Wien im Zustand der Belagerung

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Das erwartete Duell blieb aus, wird aber zu den nationalratswahlen 2018 wiederkehren. Gewonnen wurde bloß Zeit, nicht der kampf gegen rechts.

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Das erwartete Duell blieb aus, wird aber zu den nationalratswahlen 2018 wiederkehren. Gewonnen wurde bloß Zeit, nicht der kampf gegen rechts.

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Wien ist in diesen Tagen die große Welt, in der die kleine (der Republik) ihre Probe hält. Aber auch weit über die Grenzen Österreichs hinaus starrte Europa mitten in der allgemeinen Flüchtlingskrise wie durch eine gewaltige mediale Lupe auf das "Duell" zwischen dem Herausforderer der politischen Rechten und dem politisch angeschlagenen "roten Wien, zwischen Ausländerfeindlichkeit und humanitärer Asylpolitik, zwischen der Xenophobie breiter Teile der "Unterschichten" und der neuen, überraschenden "Willkommenskultur" aus der Mitte der Zivilgesellschaft. Auf welche Seite werden sich die über 1,1 Millionen Wähler und Wählerinnen dieser zweitgrößten Stadt im deutschsprachigen Raum stellen? Welche Botschaft wird nach den Wochen geöffneter Grenzen in Europa von diesen Wahlen ausgehen? Kann die von der FPÖ ausgerufene "Revolution" gegen die "Überfremdung der Heimat" gegen "Umvolkung", gegen den Islam, gegen das Asylrecht, für neue Mauern um Europa zum Signal für die rechten und extrem rechten Kräfte in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden?

Enttäuschte Sieger, jubelnde Verlierer

Nun, die Wahl ist geschlagen, die angesagte Revolution hat nicht stattgefunden. Die FPÖ blieb mit ihrem Stimmenzuwachs von 5 Prozent auf 30,79 Prozent unter ihren eigenen Erwartungen und unter den Befürchtungen. Der Spitzenkandidat der SPÖ, Michael Häupl, bleibt trotz des mit 39,59 Prozent der Stimmen schlechtesten Wahlergebnisses in der Zweiten Republik Bürgermeister und kann sowohl mit den leicht geschwächten Grünen wie mit der auf 9,5 Prozent eingebrochenen ÖVP respektable Koalitionen bilden.

Das von beiden Seiten theatralisch ausgerufene "Duell" zwischen Michael Häupl und H.C. Strache hat also einen klaren Sieger. Wie in Wien bei historischen Ereignissen üblich, streitet man nun darüber, ob es überhaupt stattgefunden hat. Europa jedenfalls wendet sich, fürs Erste erleichtert ab und wieder den jeweils eigenen instabilen politischen Verhältnissen und Krisen zu: nur ein Sturm im berüchtigt trüben Wasserglas österreichischer Politik?

Der Auftritt der Spitzenkandidaten am Wahlabend bot ein seltsames Bild. Ein von seinen Anhängern umjubelter FPÖ-Spitzenkandidat, immerhin mit dem besten aller Wahlergebnisse, in demonstrativ bürgermeisterlichem Aufzug war offenkundig nur auf eine strahlende Siegerpose vorbereitet, wirkte verloren und verkündete schließlich den Aufschub der Revolution auf "das nächste Mal". Doch schien er im Laufe des Abends zu realisieren, dass er sich zwar mit seinen Wahlkampfaussagen verstiegen hatte, "die Sache" aber für die FPÖ alles andere als verloren war. Hat er nach der Verdoppelung der Wählerstimmen für die FPÖ in Oberösterreich tatsächlich seine Chance in einem direkten Duell mit dem rot-(grün)-en Wien gesehen? Hat er nach der Bildung einer Koalition mit der SPÖ im Burgenland ernsthaft an einen Sieg "in der Höhle des Löwen" geglaubt? Oder an eine Führungsrolle in den Reihen der politischen Rechten in Europa?

Eine Welle der Hilfsbereitschaft, ein plötzlicher Aufbruch aus der Zivilgesellschaft für Humanität und Achtung des Rechts gegenüber den hunderttausenden Flüchtlingen, die über Österreich nach Deutschland und Skandinavien zu gelangen suchten, machten ihm jedenfalls einen gehörigen Strich durch die Rechnung.

Die Grünen, die zu den katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingslagern und dem hilflosen, rechtlosen oder gar aggressiven Agieren der Bundesregierung, ausgerechnet in einem seit ihrer Gründung zentralen Anliegen zu keinem entschlossenen Widerstand fanden, erweckten im Wahlkampf wochenlang gar den Eindruck, sich möglichst heraushalten zu wollen, mindestens aber genau so überfordert zu sein wie die Regierungsparteien. Bürgermeister Häupl aber nutzte die Stunde zu einem beherzten Eingreifen in die Flüchtlingspolitik und mobilisierte die Ressourcen der Stadt zur unbürokratischen Hilfe für die Flüchtlinge.

Der ÖVP-Kandidat Manfred Juraczka verkörperte am Wahlabend wie schon im Wahlkampf glaubwürdig das Siechtum der ÖVP in Wien. Seinen Namen hat man wohl vergessen, noch ehe er zurückgetreten war. Die Spitzenkandidatin der NEOS, Beate Meinl-Reisinger, konnte an seiner Stelle fröhlich den erstmaligen Einzug einer neuen, bürgerlich-liberalen Kraft in Landtag und Gemeinderat feiern und vergaß darüber, dass nach der Serie von Niederlagen der NEOS in den Bundesländern die nun erreichten 6,16 Prozent in Wien doch nur eine absolute Mindestbasis für den erhofften Neuanfang darstellt.

Gewöhnt an grüne Niederlagen

Maria Vassilakou, Spitzenkandidatin der Grünen, nahm den Verlust eines weiteren Mandats (nach minus zwei Mandaten im Jahre 2010) - wie bei grünen Niederlagen mittlerweile schon üblich - kaum zur Kenntnis. Von ihrem öffentlichen Versprechen im Falle von Verlusten zurückzutreten, wollte sie spürbar nichts mehr wissen. Sie meinte, dabei habe sie nicht an Prozentzahlen gedacht - und wie wir heute wissen, auch nicht an den Verlust eines Mandats. Stattdessen versuchte sie allen Ernstes mit dem demokratiepolitisch höchst bedenklichen Argument, die verlorenen Stimmen seien "grüne Leihstimmen an die SPÖ", Bürgermeister Häupl unter Druck zu setzen und noch am Wahlabend zu einer Koalitionszusage zu drängen, was dieser nur mit geduldigem, später dann gequältem Lächeln abtat. Er, als "Sieger des Duells" ebenfalls umjubelt, agierte mit offenkundig bleichem Gesicht äußerst verhalten.

Nächstes "Duell" wird noch härter

Michael Häupl hat mit seiner Haltung in der Flüchtlingskrise eben nicht das Duell gegen die politische Rechte in Österreich, gegen Hetze und Demagogie, für Demokratie, Recht und Humanität entschieden. Er hat nur Zeit gewonnen. Und er wurde an diesem Abend zur bestimmenden politischen Figur in der SPÖ. Wofür - das wird sich erst zeigen. Aber er schien an diesem Abend als einziger der Spitzenkandidaten wie auch der Journalisten zu realisieren, dass "das Duell" mit der politischen Rechten nur in Wien, unter großen Verlusten, bloß vorläufig und allein durch ihn "gewonnen" worden war, dass dieses Duell tatsächlich bei den Nationalratswahlen 2018 auf Bundesebene stattfinden wird und dass nicht er der Herausgeforderte sein wird, sondern die Herren Faymann und Mitterlehner mitsamt ihren Parteien.

Und er schien als einziger mitten in falschem Jubel, mitten in Ignoranz, Realitätsverleugnung und Verdrängung nicht nur zu begreifen, dass diese beiden, ehemals staatstragenden Parteien in ihrem derzeitigen Zustand auch noch die gemeinsame einfache Mehrheit verlieren würden, sondern auch, dass dann mit womöglich weiter geschwächten, weiter entpolitisierten Grünen oder mit wenig erfolgreichen NEOS kein Staat zu machen sein würde. Er sagte, "ich betrachte das Wahlergebnis nicht als Auftrag, so weiter zu machen wie bisher", und forderte Reformen seiner Partei und eine neue Politik. Doch seine Worte verhallten in einem gespenstischen Jubel von vermeintlichen Siegern und vermeintlichen Verlierern. Die anderen Spitzenkandidaten äußerten sich nicht dazu. Nur H.C. Strache lächelte maliziös.

Der Autor ist einstiger Grünen-Politiker und war zwischen 1995 und 2009 Europa-Abgeordneter

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