Der Koalitionäre neue Kleider

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DER GEFÜHLT ACHTZEHNTE NEUSTART WIRD ZUR ALLERLETZTEN CHANCE FÜR ROT-SCHWARZ. DIE ÜBUNG WIRD MISSLINGEN. ABER GERUNGEN WIRD GAR NICHT UM REFORMEN, SONDERN UM DIE BESSERE AUSGANGSLAGE IM POLITISCHEN VORWAHL-MIKADO.

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DER GEFÜHLT ACHTZEHNTE NEUSTART WIRD ZUR ALLERLETZTEN CHANCE FÜR ROT-SCHWARZ. DIE ÜBUNG WIRD MISSLINGEN. ABER GERUNGEN WIRD GAR NICHT UM REFORMEN, SONDERN UM DIE BESSERE AUSGANGSLAGE IM POLITISCHEN VORWAHL-MIKADO.

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Mit Prognosen sollte man in bewegten Zeiten vorsichtig sein. Hätte jemand vor zwölf Monaten das Wahljahr 2016 mit den Aufregern Brexit, Donald Trump und der sich über fast ein Jahr ziehenden Wahl-Farce in Österreich vorausgesagt, er wäre wohl verlacht worden. Dabei ist das starke Abschneiden diverser Anti-Establishment-Kandidaten keine Sensation. Diese Entwicklung hatte sich über Jahre, auch in Österreich, angekündigt.

Das bröckelnde Vertrauen in scheinbar unverrückbare Systemkonstanten des demokratischen wie wirtschaftlichen Gefüges war Alarmzeichen genug. Allerdings nicht für die Regierenden. Sie wähnten sich in Sicherheit. Schon der Ausgang der Nationalratswahl 2013 war fehlgedeutet worden, weil sich die wahre Stärke des Protestlagers, aufgespalten in FPÖ, Team Stronach und BZÖ, nicht auf den Blick zeigte. So waren sich SPÖ und ÖVP zu Beginn dieses Jahres noch sicher, dank ihrer legendären Mobilisierungskraft ihre Kandidaten zumindest in die Stichwahl um die Bundespräsidentschaft zu bringen.

Das Ergebnis ist bekannt. Die koalitionäre Lernkurve allerdings blieb flach. Den verglichen mit dem Ergebnis vom Mai recht deutlichen Wahlsieg Alexander Van der Bellens deutete man zu einer Machtdemonstration der Regierung um. Immerhin hatten der Kanzler und sein Vize den Ex-Grünen offiziell unterstützt. Das Faktum, dass das Votum viel eher eine Hofer-Verhinderungswahl war als ein bejahendes Statement zum Status Quo, schob man zur Seite. Ähnliches war schon bei der Wiener Landtagswahl bemerkbar, als Michael Häupl angesichts eines gegen die Wiener Stadtmauern anstürmenden Heinz-Christian Strache zähneknirschend bestätigt wurde. Das ist ein Trend, der sich verfestigen könnte: In der Politlandschaft wird die Wahl eines geringeren Übels als Triumphzug gedeutet.

Spätestens seit der für die Regierungsarbeit angenehmeren Entscheidung für Van der Bellen hat sich auch die Lust auf vorgezogene Nationalratswahlen abgekühlt. Waren viele noch vor wenigen Wochen von einem Termin im Mai 2017 ausgegangen, scheint der nun ad acta gelegt. Angesichts der nach einem Jahr Wahlkampf evidenten Ermattungserscheinungen will man der Bevölkerung nicht gleich wieder eine emotionale Wahl zumuten. Man werde bis zum regulären Termin im Herbst 2018 "durchdienen", verlautet es von der Koalitionsspitze. Davor wird aber noch "durchgestartet": ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner meinte gar, das Koalitionsprogramm werde in zentralen Teilen neu verhandelt werden.

ZUKUNFTSERZÄHLUNG GESUCHT

Sehr ambitioniert schaut er also aus, der gefühlt achtzehnte Neustart des rotschwarzen Trachtenpärchens. Dabei wäre das mit der Neuverhandlung des Programms ein Ansatz. Der Aufstieg der FPÖ nämlich ist weniger deren originärer Stärke geschuldet als der phrasenschwangeren Inhaltsleere der ehedem "Große Koalition" genannten Regierungskonstellation. Man verliert sich in Ritualen, hat einander aber wenig bis gar nichts mehr zu sagen. Und so trägt jedes Regierungsprogramm als Startdokument einer neu besiegelten Zusammenarbeit immer auch den Keim des Untergangs in sich. Davor haben sich Dutzende Verhandler dutzendfach getroffen; ihre jeweiligen Forderungen übergeben; alle Kraft darauf verwendet, die Wünsche des Anderen rauszuverhandeln; sich danach auf die Schulter geklopft und sich gerühmt, was man nicht alles verhindert habe; nur um am Ende gemeinsam mit leeren Händen an die Öffentlichkeit zu treten. Eine Vorwärtsstrategie ist so undenkbar. In Zeiten der Wohlstandsverwaltung ist das vielleicht gar nicht notwendig, jedenfalls wenn es um das regierungsseitige Handling der öffentlichen Meinung geht. In Zeiten der Krise allerdings - und in einer solchen befindet sich das Land, wenn es um das Demokratiezutrauen oder um Reformdiskussionen geht - braucht es diese Zukunftserzählung.

Eine solche werden SPÖ und ÖVP auch 2017 nicht vorlegen können, weil sie das gemeinsam auch gar nicht können. Theoretisch verhält es sich mit effektivem Krisenmanagement so: Man spricht offen und ehrlich die Versäumnisse an, zieht daraus Lehren und ändert diesen entsprechend sein Verhalten. Vor allem aber: Man macht mehr, als von einem erwartet beziehungsweise einem zugetraut wird.

Würde diese Bundesregierung doch noch eine Ausgabenreform zustande bringen, die diesen Namen verdient und staatliche Mehrfachgleisigkeiten abbauen, der Applaus wäre ihr sicher. In Ermangelung eines überzeugenden Symbols, auch im eigenen Bereich zu sparen, gingen bisher auch zweifellos gut gemeinte Initiativen wie die Steuerreform 2015 kommunikativ daneben.

So dürfte die größte Änderung in der Regierungszusammenarbeit den Stil betreffen. Auch hier brachte das Jahr 2016 neue Tiefpunkte. Man geriet sich wegen lächerlicher Themen in die Haare: Etwa ob der Frage, wer das Pressefoyer nach dem Ministerrat in welcher Form halten dürfe und wer wen wie lange auf die Regierungssitzung hatte warten lassen. Zumindest hier scheint es die Einsicht zu geben, dass ein weniger kindischer Umgang in der Öffentlichkeit mehr bringt. Hinter den Kulissen freilich schwelt der Stellvertreterkrieg, der die Koalition auf den letzten Metern prägen wird. Er lautet Christian Kern gegen Sebastian Kurz. Die jeweiligen Gefolgsleute schießen aus vollen Rohren gegen den Frontmann der Gegenseite. Dabei ist das Match noch gar nicht offiziell. Auf SPÖ-Seite sind die Fronten zwar klar. Auf ÖVP-Seite aber ist der neue starke Mann (bewusst) nicht inthronisiert. Doch: Verliert Kurz wegen diverser Querschüsse auch aus den eigenen Reihen nicht noch die Lust, führt an seiner Kandidatur kaum ein Weg vorbei. Zu verlockend sind seine Sympathiewerte. Langsam stellt sich auch die Frage, wer sonst die vor knapp 15 Jahren über der 40-Prozent-Marke verortete Partei vor dem Absturz unter 20 Prozent bewahren soll.

KERN GEGEN KURZ

So paradox es klingt: Ob die Koalition 2017 viel weiter bringt oder die üblichen Kompromisse zelebriert, ist nicht mehr entscheidend. Aus Sicht von Kern wäre die eine oder andere Überraschung zwar wünschenswert, könnte man so doch am Kanzlerbonus stricken. Doch das Kurz-Lager in der ÖVP wird das zu verhindern wissen. Die zentrale Frage ist, wer in Richtung Nationalratswahl besser aus den Startlöchern kommt. Beide Seiten schrecken davor zurück, als Auslöser für Neuwahlen zu gelten. Für eine reine Persönlichkeitswahl aber rüstet man schon: Kern gegen Kurz gegen Strache. Das negative Regierungsimage muss da nicht entscheidend sein. Auch wenn die FPÖ jede Umfrage dominiert - eingedampft auf die Frage, wer das Land künftig führen soll, haben SPÖ und ÖVP mit ihren wahrscheinlichen Frontfiguren keine schlechten Karten, über Vergangenes hinwegzutäuschen. Leiden würden nicht nur Grüne und Neos. Auch die FPÖ könnte im Persönlichkeitsmatch erneut unter ihren Möglichkeiten bleiben.

Thomas Hofer ist Strategie- und Politikberater in Wien. Er ist Autor zahlreicher Politikbücher, zuletzt "Dagegen sein ist nicht genug"(Hg.), K&S 2015

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