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Kiefeln an angenagten Knochen

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„Die für die ÖVP ausschlaggebende Änderung des politischen Bewußtseins wird nur dann möglich sein, wenn es gelingt, die gegenwärtige lethargische Situation zu beenden.“

Der Satz, vom Klubobmann der großen Oppositionspartei just in jenem Moment ausgesprochen, da die Bundesregierung eine neue Belastungslawine für die Österreicher lostritt und vor dem großen Revir-ment seit 1970 steht, müßte eigentlich erstaunen machen.

Lethargische Innenpolitik?

Schon richtig. Aber warum?

Nun, die Volkspartei hat am 5. Oktober 1975 die Wahlen verloren. Über die Motive hat man hintergründig spekuliert und vordergründig argumentiert. Aber heißt das, daß die Volkspartei der sozialistischen Alleinregierung vier Jahre lang wie ein Hund apportieren muß? Heißt das, daß die Österreicher keine starke Opposition wollen, die von ihren Kontrollmöglichkeiten auch Gebrauch macht?

Man muß die Volkspartei nach Niederlagen offenbar immer wieder daran erinnern, daß es nicht ihre eigene Angelegenheit ist, wie sie Oppositionspolitik betreibt. In einem Land, in dem die Kontrollmechanismen von der Verfassungsstruktur nur ungenügend entwickelt sind, bedarf es ganz außerordentlicher Anstrengungen, über die politische Verantwortlichkeit Kontrollen gegen eine starke Exekutivgewalt, gegen eine starke Regierung sicherzustellen.

Keine Frage: diese Bundesregierung ist stark. Und ihr Chef versteht seine Rolle nicht als Primus inter pares — sondern als Autorität mit ganz außergewöhnlichem Gewicht. Der Entscheidungsprimat des Bundeskanzlers hat positive wie negative Aspekte. Aber kann schon nicht die Regierungspartei auf einen starken Regierungs- und Parteichef Einfluß nehmen, dann muß dies in besonderem Maße die Opposition tun — soll es nicht zu Verzerrungen demokratischer Mechanismen kommen.

Offenbar wartet die Volkspartei auf den Tag, an dem sich Bruno Kreisky auf sein Altenteil zurückzieht. Nur hat sie diese Taktik offensichtlich auch schon zu Beginn der Obmannschaft von Karl Schlein-zer ausgeübt: damals hoffte man noch auf den „Abnützungseffekt“, dem Bruno Kreisky ausgesetzt sein werde.

Nein. Nicht die Öffentlichkeit ist schuld, daß die Innenpolitik unbeweglich, „lethargisch“ geworden ist. Vielmehr hat die Volkspartei nach dem 5. Oktober 1975 ihre Funktion nur ungenügend ausgefüllt — sich nämlich als Alternative zu präsentieren und Kontrollen auszuüben.

Da war zuerst die Budgetdebatte. Sie hätte nicht nur Anlaß sein können, die Alternativen deutlicher sichtbar zu machen, die die Volkspartei zum Regierungsprogramm der Regierung Kreisky III aufstellt, sondern auch ein Erprobungszeitraum der neugestalteten Geschäftsordnung des Nationalrates zu sein. Denn noch vor dem Wahltag hat der Nationalrat eine Reihe von Möglichkeiten beschlossen, die vor allem der Opposition neue Chancen geben, die Regierung auf parlamentarischem Kampfboden zu stellen und Auskünfte zu verlangen.

Da braucht man nur Klubobmann Koren zitieren, der sagt, daß „sich der Eindruck verstärkt, daß für manche Abgeordnete die parlamentarischen Pflichten unter .ferner liefen' rangieren“. Und er hat auch recht, wenn er seinen Kollegen die Leviten liest: daß das Bild der Volkspartei in der Öffentlichkeit auf der „politischen Hauptbühne, dem Parlament“ gebildet werde.

Als noch knapp vor Weihnachten der Überfall auf die OPEC-Zentrale erfolgte, forderte die Volkspartei eine entsprechende parlamentarische Diskussion über die Vorgänge — und über die Lehren, die Österreich für die Zukunft ziehen müsse. Die Volkspartei hat seither die Sicherheitsfrage nicht mehr aufgegriffen — und man kann nur hoffen, daß es doch noch einmal zu einer parlamentarischen Diskussion kommt — im Interesse Österreichs.

Am Tag der Bekanntgabe neuer Opfer und Belastungen auf der Regierungsklausur hat die Volkspartei nicht reagiert. Hofft man, daß man den individuellen Ärger der Österreicher nicht mehr anheizen muß? Oder ist es überflüssig, den Standpunkt der Volkspartei zum Autobahnbau, zur Situation des Nahverkehrs, zur Verbesserung des Wassernotstandes (siehe in dieser Nummer auch Seite 5) so zu artikulieren, daß er bis zum legendären „kleinen Mann' durchkommt?

In diesem Zusammenhang darf man glücklich sein, daß Bundespar-teiobmann Taus jene Vorschläge der Volkspartei, die man im Wahlkampf auf die Plakate geschrieben hat, jetzt nicht ganz in Vergessenheit geraten läßt: nämlich vor allem die Wohnstarthilfe, die ein echter diskussionswürdiger Ansatz dafür ist, das Dilemma der Wohnbaupolitik in Österreich anzupacken. Aber was schlummert da nicht noch alles an großen und ausgezeichneten Vorschlägen in den Plänen der ÖVP, die unter beachtlichem Expertenfleiß jahrelang erarbeitet wurden? Wer forstet da durch, wer hebt Ideen an das Tageslicht?

Die Volkspartei wird die angeprangerte „Lethargie“ dann überwinden, wenn sie aus der Phase des Reagierens in die Phase der Aktion tritt. Sie müßte der Regierungspartei „Brocken“ vorwerfen und nicht ermattet an den abgenagten Knochen der Kreisky-Reformen herumkiefeln.

Josef Taus und Erhard Busek haben im Wahlkampf bewiesen, daß sie das Zeug in sich haben, diese Partei zu führen und ihr auch Profil — mehr Profil — zu geben. Die Politik der Bundesparteileitung wird aber heute gerade innerhalb der Volkspartei deshalb in Diskussion gezogen, weil der politische Charakter der Opposition abhanden zu kommen scheint: das will sagen, daß die Volkspartei Gefahr läuft, sich als vereinsähnlicher Eigenorganismus zu präsentieren und ihr Hauptaugenmerk nicht dem politischen Gegner, sondern den Mängeln innerhalb der eigenen Organisation zuwendet.

Freilich: eine Organisationsreform ist wichtig und dringlich. Aber sie sollte nicht auf Kosten der Oppo-sitions/unktion gehen. Was man jetzt versäumt, könnte nur allzu leicht zum verlorenen Terrain werden.

Und Bruno Kreiskys Nachfolger ist schon im Amt.

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