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Der große Kreisky-Test

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Der Begriff „Testwahl“ ist gerade in der letzten Zeit sehr oft strapaziert worden. Zweifellos war es vor allem die Opposition auf Bundesebene (und hier wieder in erster Linie die ÖVP), die dieses Schlagwort gebraucht hat — und sie hätte am liebsten jede Betriebsratswahl, bei der der ÖAAB Stimmengewinne verzeichnete, zur Testwahl für die Politik der Regierung Kreisky erklärt.

In einem Fall hat aber der Bundeskanzler selbst von „Testwahlen“ gesprochen — und zwar im Falle der Landtagswahl in Oberösterreich, deren Termin nach langen Querelen mit 21. Oktober nunmehr feststeht.

Daß nunmehr auch das Datum für die Wiener Gemeinderatswahl auf den 21. Oktober fällt, wird den Eindruck der Testwahl für Kreisky und sein Team noch verstärken. Die ÖVP jedenfalls wird gut beraten sein, wenn sie gerade in Wien die Bundespolitik mit ins (Wahlkampf-) Spiel bringt. Ihr ursprüngliches Wahlkampfkonzept, großteils auf den aus dem Amt geschiedenen Bürgermeister Felix Slavik ausgerichtet, muß ohnedies abgeändert werden. Und da die Sozialisten im Wiener Wahlkampf mit dem kommunalpoli-

tischen Neuling Leopold Gratz nicht verabsäumen werden, die Leistungen der Bundesregierung hervorzukehren, so würde auch die Volkspartei Gelegenheit haben, auf Versäumnisse hinzuweisen.

Rund 40 Prozent der Gesamtbevölkerung Österreichs gehen an diesem 21. Oktober zur Wahl — und es ist klar, daß das addierte Ergebnis dieser „kleinen Nationalratswahl“ allen Parteisekretariaten Stoff für Berechnungen über Gunst und Ungunst ihrer Partei geben wird.

Daß dabei gerade in einer Addition dieser beiden Bundesländer so manche Fehlerquelle für einen Bundestrend enthalten ist, scheint aber klar. Wien war seit eh und je sozialistisch dominiert, das Ergebnis der letzten Gemeinderatswahl im Jahre 1969 brachte der SPÖ ein Spitzenergebnis — es fiel in eine Zeit der Stagnation und des abfallenden Wählerinteresses für die ÖVP. Für den kommenden Wahlgang rechnen sich die realistischen Politiker unter den Wiener Sozialisten — einschließlich Gratz — Stimmenverluste aus.

In Oberösterreich sieht das Bild anders aus: Ein Bundesland, das seit jeher von der ÖVP regiert wurde, erlebte bei der Landtagswahl des

Jahres 1968 erstmals einen Stimmenüberhang bei den Sozialisten. Die Volkspartei konnte nur noch mit Hilfe der Freiheitlichen den Landdeshauptmann stellen. Zum Unterschied von Wien, wo mit Felix Slavik ein von der SPÖ stark popularisierter Kommunalpolitiker das Ruder über Stadt und Land übernahm, kam in Oberösterreich ein Mann in die Landesregierung, den die Bevölkerung bestenfalls als engsten Mitarbeiter des unerhört beliebten Landeshauptmannes Dr. Heinrich Gleiß-ner kannte, nicht aber als eigenständigen Politiker: Erwin Wenzl.

Trotzdem hat es Wenzl und sein Team verstanden, sich populär zu machen. Nicht zuletzt durch die Initiative des Landesparteisekretärs

Ratzenböck, der wegen seiner Erfolge auch bereits als möglicher Nachfolger für ÖVP-Generalsekretär Kohlmaier lanciert worden ist. Er hat das System der „Vorwahlen“ ausgearbeitet, wo ab der Ortsebene die

Bevölkerung über die Aufstellung der Kandidaten mitbestimmen konnte. Auf diese Vorgangsweise konnten die Sozialisten Oberösterreichs höchstens mit Neid blicken, weil in ihrer Organisation — wie ein Funktionär treuherzig bekannte — eine derartige Möglichkeit „gar nicht denkmöglich“ sei; da muß man sich schon vom stellvertretenden Sub-kassier hinaufdienen durch den ganzen Parteiapparat, bis dann als Belohnung ein Mandat winkt.

Bei der oberösterreichischen SPÖ kommt dazu, daß sie in die Verlegenheit kam, eigentlich einen Spitzenkandidaten zu besitzen, der die nötige Popularität besitzt. So kam der Bundeskanzler auf die Idee, seine Minister und er würden durch

die oberösterreichischen Lande reisen und die SPÖ-Politik schmackhaft machen, wobei zwangsläufig die Bundespolitik in den Vordergrund treten würde. Das ging allerdings soweit, daß SPÖ-Spitzenkandidat Fridl, als er im Gefolge des Bundeskanzlers zu einer Diskusion mit ÖVP-Bauern nach Grießkirchen kam, selbst von den dort eilig zusammen-gescharten SPÖ-Parteigängern kaum oder gar nicht beachtet wurde.

Die 1,2 Millionen Wählerstimmen, um die es geht, werden die SPÖ möglicherweise veranlassen, die auf sie fallenden Mandate in Wien und Oberösterreich zu addieren, um damit zeigen zu können, daß sie, im Gesamten gesehen, immer noch meilenweit vor der ÖVP rangiert. (Trotzdem scheint dem Bundeskanzler schon jetzt nicht ganz wohl zu sein, wenn er an die Stagnation im Parlament denkt: Wichtige Materien, deren Verabschiedung die SPÖ noch in der Frühjahrssesion gerne gesehen hätte, oder bei denen zumindest die Ausschußarbeit hätte abgeschlossen werden sollen — vorweg die Strafrechtsreform —, sind hegengeblieben und in grundsätzlichen Fragen ist eine Annäherung zwischen den Fraktionen in den Nationalraits-ausschüssen nicht abzusehen.

Wie anders ist es zu erklären, daß bei dem Gespräch Kreisky - Schlein-zer am vorigen Samstag das Angebot des Bundeskanzlers an die ÖVP zur Einsetzung zweier „Koalitionsausschüsse“ kam? Kreisky hat keine Zeit zu verlieren, um wichtige Gesetzesmaterien fertigzustellen — auch mit Hilfe der großen Oppositionspartei, die er bisher sehr selten und sehr ungern in Anspruch nahm — bevor die Bevölkerung sieht, daß sich Wolken vor das Licht des „Sonnenkönigs“ geschoben haben. Und dies dann im Ergebnis der beiden Wahlgänge am 21. Oktober doch seinen Niederschlag findet.

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