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Der Parteien Freud' und Leid

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Die Landtags- und Kommunalwahlen in der Bundesrepublik vom Sonntag, den 10. März, die durch die weltpolitischen Nachrichten so schnell aus den Schlagzeilen der Zeitungen verdrängt worden sind, haben mit den Ereignissen in Moskau wenigstens eines gemeinsam: Die Folgen sind nur schwer abzuschätzen. Und noch schwerer wird es den Parteien fallen, Konsequenzen aus Ergebnissen zu ziehen, die sich so widersprechen.

Für die meisten überraschend war das spektakuläre Abschneiden der FDP. Viele haben damit gerechnet, daß die FDP in zwei

Landtagen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würde. Sie hat diese nicht nur übersprungen, sie hat auch gegenüber den letzten Wahlen deutlich zugelegt.

Der Wechsel im Parteivorsitz von Hans-Dietrich Genscher zu Martin Bangemann war hiebei sicherlich mit ausschlaggebend für die Konsolidierung des Koalitionspartners der Unionsparteien im Bund. Mit CDU-Leihstimmen allein ist er nicht mehr zu erklären.

Die Folge dieses Aufschwunges wird es sein, daß die FDP gestärkt in die wichtigsten Landtagswahlen des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen am 12. Mai hineingehen wird. Auch in der Bundespolitik wird sie gegenüber den Unionsparteien, insbesondere gegenüber der CSU, mit mehr Selbstbewußtsein agieren können. Denn der Vorwurf, die FDP laufe Gefahr, unter fünf Prozent zu verschwinden, zieht nun nicht mehr.

Eng zusammenhängend mit dem Erfolg der FDP beziehungsweise auch mit dem jeweiligen Abschneiden der CDU in Berlin und der SPD im Saarland hängt das Ergebnis der Sitzverteilungen in den betreffenden Landtagen zusammen, die eindeutige Regierungsmehrheiten geschaffen haben. Sowohl in Berlin (ausgebaute CDU/FDP-Mehrheit) als auch im Saarland (SPD absolute Mehrheit) konnten Minderheitsregierungen („hessische Verhältnisse”) abgewendet werden.

Dies war auch eine Überraschung der Wahlen, daß offenbar das Wählerpotential der Grün-Alternativen nicht nur nicht ausgeschöpft ist, sondern sogar zu stagnieren beginnt. In Berlin rechneten die Alternativen mit einem Zuwachs von 7,2 Prozent auf um die 15 Prozent, was sowohl von politischen Beobachtern wie auch von Meinungsforschern bestätigt worden war. Heraus kamen nur 10,6 Prozent.

Im Saarland schrumpften die Grünen, im Vergleich zur letzten Landtagswahl 1980 von 2,6 auf 2,5 Prozent. Gegenüber den Bundestagswahlen 1983 und den Kommunalwahlen von 1984 wurden sie halbiert.

Der Grund hierfür liegt wahrscheinlich darin, daß ein großer

Teil der Grün-Wähler, vor allem aus dem intellektuellen Reservoir, von den grünen Abgeordneten verlangt, daß sie machbare Politik und keine Kaspereien betreiben. Der Brief der beiden Fraktionssprecherinnen der Grünen im Bundestag, Antje Vollmer und Christa Nickels, an einige RAF-Häftlinge zur Zeit ihres Hungerstreiks, hat auch jene Grün-Sympathisanten abgeschreckt, die mit den Terroristen nicht das geringste zu tun haben wollen.

Die darauffolgenden Diskussionen in der Bundestags-Fraktion der Grünen brachten hinsichtlich der Ablehnung der Gewalt und der Anerkennung des alleinigen Gewaltmonopols des Staates keine Klarheit. Der bekannte grüne Abgeordnete Otto Schily, der die Zustimmung zu diesen beiden

Prinzipien forderte, blieb eindeutig in der Minderheit.

Der Grund für das schlechte Abschneiden der Grünen im Saarland ist auch in der Person des Spitzenkandidaten der SPD, Oskar Lafontaine, und seiner Politik zu suchen. Dieser „Öko-Sozialist” der aus dem katholischen Bereich kommt, hat es sicherlich verstanden, durch entsprechende Akzente einen Teil der Grün-Wähler zur SPD zurückzuholen.

Gestärkte SPD-Linke

Oskar Lafontaine wurde durch seinen eindrucksvollen Wahlsieg einer der ersten Anwärter für die Nachfolge Willy Brandts als Vorsitzender der SPD. In ihr wird es aber in Hinkunft zu verstärkten Diskussionen um den Kurs der Partei kommen: Die Partei-Linke, gestärkt durch einen Wahlsieg, wird gegenüber der Partei-Rechten, die durch die Niederlage Hans Apels in Berlin geschwächt wurde, Positionen fordern. Ob aber mit einem linken Kurs am rechten Rand Wähler zu halten sein werden, steht in der Zukunft. Bei der CDU mischen sich wie bei der SPD Freude und Leid. Dem Erfolg Eberhard Diepgens in Berlin und Walter Wallmans in Frankfurt steht der nicht zu beschönigende Verlust der CDU im Saarland und in einigen Städten Hessens gegenüber.

Im Kräfteverhältnis zwischen Regierungsparteien und Opposition hat sich nichts Wesentliches verschoben, trotzdem ist der Verlust eines Bundeslandes in der Gewichtung schmerzlicher als die Freude über das Halten von Berlin und Frankfurt. Auch gehen drei Sitze im Bundesrat, der in Deutschland weitaus gewichtiger ist als in Österreich und eine mitentscheidende Funktion besitzt, von der CDU zur SPD. Diese beiden Parteien haben je gleich viele Sitze, so daß die CSU unter Franz Josef Strauß mit den fünf bayerischen Stimmen an politischem Gewicht gewinnt.

Bei den Wahlen am 10. März sind einige Fragen aufgeworfen und überraschende Trends aufgezeigt worden. Erst bei den Wahlen am 12. Mai in Nordrhejn-Westfa-len wird vermutlich mehr Klarheit gewonnen werden.

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