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Das Pendel

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Wer gewinnt die nächste Nationalratswahl? Es gibt bisher noch keine Methode, um den Ausgang von Nationalratswahlen mit einiger Sicherheit Voraussagen zu können. Zwischenwahltrends und Meinungsumfragen können zwar gewisse Anhaltspunkte liefern, wie aber in- und ausländische Erfahrungen zeigen, lassen auch sie keine sicheren Rückschlüsse auf das schließUche Ergebnis zu. Es drängt sich die Frage auf, ob sich bei der Betrachtung der österreichischen Nationalratswahlresultate seit Ende des Zweiten ‘Weltkrieges nicht eine gewisse „statistische” Gesetzmäßigkeit herausdestillieren läßt.

Bis zum Jahr 1966 konnte man sich auf das „Pendel” verlassen. Mit mathematischer Genauigkeit wechselten Siege und Niederlagen der beiden großen Parteien einander ab. Sieht man von der Wahl 1945 ab, die unter außerordentlichen Umständen abgehalten wurde, so gab es 1949, 1956 und 1962 Gewinne der ÖVP und Verluste der Sozialisten, während es 1953 und 1959 umgekehrt war.

Gebannt starrten die großen Parteien auf diese Pendelschwingungen. Die ÖVP erklärte es daher nach 1962 zu ihrem inoffiziellen Wahlkampfziel, diese Pendelbewegung aufzuhalten, die ihr für 1966 eine sichere Niederlage eingebracht hätte. Nun ist tatsächlich mit dem 6. März 1966 ein Wahlergebnis eingetreten, das sich mit dem Pendel nicht mehr erklären läßt.

Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder die Volkspartei hat in einer gigantischen Willensanstrengung dem Pendel Einhalt geboten, oder das Gesetz des Pendels hat nie gegolten. Vielleicht richteten sich die Wahlresultate — vorausgesetzt, daß es überhaupt eine Gesetzmäßigkeit gibt — nach einer anderen Regel.

Vielleicht gibt es das geheime „Gesetz vom Parteivorsitzenden”?

Einen „Beweis” für dieses Gesetz gibt es selbstverständlich nicht, doch lassen sich alle Wahlen der letzten 20 Jahre — also auch die Nationalratswahl 1966 — damit erklären. Es wäre Aufgabe der Tiefenpsychologie, mögliche Ursachen für dieses Gesetz aufzuspüren. Wie lautet es?

Die Regel ist einfach, vielleicht zu einfach: Ist ein Parteivorsitzender „neu”, gewinnt er die Wahl. Je „älter” er ist, desto größer ist sein Verlust.

1949 trat Figl das erste Mal als Bundeskanzler zu einer Nationalratswahl an — und gewann. Bei seinem zweiten Anlauf, 1953, verlor die ÖVP sogar die Stimmenmehrheit und behielt gerade noch ein Mandat im Nationalrat mehr.

Der „neue” Raab gewann 1956 und mußte 1959 die bisher schwerste Niederlage der ÖVP bei einer Natio- nalratswahl hinnehmen. Der Stimmenvorsprung der Sozialisten war größer als 1953. War dies darauf zurückzuführen, daß auch in der SPÖ ein Wechsel im Parteivorsitz stattfand und der ÖVP ein damals „neuer” Pitt ermann gegenüberstand? 1962 hatte jedenfalls Gorbach (erste Wahl) gegen Pittermann (zweite Wahl) Erfolg. 1966 aber mußte nach diesem Gesetz die ÖVP haushoch gewinnen — und sie tat es auch. An ihrer Spitze zog als Wahllokomotive Josef Klaus, dem ein Pittermann gegenüberstand, der schon seine dritte Wahlschlacht schlug.

Extrapoliert man nun diese Regel auf das Jahr 1970, müßte man einen klaren Verlust der Regierungspartei Voraussagen: Klaus schlägt seine zweite Nationalratswahl, Kreisky seine erste. Wir haben eine ähnliche Situation wie 1959.

Selbstverständlich findet ein solches Wahlverhalten keine logische Begründung. Es würde alle Leistungen, Programme, Persönlichkeiten und auch Propaganda zu mehr oder minder uninteressanten Facetten der Demokratie degradieren. Der kritische Demokrat lehnt sich gegen diese scheinbare Zwangsläufigkeit einer politischen Gewinn- und Verlustrechnung auf.

In der ÖVP, wo man sich ebenso wie in der Löwelstraße mit solchen Spielereien beschäftigt, wirft man deswegen noch nicht die Flinte ins Korn. Man kalkuliert mit folgenden Möglichkeiten:

• Das „Gesetz vom Parteivorsitzenden” gibt es gar nicht. Es handelt sich um einen reinen Zufall.

• Dieses Gesetz existiert zwar, galt aber nur für den Clinch der Koalition und ist daher seit 1966 aufgehoben.

Dieses Gesetz gilt, man kann es aber genau wie den 1966 befürchteten Pendelrückschlag durch einen Kraftakt einer einigen und geschlossenen Partei, die weiß, was sie will, durchbrechen. Ob die ÖVP zu einem solchen Aufschwung fähig ist, wird sich schon vor dem 1. März heraussteilen, nämlich beim Bundesparteitag Mitte November — nach den Landtagswahlen in Niederösterreich und Vorarlberg. Nach der reibungslosen Einigung über das Budget 1970 und dem überraschend guten Abschneiden des ÖAAB bei den Arbeiterkammerwahlen dürften die Auspizien für die Volkspartei wieder etwas günstiger stehen.

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