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Die Volkspartei hat ihre Chancen - wenn sie nur will

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Es ist ein Charakteristikum und eine ständige Bedrohung der österreichischen Volkspartei, daß bei ihr Euphorie und totale Niedergeschlagenheit so eng beieinander liegen. Auch der 19. Bundesparteitag, der vom 7. bis 9. März in Linz über die Bühne geht, wird sehr stark im Lichte dieser alten Funktionärsweisheit zu beurteilen sein. Wird es Josef Taus gelingen, den nunmehr den Sozialisten ins Gesicht blasenden Wind endlich in seinen noch recht unlustig herumflatternden Segeln aufzufangen, ohne daß die Stimmung in schrankenlose, selbstberauschende Euphorie umkippt? Oder muß er neuerlich die bittere Erkenntnis nach Wien heimnehmen, daß er Bundesobmann einer nörgelnden, mit sich selbst nicht zufriedenen Partei ist, deren Funktionären nicht oft genug eingehämmert werden kann: „Eure politischen Gegner stehen auf der anderen Seite!”

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Es ist ein Charakteristikum und eine ständige Bedrohung der österreichischen Volkspartei, daß bei ihr Euphorie und totale Niedergeschlagenheit so eng beieinander liegen. Auch der 19. Bundesparteitag, der vom 7. bis 9. März in Linz über die Bühne geht, wird sehr stark im Lichte dieser alten Funktionärsweisheit zu beurteilen sein. Wird es Josef Taus gelingen, den nunmehr den Sozialisten ins Gesicht blasenden Wind endlich in seinen noch recht unlustig herumflatternden Segeln aufzufangen, ohne daß die Stimmung in schrankenlose, selbstberauschende Euphorie umkippt? Oder muß er neuerlich die bittere Erkenntnis nach Wien heimnehmen, daß er Bundesobmann einer nörgelnden, mit sich selbst nicht zufriedenen Partei ist, deren Funktionären nicht oft genug eingehämmert werden kann: „Eure politischen Gegner stehen auf der anderen Seite!”

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Die Ausgangsposition der Volkspartei war seit Schleinzers Tod noch nie so chancenreioh wie in diesen Wochen. Eine Kette von Ereignissen - teils echte Katastrophen wie der Reichsbrückeneinsturz, teils Fußangeln im eigenen Lager (siehe unter „L” wie Lütgendorf), teils handfeste politische Fehlspekulationen wie in der Wirtschaftspolitik, in der Spitalsfrage oder im Pensionszank - haben die sozialistische Regierung nun doch auch in breiteren Schichten ihres Mythos der gerade noch liebenswürdigen Perfektion einigermaßen entzaubert.

Lanner-Sekretär Marcus Kauff- mann macht mit schadenfrohem Schmunzeln einen tiefen Griff in seine Schreibtischlade: „Jahrelang waren die Zeitungen voll mit Berichten über die .zerstrittene Volkspartei1. Das ist vorbei. Jetzt finden sich fast täglich Meldungen in der Presse über Zwistigkeiten innerhalb der SPÖ.” Und Kauffmann zeigt ein dickes Papierbündel (Titel: Zerstrittene SPÖ) vor: Zeitungsausschnitte über die unterschiedlichen Ansichten führender Sozialisten zu Fragen des SPÖ-Grund- satzprogramms, des Ladenschlußgesetzes, der Lkw-Steuer, der Affäre Lütgendorf, der Autokaufsteuer, der Gewerbesteuer, hinsichtlich der allgemeinen Wirtschaftslage und zuletzt in der Rentenfrage. Kauffmann: „Ich hoffe, daß diese Dokumentation noch anwächst.. “

Erstmals die VP voran?

Den Optimismus in der ÖVP-Zen- trale nähren vor allem Meinungsumfragen des Fessel-Institutes, wonach die Volkspartei momentan in der Wählergunst sogar vor den Sozialisten rangieren soll. Erstmals platzte Bundesgeschäftsführer Kurt Bergmann im Dezember mit dieser schwarzen Frohbotschaft an die Öffentlichkeit. Aber auch in den neuesten, erst im Februar ausgewerteten Umfragen soll die Volkspartei noch die Führung halten. Bundeskanzler Bruno Kreisky hat nach ÖVP-Angaben von Jänner 1976 auf Jänner dieses Jahres sogar um 13 Prozent in der Sympathieskala verloren; womit er immer noch ein Stückchen inniger geliebt wird, als die von ihm dirigierte Partei. Reichlich angeschlagen zeichnet die Volkspartei das Bild des Kreisky-Kronprinzen Hannes Androsch: Im Jänner hielten ihm angeblich nur mehr 50 Prozent der eigenen (!) Parteigänger die Stange.

In diesem wirklich konsequenten Punkt der VP-Strategie, im permanenten Stellungskrieg gegen die beiden Kronprinzen Hannes Androsch und Leopold Gratz, zeichnet sich nun doch deutlich Wirkung ab. (Hinter vorgehaltener Hand gestehen auch ÖVP-Spitzen ein, daß ein Kampf gegen das Denkmal Kreisky nur in beschränktem Maße durchgestanden werden kann, wogegen das Ziel, die SPÖ nach Kreiskys Abgang führerlos zu machen, durchaus erreichbar scheint.) Bruno Kreisky ist schon lange nicht mehr so einsam und verlassen gewesen wie in diesen Tagen. Und schon lange nicht mehr so gereizt wie in diesen Tagen.

Freilich muß festgestellt werden, daß die Sozialisten nach wie vor den Eindruck einer wohlgeordneten Truppe zu erwecken trachten. Von ungünstigen Meinungsumfragen will man in der Löwelstraße nichts wissen,

auf Anfrage hat Zentralsekretär Karl Blecha garantiert eine Erfolgsmeldung über 53 Prozent SPÖ-Anhänger parat.

Nun muß aber festgehalten werden: Die Ungunst der Stunde spricht gegen die SPÖ, die Gunst der Stunde jedoch nicht eindeutig für die Volkspartei.

Das hat zahlreiche Ursachen. Vor allem die, daß es generell jede in der Opposition befindliche Partei schwer hat, sich als Regierungsaltemative zu präsentieren. Das gilt ganz besonders für Österreichs parlamentarische Verfassung, in der die Aktionsmöglichkeiten der Opposition ziemlich scharf umgrenzt sind und die von vornherein gar nicht so sehr auf Konfrontation aus ist, weshalb der Redner im Parlament seit jeher den Rücken der Regierung zuzukehren gezwungen ist. Das liegt aber auch an der erst eineinhalbjähri- gen Anlaufphase für die neue ÖVP- Führung mit dem Dreigestim Taus-Lanner-Bergmann in der Zentrale sowie an der Tatsache, daß die Volkspartei mit Konzepten und Alternativen- ob bewußt oder nicht, bleibe dahingestellt - bisher eher sparsam umging.

Die Stellung des Josef Taus, der wie jeder andere Politiker nichts dringender braucht als den Erfolg, scheint erstaunlich gefestigt zu sein. Kluge Schachzüge in personeller Hinsicht haben so manche enttäuschte Seelen wieder in den Heimathafen zurückgetrieben: Erhard Bxisek als Uberra- schungsnachfolger für Franz Bauer hat vielen Respekt abgenötigt, nun Hermann Withalms Comeback, das der Volkspartei zu einem erweiterten sozialen Spektrum verhelfen soll. Auch an der Bündefront ist Ruhe eingekehrt, obwohl gerade die in Linz heranstehende Aufnahme des „Seniorenbundes” der ÖVP in den Kreis der Teilorganisationen neuen Unfrieden stiften hätte können. Diesbezügliche Auffassungsunterschiede zwischen Taus und Vertretern des Wirtschaftsbundes oder des ö AAB wurden bisher nur intern ausgetragen.

Die Aufnahme des Seniorenbundes in das Parteihaus ist übrigens Anlaß für eine weitere Statutenänderung: Auf allen politischen Ebenen werden in Hinkunft auch die Obmänner des Seniorenbundes und der Jungen ÖVP die Funktion des Parteiobmannstellvertreters haben. Bisher waren nur die Bündeobmanner und die Vorsitzenden der Frauenbewegung Stellvertreter des jeweiligen Parteiobmannes.

Gerüchte um versperrte Türen

Für Gerüchte um einen neuen Eklat in der VP-Zentrale in der Kärntnerstraße war vielen Funktionären auch die Person des Bundesgeschäftsführers Kurt Bergmann gut. Tatsächlich hatte sich der Statutenausschuß im Hinblick auf fällige Statutenänderungen im Zuge des Linzer Parteitages auch mit der Position des Bundesgeschäftsführers zu befassen: Bisher gab es laut Statuten einen Generalsekretär und einen stellvertretenden Generalsekretär (letzterer wurde im Gegensatz zum Generalsekretär nicht gewählt, sondern bestellt). Nun soll es statt des stellvertretenden Generalsekretärs einen Bundesgeschäftsführer geben, was nicht zuletzt eine Verbeu gung vor der nackten Realität ist, zumal Bergmann den Titel „Bundesgeschäftsführer” längst führt.

Mittlerweile hat Sixtus Lanner in seinem Arbeitszimmer eine der beiden Türen, nämlich jene, die ins Bergmann-Zimmer führt, außer Funktion setzen lassen (auch beim Bauernbund und schon zuvor in der Präsidentenkonferenz wollte er nur eine Türe in sein Arbeitszimmer, um sich den Vorwurf zu ersparen, sich einen „Fluchtweg” vor unliebsamen Besuchern offenzuhalten), woraus manche Mitarbeiter und Funktionäre einen Lanner-Affront gegen Bergmann konstruierten. Allerdings hauptsächlich solche, die eine nichtstreitende Volkspartei für die feilsche Partei halten.

ÖVP-Chef Taus selbst kommt in letzter Zeit mit seinen pesönlichen Sympathiewerten langsam näher an den Sympathiewert der Gesamtpartei heran. Lange hinkte er in der Wählergunst beträchtlich hinter seiner Partei her. Auftrieb verschaffte ihm und seiner Partei sicherlich der jüngste Fernsehauftritt im Journalistenkreis. Hier lieferte er gekonnte Attacken, hier kam ihm aber auch zugute, daß seine Kritiker nach seinen bisherigen Fernsehauftritten die Latte ihrer Erwartungen nicht mehr allzu hoch legten.

Josef Taus kein homo ludens?

Wirklichen Nachholbedarf hat Taus noch auf den Gebieten der Schlagfertigkeit und der Taktik. Was sein Widerpart Bruno Kreisky an „Schmäh” schon bald zuviel hat, hat Taus noch zuwenig. Auch die Funktionäre des Josef Taus brauchen für ihren Jubel den „homo ludens”, sie brauchen ihr „panem et circenses”.

Größte Zustimmung in seinen eigenen Reihen und in ihm nahestehenden Lagern hatte Taus zweifellos, als er etwa vor dem Bundesparteitag am 31. Juli 1975 die Sozialisten frontal attackierte und sicherlich sehr demagogisch aufforderte, sie auf jenes Maß zu reduzieren, das für die Demokratie gerade noch erträglich sei. Oder als er vor dem CDU-Parteitag im vergange nen Frühjahr in Hannover die Stimmung zum Kochen brachte, als er rief: „Europa ist nach den Grundsätzen und Wertvorstellungen christdemokratischer Parteien wiederaufgebaut worden, in die Freiheit geführt worden und unter christdemokratischen Regierungen zu Wohlstand gekommen. Das sollten wir nie vergessen. Ich glaube, hier ruhig sagen zu können: Sehr viel an Substanz haben die europäischen Sozialisten zu dem europäischen Wiederaufstieg nicht beigetragen.”

Was nicht heißen soll, Josef Taus solle mehr in politischer Demagogie machen, aber ein paar mehr kraftvolle- Akzente, ein wenig mehr rhetorisches Kraftfutter für seine Anhänger wäre nur sein eigener Vorteil.

Kanzlerkandidat der VP steht fest

Der Linzer Parteitag wird die Volkspartei bereits auf den Kanzlerkandidaten von 1979 einschwören. Der Parteitag soll das Bild einer konsolidierten Partei zeichnen, einer Partei, die nach Niederlagen und Pechsträhnen nun wieder belegbare Chancen hat. Für die weiteren Jahre bis 1979 braucht Josef Taus die bedingungslose Loyalität der „Länderfürsten” (was bisher zu wünschen übrig ließ) sowie das Format einer selbstsicheren Alternative zu Kreisky.

Was Taus noch braucht, sind die glaubwürdigen Alternativen. Mit den Themen Bildung, Einkommenssicherung und Gesundheit will der Linzer Parteitag einen kräftigen Startschuß geben. Und dann muß es für die ÖVP heißen, das Heft der Alternativen nicht mehr aus der Hand zu legen. Dem Gegner die politischen Themen sozusagen aufzuzwingen. Denn nur dann, wenn es Taus und der Volkspartei gelingen sollte, den Sozialisten das Tempo zu diktieren, wenn es ihnen gelingen sollte, frei nach der Spannoc- chi-Doktrin den Gegner in jenem Gelände zum Kampf zu zwingen, wo er seine Geschütze nicht optimal zur Wirkung bringen kann, dann könnten die politischen Fronten in Österreich wieder in Bewegung geraten.

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