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Ein Bündnis noch vor 1975?

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Man muß immer vorausdenken. Das wichtigste aber ist, in Alternativen zu denken... Bruno Kreisky in einem Fernsehinterview des ARD

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Man muß immer vorausdenken. Das wichtigste aber ist, in Alternativen zu denken... Bruno Kreisky in einem Fernsehinterview des ARD

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Die österreichische Innenpolitik ist, 20 Monate nach der letzten Nationalratswahl, 28 Monate vor dem verfassungsmäßig spätesten Termin, durch lokale Wahlergebnisse, personelle Revirements in der Regierungspartei und ein verändertes Verhältnis der beiden Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ (nach Graz und Klagenfurt) in Bewegung geraten. Der Ist-Zustand der drei Parlamentsparteien läßt sich deutlich an Hand von Zahlen definieren; Zahlen geben auch Aufschluß über mögliche Chancen bei kommenden Wahlgängen. Sie lassen aber unberücksichtigt, daß natürlich politische Entscheidungen und Ereignisse die zweite Halbzeit der Legislaturperiode entscheidend bestimmen werden.

1. Die SPÖ hat bei den Gemeinderatswahlen in den größeren Städten (gegenüber der letzten Nationalratswahl) fast 8 Prozent verloren; in den Landgebieten nur 2,5 Prozent (siehe Tabelle). Bei Betriebsratswahlen mußte sie starke Einbußen hinnehmen — wobei der ÖAAB, vor allem aber auch kommunistische Listen stark gewannen. Die heutige Regierungspartei sieht sich bei Andauern der schlechten Ergebnisse in der Gefahr, ihre absolute Mehrheit im Nationalrat zu verlieren und — will sie Regierungspartei bleiben — einen Koalitionspartner zu brauchen. Nur die FPÖ als Partner kann ihr garantieren, daß sie eine dominierende Rolle in einer solchen Koalition spielt.

2. Die ÖVP konnte sich bei den R^gionalwahlen verbessern; ihr sogenannter Index verbesserte sich in den Städten um 11 Punkte (FPÖ: 29 Punkte). Zieht man die gewichteten, hochgerechneten Indexzahlen (siehe gleichfalls unsere Tabelle) heran, könnte die ÖVP mandatsmäßig mit der SPÖ gleichziehen. Aus den derzeitigen Lokalwahlergebnissen kann die ÖVP aber nicht ableiten, daß sie eine absolute Mehrheit erhält — und auch die relative ist noch nicht klar errechenbar. Deshalb braucht die ÖVP in gleichem Maße wie die SPÖ einen Koalitionspartner.

Zwei „Denkschulen“ über Mög-

liehe Koalitionen stehen sich derzeit innerhalb der ÖVP gegenüber. Der Parteiobmann tritt für eine kleine Koalition ein, der Klubobmann (und mit ihm vor allem der in der Sozialpartnerschaft engagierte Wirtschaftsbund) für eine große.

3. Die FPÖ war der große Gewinner der Zwischenwahlen der letzten Zeit. Ein gewichteter Mischindex erweist, daß sie um 22 Punkte angewachsen ist.

Die FPÖ muß das zentrale Bestreben haben, von der bisherigen Klein- zur Mittelpartei. heranzuwachsen. Ein solcher Durchbruch ist auf Grund ihrer äußerst labilen Wählerstruktur („Protestwähler“) nur möglich, wenn ihr der Einbruch in eine stabile Wählerschicht gelingt. Solche Schichten bieten sich

nur unter den heutigen ÖVP-Bauern und ÖVP-Wirtschaftstreibenden sinnvoll an. Der natürliche Gegner beim Bestreben, aus*einer Klein- zur Mittelpartei zu werden, ist für die FPÖ daher die Volkspartei.

Die FPÖ muß aber nach 25 Jahren Opposition sozusagen um jeden Preis in eine Regierung streben. Parteiobmann Peter vertritt diesbezüglich ein Zusammengehen mit der SPÖ; vor allem Bundesländerexponenten der Freiheitlichen, deren Wortführer bald Bürgermeister Götz werden dürfte, ein Zusammengehen mit der ÖVP.

4. Erstmals ist bereits auf Grund der Lokalwahlen — insbesondere aber auch bei Berücksichtigung der Betriebsratswahlen — die KPÖ wieder ein ernsthafter innenpolitischer Faktor. Jede Hochrechnung weist auf den kommenden Einzug der Kommunisten in den Nationalrat hin. Eine parlamentarische Unterstützung in den wichtigsten Fragen kann — auf Grund des bisherigen Verhaltens der KPÖ unter Franz Muhri — nur eine SPÖ-geführte Regierung erwarten.

Will man realistische Alternativen und logische Varianten eruieren, ist es notwendig, einige Kombinationen zu überprüfen. Sie berühren die aktuelle Situation und den inneren Zustand der Parteien und setzen die Wählerschaft vorläufig als variable Größe ein. t

Demzufolge wäre eine Grobskizze der Innenpolitik in der zweiten Halbzeit möglich:

A) Die SPÖ verliert auch bei den kommenden Wahlen in Ober- und Niederösterreich sowie vor allem in Wien und auch in Salzburg. Ist es Bundeskanzler Kreisky gelungen, für die bisherigen Niederlagen lokalen Verhältnissen und lokalen Persönlichkeiten die Schuld anzulasten, wird dies zunehmend komplizierter. Mit der Erklärung, Oberösterreich als Testfall der Bundespolitik anzusehen und durch die Bestellung seines engst Vertrauten Leopold Gratz zum Wiener Spitzehmann der SPÖ, mußte Kreisky unweigerlich in das heftige Sperrfeuer seiner Gegner innerhalb der SPÖ und in der Öffentlichkeit kommen. Es ist also durch-

aus fraglich, ob ein bereits in Lokalwahlen angeschlagener Kreisky der beste Spitzenkandidat der SPÖ im Jahre 1975 sein kann und ob er überdies noch die Weichenstellung nach diesen Wahlen zu vollziehen vermag.

BO Die SPÖ könnte aber auch wieder ihre Situation stabilisieren und unangefochten eine relative Mehrheit im Jahre 1975 ansteuern. Dann stellt sich aber schon vorher die Frage, mit wem man nachher in Koalition geht. Kreisky wird jene Lösung vorziehen, die die ÖVP am stärksten schwächt — und das bedeutet, daß die ÖVP jedenfalls für weitere vier Jahre auf den Oppositionsbänken sitzenbleibt.

C) Die mögliche Variante einer weiterhin gewinnenden und wach-

senden ÖVP würde die Koalitionsfrage für die SPÖ wie unter b) aufwerfen. Eine große Koalition muß für die ÖVP auf Dauer den Vorzug größerer Stabilität haben; eine kleine Koalition ist machtpolitisch reizvoller. Als mandatsstärkste Partei hätte die ÖVP jedenfalls den Vorteil, vom Bundespräsidenten als erste mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden.

D) Die' FPÖ könnte sich als „Zünglein an der Waage“ schon vor den Wahlen für eine bestimmte Koalition erklären. Nach den Erfahrungen von 1970 ist das eher unwahrscheinlich. Sie würde also alles offenhalten

und tun, was ihr am meisten nützt; das heißt (siehe auch unter 3.), daß sie sich jenen Partner sucht, der ihr den Zugang zu einem stabilen Wählerreservoir ermöglicht. Das kann nicht die ÖVP sein. Überdies müßte die FPÖ ihre prekäre Finanzsituation klären: das heißt, sie müßte endlich einen Financier finden. Ein „bürgerlicher“ Partner in einer rotblauen Koalition kann (wie auch die deutsche FDP beweist) mit Unterstützung von Wirtschaft und Industrie und mit Finanzhilfe rechnen.

Damit zeigt sich deutlich, daß die FPÖ auch aus diesem trivial611 Grund an einem Bündnis mit der SPÖ stärker interessiert sein müßte als an einem Bündnis mit der ÖVP.

Im Grunde ist in diesem Spiel nur ein Partner politisch voll handlungsfähig. Während die Oppositionsparteien doch nur warten und werben können, ist es dem Bundeskanzler und seiner Partei gestattet, auch aktiven Einfluß auf den Gang der Entscheidungen zu nehmen. Und wer Bruno Kreisky richtig einschätzt, muß damit rechnen, daß er nicht weiter von Niederlage zu Niederlage taumelt, sondern daß er in einem solchen Fall Varianten und Alternativen bemüht.

Und damit ergibt sich — für den Fall weiter zunehmender Schwierigkeiten und Niederlagen der SPÖ — eine eigentlich verblüffend 'logische und mögliche Variante: Bruno Kreisky muß in diesem Fall doch sowohl die innerparteüich heftig wachsende Gegnerschaft abwehren als auch Vorstellungen entwickeln, wie er ein Überleben der SPÖ über 1975 hinaus garantieren kann. Diese Garantie besteht — wie die Dinge liegen — aber nur in einer kleinen Koalition mit der FPÖ.

Warum soll dieser Fall aber erst 1975 eintreten? Warum soll Kreisky nicht schon vor den Nationalratswahlen seine Regierung umbilden und FPÖ-Minister in das Kabinett aufnehmen? Warum soll er alles den fernen Tagen nach einem schweren Nationalratswahlgang überlassen

und nicht bereits vorher Risken für sein langfristiges Konzept ausschalten? Warum also nicht bereits im Herhst 1973 oder im Laufe des Jahres 1974 eine kleine Koalition eingehen?

Wie wäre das zu bewerkstelligen?

a) Bruno Kreisky kann — bei Andauern möglicher Niederlagen — nur noch relativ kurze Zeit seine volle Autorität gegenüber seiner Partei — insbesondere aber auch gegenüber Anton Benya einsetzen.

b) Je wahrscheinlicher aber die Möglichkeit einer Niederlage bei Nationalratswahlen wird, desto leichter ließen sich die Delegierten

eines SPÖ-Parteitages davon überzeugen, daß eben nur eine vorzeitige kleine Koalition die SPÖ auf ein weiteres halbes Jahrzehnt an der Machtspitze halten kann.

c) Die vorzeitige Koalition ist plausibel: in Kreiskys Ministerliste sind die schwächsten Vertreter jene, für die Peter die besten Männer der FPÖ aufbieten kann: sich selbst als Vizekanzler (statt Häuser?), Scrinzi für das Gesundheitsministerium (statt Leodolter?), Zeillinger für die Verteidigung (statt Lütgendorf?), einen FPÖ-Agrarier aus Westösterreich (statt Weihs?).

d) Die FPÖ greift Bruno Kreisky persönlich nicht an; sie konzentriert sich nur auf die „schlechten“ Minister. Parteiobmann Peter: „Kreisky und kein Team.“

Ist das ideale Team für die FPÖ also Kreisky-Peter? Und spekuliert die FPÖ bereits ganz realistisch auf die Variante einer kleinen Koalition 1973/74?

e) Die SPÖ schätzt deutsche Erfahrungen. Kreisky und Petej- kön-

nen lernen, daß es erst dem Bündnis zwischen SPÖ und Freidemokraten möglich war, die CDU entscheidend zu schlagen.

f) Eine zwingende Logik ergibt: im Falle einer rot-blauen Regierung muß die ÖVP (wie die CDU) 1975 vom Wähler die absolute Mehrheit

fordern; ein nicht eben populäres Wahlziel für den Kanzlerkandidaten Schleinzer. ,

g) Teams sind dem Wähler sympathisch; wie Brandt-Scheel — so Kreisky-Peter.

h) Ein Bündnis auf Bundesebene würde die FPÖ auch auf Landesund Gemeindeebene näher an die SPÖ heranführen. Die Chance solcher Bündnisse müßte für einige FPÖ-Zweifler. in den Bundesländern sogar attraktiv sein. Und SPÖ-Poli-tiker in den Ländern und Gemeinden könnten in einigen Fällen von einer rotläufigen FPÖ recht schön profitieren.

Warum also soll die Logik solcher Überlegungen einem sozialistischen Parteitagsdelegierten nicht plausibel zu machen sein, warum sollte er nicht für einen attraktiven Preis — wenn der SPÖ das Wasser sozusagen bis zum Hals reicht — die natürliche, ideologische Abneigung gegenüber der FPÖ unterdrücken — wenn als Fernziel eine Zerreibung der ÖVP nach vier und vielen weiteren Jahren Opposition winkt?

Und die Öffentlichkeit?

Es gibt eine Reihe von Argumenten, die für eine Verbreiterung der parlamentarischen Basis sprechen: etwa in Fragen der Gesundheitspolitik, des Umweltschutzes, der Medienpolitik.

Dem „bürgerlichen“ Wählerlager müßte eine Regierungspartei namens FPÖ sogar sympathisch sein, wenn sie eine forcierte gesellschafts-ändemde Politik der SPÖ bremst, ja sogar verhindert.

Und Bruno Kreisky? Er hätte wieder Luft und politische Bewegungsfreiheit. Er könnte unter Verweis

auf den Koalitionspartner (und die nahenden Wahlen) die eigene Partei wieder besser unter Kontrolle halten. Und er könnte sich, was immer 1975 bringt, schon mit Varianten für die nächste Legislaturperiode beschäftigen. Als alter, neuer Sonnenkönig,

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