist nicht imstande, Willy Brandt, der sich doch mehr und mehr auf der europäischen Bühne zu profilieren sucht, und der nächste „Internationale“-Präsident sein dürfte, aus seinen Träumen zu wek-ken. Brandts ostentative Sympathie für Italiens und Frankreichs Volksfront-Ideen macht seine Vision von einer internationalen Linken mit nach allen Seiten hin fließenden Grenzen greifbar und plastisch. Auf deutliche Trennungsstriche kommt es ihm nicht nur nicht an, eher umgekehrt: er betrachtet sie geradezu als hemmend für die Entwicklung des Sozialismus, gleichviel, ob dieser wie in der Bundesrepublik als „demokratisch“ firmiert oder sich ä la Mitterrand offenbar als „Klassenkampf“ versteht. Für die an Einfluß gewinnenden SPD-Progressiven, unter denen bei weitem nicht nur die Jungsozialisten, sondern in eher steigendem Maße die arrivierten „Alt-Jusos“ den Ton angeben, gilt der Kabinettchef, vor der Bundestagsschlacht freilich noch unter der Decke, ohnedies längst als Kalter Krieger und „Steigbügelhalter des Monopolkapitalismus“. Damit gerät Schmidt zwangsläufig innerhalb seiner eigenen, sichtlich nach links abdriftenden Partei schrittweise in die Isolation. Das Stillhalten gegenüber dem einsam werdenden Kanzler wird spätestens nach dem 3. Oktober — und zwar unabhängig vom Wahlausgang — mit Sicherheit von einem offenen Machtkampf abgelöst werden.

Vonveinem tiefen Riß in der europäischen Sozialdemokratie und von unüberbrückbaren Abgründen tönt es seitens der christdemokratischen Oppositionsparteien freilich um einige Oktaven zu..hoch. Denn abgesehen davon, daß ein allzu genüß-liches Ausschlachten der objektiv bestehenden Dissonanzen leicht in die Verharmlosung abgleiten kann, die Sozialdemokraten seien international am Zerbersten und ihre Volksfront-Tendenzen mithin keine Gefahr, werden die Zerwürfnisse als

Bundesdeutscher Brandt: Die Kommunisten haben sich „geändert“ zumeist subjektiv überbewertet. Gewiß, der merkwürdige Umstand, daß der französische Sozialistenchef de facto zum Führer der Genossen aus den romanischen Ländern avanciert ist, könnte, vordergründig betrachtet, auf eine sich anbahnende Spaltung der europäischen Linken hindeuten. Und innerhalb der mächtigsten SP Westeuropas ließe sich, gleichfalls ohne tieferreichenden Augenschein, sogar eine Kluft auf nationaler Ebene erkennen. Denn während auf der einen Seite Helmut Schmidt und Francois Mitterrand mit ihren Ansichten zur Marktwirtschaft, zur NATO und zur Kooperation mit Kommunisten zusammenkrachen, vertritt Willy Brandt auf der anderen Seite wie Italiens SP-Chef de Martino die These, Kontakte mit Kommunisten seien schon deshalb nötig, weil diese sich „geändert“ hätten und gar auf Distanz zu Moskau gingen. Ein weiteres Schein-Indiz: Während die Auffassungen des deutschen Kanzlers nahezu Deckungsgleichheit mit den skandinavischen Parteien und den österreichischen Sozialisten zeigen, wonach eine Bündnispolitik mit den Kommunisten auszuschließen ist, trauen die Genossen aus Südeuropa einer solchen Zusammenarbeit mehr als , der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft.

Doch hier stößt die allzu leichtfertige Betrachtungsweise schlechterdings auf geographische Widerlegung: Eine pauschale Interessens-kollision zwischen den sozialistischen Parteien des „Nordens“ und des „Südens“ in Europa ist schon deshalb ein Trugbild, weil einerseits die Belgier eher dem Kreis um Mitterrand und de Martino zuneigen, anderseits keineswegs die Sozialisten Griechenlands und ebensowenig die — noch illegale — Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens, deren Führer Gonzales gegenüber dem portugiesischen Sozialistenchef Mario Soares ein Bündnis mit den Kommunisten glattweg abgelehnt hat: Die heutigen spanischen Sozialisten haben seihst vierzig Jahre nach Beginn des Bürgerkrieges noch nicht jene Brutalität vergessen, mit der sie von einer stalinistischen Minderheit in deren Dienste gezwungen worden waren. Den fortbestehenden Abstand zur KP begründet Gonzales damit, daß seine Partei nicht „auf der Grundlage individueller Zusammenschlüsse“ den Kommunisten als „Vehikel“ dienen wolle. Dieses schwungvolle Abwinken entspringt der Furcht, die in der „Demokratischen Junta“ dominierenden spanischen Kommunisten könnten ähnlich wie in den dreißiger Jahren die Koalition eines parteipolitisch vielfarbigen Spektrums als Sprungbrett zur alleinigen Machtausübung benützen.

Nein, nicht die Fiktion von einem Nord-Süd-Konflikt oder von anders strukturierten Gegensätzen ist es, die die Sozialisten nach den italienischen Wahlen zu einer Klarstellung drängt. Vielmehr wurde deutlicher denn je, daß die europäische Sozialdemokratie derzeit bipolar gefahren wird: Jeder Zielgruppe das ihre. Nichts anderes hatte der kommende Internationale-Chef Brandt im Sinn, als er beim Sozialistentreffen erklärte, die Schwesterparteien der einzelnen Länder müßten1 selbst entscheiden können, wie eng sie sich mit den Kommunisten arrangieren wollten. In der praktischen Tagespolitik, auf zwischenstaatliohen Kanälen weit mehr noch als in der Diplomatie, sind denn auch die inhaltlichen Ubergänge zwischen Sozialisten und Kommunisten sehr oft stufenlos.

Sentenzen über eine „Spaltung“ der Sozialdemokraten im freien Europa sollten von kühleren. Einschätzungen abgelöst werden. Denn ebenso wie sich auf nationaler Ebene, beispielsweise in der Bundesrepublik, die Doppelstrategie eines in utopischem Sozialismus schwelgenden Willy Brandt auf dem einen und einer pragmatisch-realistischen Paradefigur Helmut Schmidt auf dem anderen Parteiflügel trotz aller unter den Teppioh gekehrten Krachs propagandistisch bisher als ganz brauchbar erwiesen “fiat, könnte ein ähnliches Muster das europäische Parkett schmücken: Auch in einem künftigen Europa-Parlament ließe sich getrennt, und wenn's die Wahlkosmetik erfordern sollte, sogar gegeneinander marschieren was die bürgerlichen Parteien noch stets beruhigt hat —, um dann in fundamentalen Entscheidungen vereint zu schlagen.

Daß etwa Brandt seine Kandidatur bei den ersten Direktwahlen zur gesamteuropäischen Abgeordnetenkammer für 1978 angekündigt hat, weist nicht bloß auf sein wiedererstarktes Selbstbewußtsein als kommender Mann hin; es bedeutet in noch viel stärkerem Maße eine mehr und mehr erkennbare politische Weichenstellung. Das EG-Parlament, so Brandt, solle „die Stimme Europas“ werden, und welche Rolle der von den Linken getragene künftige Sl-Chef sich darin selbst zumißt, wird von Erklärung zu Erklärung durchsichtiger: Während der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl den europäischen Partnern in Brüssel einhämmerte, daß die .Christdemokraten „jede totalitäre Bewegung“, gleichviel Ob von links oder von rechts, und jeden ihrer Hegemonieansprüche über Europa zu bekämpfen gedächten, meinte Brandt programmatisch vielsagend, die nationalen Regierungen sollten sich nur nicht einbilden, daß sie vom Europa-Parlament in Ruhe gelassen würden. Die fest ins Auge gefaßte Kandidatur des SPD-Vorsitzenden für das europäische Abgeordnetenhaus signalisiert das konkrete Ziel, das Gremium zu einem schlagkräftigen politischen Instrument der Sozialistischen Internationale auszubauen. Und wenn Männer, die innerhalb der sozialdemokratischen Partei ihres eigenen Landes so viel linkssozialistische Hausmacht verkörpern wie Brandt, von 1978 an mehr Mitspracherecht in der europäischen Politik fordern, muß das Volksfrontkonzept reelle Chancen gewinnen.

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