"Weg vom bierernsten langen Zeigefinger"

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Österreich, 2017, Nationalratswahlen: Die "Grünen" erleben ihr Schicksalsmoment. Sie erhalten nur mehr 3,8 Prozent und scheiden aus dem Nationalrat aus. Sie verlieren mediale Bühne und ihr finanzielles Fundament. Auf der einen Seite fallen knapp neun Millionen staatliche Fördergelder weg, auf der anderen Seite müssen Schulden aus dem Wahlkampf beglichen werden. Personelle Konsequenzen lassen nicht lange auf sich warten. Wenige Stunden nach Bekanntwerden des Debakels geben Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek und Parteichefin Ingrid Felipe ihre Rücktritte bekannt. Walter Kogler übernimmt.

Deutschland, 2018, Landtagswahlen: In Bayern können die "Grünen" mit 17,5 Prozent ihr Ergebnis von 2013 mehr als verdoppeln. Sie werden zweistärkste Kraft. In München landen sie sogar auf dem ersten Platz.

Die deutsche Hausse

Zwei Wochen später. Der Traum geht weiter. Auch in Hessen verzeichnet die Partei mit knapp 20 Prozent ein historisches Ergebnis. Bereits vor der Wahl war der grüne Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir zum beliebtesten Politiker des Bundeslandes gewählt worden. Dabei ist Hessen nicht irgendein Bundesland. Es beheimatet einige der wirtschaftsstärksten Regionen Deutschlands. Stichwort Finanzmetropole Frankfurt. Dass ein "Grüner" in diesen Gefilden so viel Zuspruch erfährt, galt vor einigen Jahren noch als ausgeschlossen.

Untergang versus Aufstieg. Die Lage der Öko-Partei im Ländervergleich könnte gegensätzlicher nicht sein. Warum ist das so? Was machen die einen richtig -oder die anderen falsch? Gerade Österreich und Bayern sagt man ja seit jeher eine ähnliche Gesellschaftsstruktur nach. Warum werden "die Grünen" südöstlich der Alpen in die Hölle geschickt und ihr Pendant im Norden in den Himmel gelobt? Vier Faktoren machen für den Wiener Politikwissenschaftler Thomas Meyer diesen eklatanten Unterschied aus. Punkt eins: sie Schwäche der SPD. Laut Meyer hätten die deutschen "Grünen" davon profitiert. "Eine schlechte Performance in der Großen Koalition, Personaldebatten die Sozialdemokratie in Deutschland hat für viele an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Hunderttausende ehemalige SPD-Wähler haben ihr Kreuzchen deshalb diesmal bei den Grünen gemacht", so der Experte.

Zweitens wären umgekehrt die österreichischen "Grünen" über ihre internen Querelen gestolpert und hätten sich damit selbst ins Aus befördert. Meyer erinnert an den Streit um die Jugendorganisation, die anhaltende Kritik an der ehemaligen Parteichefin Eva Glawischnig und letztlich den Eklat rund um die Listenerstellung für die Nationalratswahl 2017, die in der Gründung der Liste Pilz mündete. "Unstimmigkeiten wie diese haben viele Anhänger regelrecht vergrault."

Faktor Nummer drei ist die Stellung der Rechtspopulisten in den jeweiligen Ländern und der Einfluss, den diese auf das Wahlergebnis der "Grünen" hat. Wahlforscher Meyer: "In Deutschland ist das Phänomen einer starken, rechtspopulistischen Partei noch relativ jung, in Österreich gehören die Rechtspopulisten bereits zum Mainstream. Das wiederum wirkt sich auf die Stimmabgabe von enttäuschten, bürgerlichen Wählern aus", sagt Meyer. Während es in Österreich mittlerweile zur Tagesordnung gehört, dass Wähler aus dem konservativen Milieu ins Lager der FPÖ wechseln, wäre das in Deutschland derzeit noch sehr unwahrscheinlich. Dort hätten deshalb viele konservativ eingestellte Bürger als Alternative lieber grün gewählt.

Vierter und letzter Punkt für die asymmetrischen Erfolge der "Grünen" ist für den Politikwissenschaftler die Tatsache, dass sich bei den Bevölkerungen die öffentliche Meinung beim Thema Zuwanderung spaltet. Zwar wäre die deutsche Bevölkerung in puncto Migration auch kritisch eingestellt, aber "nicht ganz so kritisch wie die österreichischen Wählerinnen und Wähler". Meyer zitiert die jüngst veröffentlichte europäische Wertestudie, in der sich 71 Prozent der Deutschen, aber nur 44 Prozent der Österreicher dafür ausgesprochen hatten, Menschen aus einem unterschiedlichen Kulturkreis im Land aufzunehmen. Meyer: "Traditionell schlagen die Grünen, wenn es um Zuwanderung geht, liberalere Töne an. In Deutschland kann man damit eher punkten, als bei uns."

"Deutschland ergrünt","Die grüne Hoffnung", "Das grüne Licht leuchtet" - um nur einige Schlagzeilen zu nennen, die in der Bundesrepublik auf den Titelblättern der großen Zeitungen zu lesen waren. Parteichef Robert Habeck bezeichnen einige Kommentatoren ohnehin bereits als "deutschen Macron", der mit ganz großen Schritten auf das Kanzleramt zusteuert.

Mission Kanzleramt?

Die "Grünen" im österreichischen Kanzleramt? Nach derzeitigem Stand ist das selbst für Berufsoptimisten ein schwer vorstellbares Szenario. Auch wenn viele Prognosen dafür sprechen, dass die Partei bei den nächsten Nationalratswahlen die Vier-Prozent-Hürde wieder schaffen wird -die Folgen des Wahl-Desasters sind nach wie vor an allen Ecken und Enden sichtbar. Trotzdem versprüht der am vergangenen Samstag mit 99,2 Prozent der Stimmen gewählte Parteichef Werner Kogler, der auch bei der EU-Wahl 2019 als Spitzenkandidat der "Grünen" ins Rennen gehen wird, Aufbruchstimmung und Optimismus. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er sich vom Erfolg der deutschen Freunde hat inspirieren lassen.

"Wir können uns von deren Frische und Fröhlichkeit wirklich etwas abschauen. Und das werden wir auch", erklärt Kogler im Gespräch mit der FURCHE. Der Bundessprecher will das Image der Partei aufpeppen und "weg von diesem bierernsten, langen Zeigefinger". Kogler: "Man kann ruhig in der Sache ernst sein, darf aber trotzdem lebendig und positiv bleiben."

Damit das auch gelingt, gibt es schon seit Monaten einen regelmäßigen Austausch mit Habeck &Co. Hin und wieder reist Kogler nach Berlin oder München, um sich Anregungen für die eigene strategische Ausrichtung zu holen. Außerdem will er künftig auf neues Personal setzen, "unbelastet von vergangenen Parteivorgängen".

Salzburger Hoffnungsträgerin

Eine von Koglers großen Hoffnungsträgern ist die Salzburger Klubobfrau Martina Berthold, die er als Spitzenkandidatin für die Gemeinderatswahl im Frühjahr ins Rennen schicken wird. Das Ziel: Berthold soll den Bürgermeistersessel der Stadt Salzburg erobern. Wie das gelingen soll? Kogler setzt auf ihre herzliche und optimistische Art. Der Bundessprecher: "Sie ist derselbe Typ wie Katharina Schulze aus Bayern, die ehemalige Spitzenkandidatin. Und die konnte mit ihrem Fröhlichkeitsgewitter Hunderttausende für sich gewinnen!" Dass die bayerische Parteifreundin als Unterstützerin auch im Salzburger Wahlkampf mitmischt, soll bereits beschlossene Sache sein.

Österreich, 2019, Europa-Wahlen: Werden sich die "Grünen" dank Optimismus-Kampagne wie ein Phönix aus der Asche erheben und in neuem Glanz erstrahlen?

Daran glaubt derzeit wohl niemand so recht. So sagt etwa der grüne EU-Koordinator Peter Steyrer: "Unser Wahlziel für 2019 haben wir noch gar nicht festgelegt. Es wird wohl erstmal um den Wiedereinzug ins EU-Parlament gehen." Auch Politologe Meyer bezweifelt, dass die Öko-Partei ihr Tief so schnell überwinden wird. Er sieht den Scheidepunkt erst bei der nächsten Nationalratswahl, sagt: "Übersteht sie die Zeit dorthin und schafft sie den Einzug in den Nationalrat, könnte sie sich wieder etablieren. Denn: Das Wählerpotenzial ist da. Noch "

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