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Höchste Zeit für die ÖVP

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Die Wahlen am vergangenen Sonntag galten als Testwahlen. Was sollten sie testen? Ob der Trend nach links anhält? Ob die Bevölkerung in der ÖVP-Politik eine Alternative zur SPÖ-Minder-heitsregierung erblickt? Ob die Politik der Freiheitlichen nach dem 1. März von deren Wählern akzeptiert wurde?

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Die Wahlen am vergangenen Sonntag galten als Testwahlen. Was sollten sie testen? Ob der Trend nach links anhält? Ob die Bevölkerung in der ÖVP-Politik eine Alternative zur SPÖ-Minder-heitsregierung erblickt? Ob die Politik der Freiheitlichen nach dem 1. März von deren Wählern akzeptiert wurde?

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Die beiden letzten Fragen sind klar zu beantworten. Die freiheitlichen Wähler sind mit der Politik ihrer Partei einverstanden. Es gelang der FPÖ zwar nicht der Gewinn ihres sechsten Nationalratsmandates, doch lag dies teilweise an der für sie ungünstigen Wahlarithmetik. Stimmenmäßig konnte sie den Prozentsatz der Wahlen vom 1. März in Wien und Tirol halten, ja sogar einen leichten Gewinn verzeichnen. Der starke publizistische Angriff gegen sie wegen eines Geheimabkommens mit der SPÖ, der indirekt auch den Vorwurf enthielt, die Freiheitlichen hätten ihre Erklärung vom 16. Jänner 1970, einen roten Bundeskanzler zu verhindern, ins Gegenteil gekehrt, zeitigte in der FPÖ-Wählerschaft keinerlei Wirkung. Auch die Beantwortung der zweiten Frage ist einfach. Die ÖVP-Politik seit dem 1. März 1970 bot dem Wähler keine Chance zu einer Alternative. Deshalb blieben viele Wähler daheim. Das ist eindeutig aus der geringen Wahlbeteiligung zu schließen, die gerade in Bezirken mit ÖVP-Mehrheit nachweisbar ist. Die Propaganda der Volkspartei konnte das politische Desdnteressement der potentiellen ÖVP-Wähler nicht überwinden. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß die ÖVP-Wahipropaganda in Wien schlecht gewesen ist. Die Liebe auf den zweiten Blick zog nicht. Der Reiz der Partei hatte den politisch müden Bürger nicht zu erregen vermocht. Nun kann aber eine Partei kein politisches Sex-Appeal besitzen, wenn sie kein gesellschaftspolitisches Programm anzubieten hat und sich ihre Politik in Auseinandersetzungen um die innerparteiliche Macht erschöpft. Die Frage, ob der Trend nach links anhält, ist dagegen schwieriger zu beantworten. Wohl gewann die SPÖ in Wien an die drei Prozent, also etwa soviel, wie die ÖVP verlor, doch ist der ÖVP-Verlust zum erheblichen Teil auf die geringe Wahlbeteiligung zurückzuführen. Anderseits beweist aber gerade die Wahlenthaltung vieler potentieller ÖVP-Wähler, daß diese den Slogan: Laßt Kreisky und sein Team arbeiten, zur Kenntnis nahmen, ihn zwar nicht direkt durch ihre Stimmabgabe, wohl aber Indirekt durch ihre Stimmenthaltung unterstützten. Daß diese Wahlenthaltung in den Villenvierteln am stärksten war, sollte der ÖVP zu denken geben. Jedenfalls war die Wahlpropaganda der SPÖ erfolgreich, um vieles erfolgreicher als die der ÖVP. Die ÖVP hat demnach schlechte Propagandisten, was sie endlich zur Kenntnis nehmen muß. Tirol dagegen beweist, daß auch für die SPÖ die Bäume nicht in den Himmel wachsen und die absolute Mehrheit zwar zum Greifen nahe ist, aber kaum ergriffen werden kann. Werten wir auch die Tiroler Landtagswahlen als Testwahlen für die Bundespolitik, was zweifellos berechtigt ist, dann scheint der weitere Trend nach links abgestoppt zu sein. Gegenüber dem 1. März verlor die SPÖ in Tirol zweieinhalb Prozent an Stimmen. Der Verlust der ÖVP von zwei Landtagsmandaten gegenüber 1965, wobei das zweite Mandat mit weniger als sechzig Stimmen verlorenging, kann ohne Schönfärberei auf die gesellschaftlichen Strukturveränderungen im Lande zurückgeführt werden. Landeshauptmann Eduard Wallnöfer vermochte die Bauern fast hundertprozentig zur Wahlurne zu bringen und Erfolge in Industriegebieten zu erzielen. In Gegenden mit Mischstrukturen hatte er weniger Erfolg, weil hier das mobüe Wahlvolk am stärksten ist und noch nicht vom „Tiroler Geist“ erfaßt werden konnte. Die Verluste in Innsbruck aber gehen weniger auf Wallnöfers Konto als auf das der Politik des ÖAAB. Wallnöfers Propaganda muß deshalb als gut gewertet werden und war der ÖVP-Pro-paganda in Wien um Längen voraus. Welche Lehren ergeben sich nun für die ÖVP, will sie den Trend nach links umkehren oder wenigstens abstoppen?

Sie muß endlich klare Führungsverhältnisse schaffen, ein Gesellschaftskonzept entwerfen, ihre Propaganda und politische Taktik modernisieren und ein vernünftigeres Verhältnis zur FPÖ herstellen. Die letzte Wahl bewies, daß die FPÖ auf einen festen Wählerstock zählen kann, der sie nicht im Stich läßt. Seit Bestehen der dritten Partei, also seit dem Jahre 1949, hat die ÖVP ein gestörtes Verhältnis zu dieser dritten Partei, weil sie immer glaubt, sie könnte sie aus dem Nationalrat verdrängen. Allmählich wird es Zeit, daß die ÖVP diesen Versuch aufgibt, ganz abgesehen davon, daß sie gar nicht weiß, wie sich die Mehrzahl der FPÖ-Wähler nach einem Zusammenbruch ihrer Partei entscheiden würde. Withalm spricht zwar immer wieder von der Mehrheit der beiden Oppositionsparteien im Parlament gegenüber der Regierung Kreisky, doch seit der Wahlnacht am 1. März 1970 tut die ÖVP alles, um die zweite Oppositionspartei zu vergrämen und sie in die Arme der SPÖ zu treiben. Von einer Mehrheitsmeinung der beiden Oppositionsparteien ton Parlament kann,keine Rede mehr sein. Die FPÖ steht derzeit der SPÖ näher als der ÖVP. Withalms Behauptung gründet sich deshalb auf eine Schimäre.

Der ÖVP Parteiobmann muß bei Kreisky in die Lehre (gehen, wie man eine kleine Oppositionspartei behandelt, wofür die Fernsehsendung mit den drei Parteiobmännern in der Wahlnacht ein Beispiel bot. Als Parteiführer darf man eine Partei, mit der man selbst Politik machen will, nicht dauernd wegen ihrer Verhandlungen mit der SPÖ anschwärzen. Derartiges soll ein Politiker von Format den Journalisten überlassen. Die ÖVP muß sich klar darüber werden, daß durch die vom Bundeskanzler angekündigte Wahlrechtsreform, die noch vor einer Neuwahl kommt, die FPÖ stärker wird, was die Erringung der absoluten Parlaments -mehrheit für eine der beiden Großparteien ziemlich aussichtslos macht. Daß diese Wahlreform die FPÖ noch enger an die SPÖ bindet, ist offensichtlich Es wäre deshalb für die ÖVP vielleicht klüger, sich nicht mehr an das bestehende Wahlsystem, das sie sowieso nicht aufrechterhalten kann, zu klammern, um dadurch die FPÖ zu neutralisieren. Die Volkspartei muß ferner lernen, daß zur Politik die Faktoren Taktik und Propaganda gehören. Beides wird derzeit von der ÖVP schlecht betrieben. Beispielsweise sind Wit-halms einsame Entschlüsse, die er zu allem Überfluß als Überraschungseffekte der Bevölkerung verkündet, für eine demokratische Partei auf die Dauer untragbar. Kreisky, der eine wesentlich stärkere Position in seiner Partei einnimmt, würde solche taktische und propagandistische Fehler nie begehen. Sie 6cbaden dem

Image nicht nur des Parteiführers, sondern der Partei selbst. Seinerzeit besaß die ÖVP in Professor Karnitz einen Mann, der Gesellschaftspolitik betrieb und diese dem Volk glaubwürdig präsentierte. Auch derzeit besitzt die Partei in Professor Koren einen Mann, der gleich Karnitz die Begabung besitzt, Gesell-schaftspolitik zu betreiben und die Bünde in ihre Schranken zu weisen. Es wird deshalb alles darauf ankommen, inwieweit es Koren mit einem Team gelingt, ein neues Programm zu erstellen. Die SPÖ benötigte zur Erstellung ihres Programmes über zwei Jahre. Die ÖVP lachte darüber, doch die Bevölkerung wählte am 1. März 1970 die SPÖ. Die Verluste in Innsbruck am letzten Sonntag gehen beispielweise darauf zurück, daß der ÖAAB bisher noch kein überzeugendes Programm erstellt hat, das vor allem die Angestellten — und im Laufe der nächsten zehn Jahre ist fast jeder dritte Österreicher ein AngesteEter — anspricht und zu begeistern vermag.

Schließlich müssen auch die Führungsverhältnisse innerhalb der ÖVP geklärt werden. Es besteht zwar augenblicklich das Triumvirat Wit-halm—Schleinzer—Koren, doch die Geschichte lehrt, daß aus dreien immer einer als Sieger hervorgeht. Die ÖVP täte deshalb gut, sich schon jetzt zu entscheiden, wer von den dreien als der führende Mann für die nächsten Wahlen, die möglicherweise schon bald stattfinden könnten, herauszustellen ist, damit sich nicht in der Zwischenzeit alle drei gegenseitig ausnianövrieren und die ÖVP vor den Wahlen mit angeschlagenen Politikern den Kampf aufnehmen muß. Die Semmeringtagung in dieser Woche wäre ein guter Start zu einem neuen Beginn. Sonst wird es für die ÖVP langsam zu spät.

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