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Das „Aggiornamento“

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Der Parteitag der CSU, der in den letzten Septembertagen in München stattfand, hat mehrere Trendlinien innerhalb dieser anscheinend so monolithischen Partei deutlicher zutage treten lassen. Es kommt nicht von ungefähr, daß Strauß diese Delegiertenversammlung, die sich durch breite, weitgehend sachgerechte Diskussion und gut vorbereitete Beiträge zur Mitbestimmung und zum Bodenrecht auszeichnete, einen „wesentlichen Markierungsstein“ in der Parteigeschichte nannte und daß das Echo in den Massenmedien ungewöhnlich positiv ausfiel. Die CSU hat aus dem Schock jener Novembernacht 1972, als sie zwar im Gegensatz zur CDU 0,7 Prozent Stimmen gegenüber den letzten Bundestagswahlen hinzugewann und einen Wähleranteil von 55,1 Prozent erreichte, anderseits jedoch einem starken Umbruch der gewohnten wahlgeographischen Landschaft gegenüberstand, Konsequenzen gezogen, die sich nunmehr auszuwirken beginnen.

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Der Parteitag der CSU, der in den letzten Septembertagen in München stattfand, hat mehrere Trendlinien innerhalb dieser anscheinend so monolithischen Partei deutlicher zutage treten lassen. Es kommt nicht von ungefähr, daß Strauß diese Delegiertenversammlung, die sich durch breite, weitgehend sachgerechte Diskussion und gut vorbereitete Beiträge zur Mitbestimmung und zum Bodenrecht auszeichnete, einen „wesentlichen Markierungsstein“ in der Parteigeschichte nannte und daß das Echo in den Massenmedien ungewöhnlich positiv ausfiel. Die CSU hat aus dem Schock jener Novembernacht 1972, als sie zwar im Gegensatz zur CDU 0,7 Prozent Stimmen gegenüber den letzten Bundestagswahlen hinzugewann und einen Wähleranteil von 55,1 Prozent erreichte, anderseits jedoch einem starken Umbruch der gewohnten wahlgeographischen Landschaft gegenüberstand, Konsequenzen gezogen, die sich nunmehr auszuwirken beginnen.

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Einer der Hauptakteure im begonnenen „Aggiornamento“' ist — neben schwäbischen und fränkischen Parteiverbänden — der Münchner Unterbezirk der CSU unter seinem wendigen Vorsitzenden Kiesl, Staatssekretär im bayrischen Innenministerium und seinem zunehmend an Einfluß gewinnendem Bonner Büchsenspanner, dem Bundestagsabgeordneten Dr. Riedl. Im Verein mit dem Vorsitzenden der CSU-Fraktion im Rathaus, Zehetmeier, hatten sie es schon früher verstanden, die permanente Konfliktsituation der Münchner SPD geschickt auszunutzen und ihre sozioligsche sowieso etwas von den anderen lokalen Parteiverbänden verschieden strukturierte Mitgliederschaft im Sinne eines „fortschrittlichen Konservatismus“ zu aktivieren. Das erste Resultat zeigte sich bei den Bundestagswahlen, wo sie ein Plus von 50.000 Stimmen in München verzeichnen konnten. Gestützt auf dieses Ergebnis meldeten sie daraufhin unmißverständlich ihren Anpsruch an, mehr als bisher auch den Gesamtkurs der Partei mitbestimmen zu können. In zahlreichen Diskussiemsrunden und Parteitagen erarbeiteten sie Vorstellungen zur Bodenreform, zur paritätischen Mitbestimmung und den Entwurf eines Schulmitbestim-mungsgesetzes, die zum Teü erheblich von den bisher in der Partei geltenden Maximen abwichen. Initiativen, wie Grundsatzpapiere zum Gastarbeiterproblem, Anträge auf vermehrte Wirtschaftskunde in den bayrischen Schulen, Studien zur Sozialen Marktwirtschaft und zum Unternehmensrecht von morgen, zeugten von neu gewonnener Dynamik. Auf einem vielbeachteten Pro-grammpartedtag im März, der in mancherlei Hinsicht den Landesparteitag vorbereitete, erklärte Kiesl: Die CSU will „eine Gesellschaft, die den Menschen die Chance garantiert, sich sowohl intellektuell, als auch religiös, geistig und seelisch nach freiem Willen zu entfalten“.

Personell eng verzahnt mit dem Münchner Unterbeznrk ist ein weiterer wesentlicher Faktor im gegenwärtigen Erneuerungsprozeß der CSU: die Junge Union. Spätestens seit den Analysen der Bundestagswahlen, die bei den Jungwählern einen nur noch minimalen Vor-sprumg der CSU gegenüber der SPD nachwiesen, genießt sie das bevorzugte Wohlwollen der Parteiführung. Daß dabei die bewußt lange Leine nicht übermäßig strapaziert wird, geht nicht zuletzt auch auf das Konto des derzeitigen Landesvorsitzenden der Jungen Union, des Bundestaigsabgeordneten Dr. Waigel, der mehr als einmal Augenmaß und gesunden Pragmatismus bewiesen hat. Strauß selbst hat die unverblümte Kritik, die aus diesen Reihen an der ParteipoMtik, am Bayernkurier und an seiner Person laut wurde, geschickt dadurch aufgefangen, daß er sich frühzeitig in Bad Tölz einer langen, offenen Diskussion stellte und daraus die Konsequenz zog, das vor noch nicht allzu langer Zeit verabschiedete neue Parteiprogramm von einer Grundsatzkommdssion revidieren zu lassen. Das unter dem Vorsitz von Waigel amtierende Gremium — Mitglieder sind außerdem die CSU-Politiker Streibl, Pirkl, Jaumann, Heubl, Kiesl, Schmid-huber, Becher, Wacher und Frau

Weicher — soll insbesondere die Bedeutung des „C“ dm Parteinamen in Zusammenhang mit den geistigen Grundlagen der CSU überprüfen, die Begriffe Staat, Volk, Nation und Vaterland neu klären sowie präzise Vorstellungen zur Bodenreform, zum Paragraphen 218 und zu den Mitbe-stimmunigsrechten ausarbeiten.

Schon die Parteitagsdiskussion zeigte, daß zu manchen Punkten bereits wesentliche Vorarbeiten vorliegen. Eine erste, definitive Fassung soll spätestens im Frühling den Par-teigremien zu weiterer Debatte zugeleitet werden.

Eine nicht zu unterschätzende Einflußgröße bei der Jungen Union bildet der RCDS, der seit der sozialliberalen Koalition an den Hochschulen deutlich an Statur gewonnen hat und in Hochschulfragen schon des öfteren gegen die offizielle CSU-Regierunigspolitik aneckte.

Auch an den Gymnasien und Oberrealschulen, wo sich in letzter Zeit die politische Agitation besonders bemerkbar machte, soll das Feld nicht ausschließlich den Linken überlassen werden: Wie in der übrigen Bundesrepublik, so hat sich auch “in Bayern die „Schüler^Önlbn“ — eine der Jungen Union angegliederte Arbeitsgruppe der Vierzehn- bis Neunzehnjährigen, die außerhalb des eigentlichen Schulraumes tätig werden will. — relativ stark entwickelt. Ihre Gruppen, deren Sprecher alle Mitglieder der • Jungen Union sein müssen, sind bereits an rund 200 Schulen anzutreffen, wo sie sich vorrangig vor ideologisch-politischer Auseinandersetzung für die Interessenvertretung und Lebenshilfe der Schüler einsetzen wollen.

Daß aus diesem Engagement der Jugend auch viele Ideen in die Partei einfließen, die manchen zu umstürzlerisch und radikal erscheinen, zeigt sich am Beispiel des Münchner Vorsitzenden der Jungen Union, Kremzow. Schon im Frühling hatte sich Widerspruch geregt, als er auf einem Parteitag nach dem Motto „Die SPD überall dort überholen, wo es um den Menschen geht“ das Verbot der Füeßbandarbeit, die Einführung der 32-Stunden-Woche, einen gesetzlich verankerten Bildungsurlaub und verstärkte Vermögensbildung gefordert hatte. In der Folge verwehrten ihm die zuständigen Parteigremien eine Kandidatur für den Landtag. Er entschloß sich daraufhin zum Rücktritt von seinem Parteiamt, das er dann Anfang Oktober bei Neuwahlen unter ziemlich entwürdigenden Umständen abgeben mußte. Seine Gegner bekrittelten hauptsächlich, er sei dem Wortschatz der Neomarxisten erlegen.

Parallel zur Jungen Union hat sich auch in einer anderen Unterorganisation der Partei ein gewisser Wandel vollzogen. Die Christlich-Soziale-Arbeitnehmerschaft (CSA), bayrische Schwester der CDU-Sozialausschüsse, war lange Zeit mehr durch ihre Existenz als durch ihre Tätigkeit aufgefallen. Und ihr Vorsitzender, Arbeitsminister Pirkl, war

bekannter durch seinen Einsatz für gesamtdeutsche Belange als durch kämpferische Vertretung von Arbeitnehmerinteressen. Auf der letzten Landesversammlung in Nürnberg kam es jedoch durch Druck von unten zu einem bemerkenswerten Umbruch der bisherigen Haltung.

Die CSA forderte hier erstmals die Einführung der paritätischen Mitbestimmung auf dem Boden der geltenden Unternehmensverfassung und gestand auch Betriebsfremden

— also Gewerkschaftsfunktionären

— einen Platz im Aufsichtsrat zu. Zusammen mit der Jungen Union will sie sich auch verstärkt um den Aufbau von Betriebsgruppen kümmern.

Ihrer Struktur einer stark auf die Führerpersönlichkeit ausgerichteten Volks- und Traditionspartei entsprechend, haben sich diese Wandlungen innerhalb der CSU am stärksten in den wechselseitigen Beziehunigen zu Franz Josef Strauß ausgewirkt. Die Umstände brachten es mit sich, daß sich dabei vorerst Aktiva und Passiva die Waage halten. Für den Parteivorsitzenden waren es im wesentlichen zwei Punkte, bei denen er seit den Bundestagswahlen persönliche Rückschläge zu verzeichnen hatte: in der Frage einer bundesweiten CSU und in seiner Anwartschaft auf das Amt des bayrischen Ministerpräsidenten. Im ersteren Falle, wo er vor allem gewisse wahltaktische Ziele im Auge hatte, stieß er auf den teilweise vehementen Widerstand der großstädtischen Parteiorganisationen, der fränkischen Parteiverbände, der Jungen Union und einer Reihe von prominenten CSU-Politikern.

Strauß fügte sich und bemüht sich seither, die psychologisch bundesweite Ausstrahlung der CSU herauszukehren. „Ich weiß“ — so behauptete er zuversichtlich Ende Juni vor den Delegierten der baden-württembergischen CDU in Reutlingen — „daß es in denjenigen Bundesländern ohne die CSU viele Wähler gibt, die nur deshalb die CDU dort gewählt haben, weil es die CSU in Bayern gibt. Diese Leute sehen in der CSU den glaubwürdigsten Vertreter der deutschen Interessen.“

Der zweite Rückschlag — die eindeutige Absage der relevanten Gremien, ihn bei der Kandidatur für das Amt des bayrischen Ministerpräsidenten zu berücksichtigen, selbst wenn Goppel, wie allgemein erwartet, nicht mehr kandidieren sollte — traf ihn vermutlich etwas persönlicher. Nicht daß er ernstlich ein solches Amt (mit Würden aber ohne größere Macht) angestrebt hätte. Aber es gewährt eben Befriedigung, bei jedem höheren Amt als potentieller Bewerber mit im Spiele zu sein.

Beim heißen Eisen der Rundfunkpolitik bewies Strauß dagegen seine Fähigkeit, sich plötzlich um 180 Grad zu drehen, wenn es im Interesse der Partei erforderlich ist. Er rettete die für die bayrische Innenpolitik gefährliche Lage der CSU dadurch, daß er plötzlich einen Kompromiß vorschlug, der auch von den anderen Parteien akzeptiert werden konnte. Noch eindeutiger zu seinen Gunsten zeigte sich in ihren Folgen die von ihm gegen manchen inneren Widerstand betriebene Klage Bayerns in Karlsruhe wegen des Grundvertrags. Und auch in

seiner Ablehnung des Atomsperrvertrages hat ihm kürzlich der Parteitag einhellig seine Zustimmung erteilt.

Strauß ist ferner dabei, die neuen Anstöße nach mehr Mitbestimmung, sozialem Engagement und vielgestaltigem Fortschritt in sein Bild von der CSU zu integrieren. Schon vor Jahren hatte er seine Partei als „auch konservativ“ charakterisiert. Gleichrangig sei sie jedoch sozial und liberal. Wie 1954 Hanns Seidel, so ist heute Strauß bemüht, die „llberalitas bavarioa“ in den Vordergrund zu rücken. Wie nie zuvor hat die CSU offizielle und offiziöse Kontakte zu Intellektuellen, Künstlern, Sportlern, Gewerkschaften und Jugendorganisationen angeknüpft. Auf internationaler Ebene betreibt Strauß die Einigung der konservativen Parteien. Und auch an die FDP hat der CSU-Vorsitzende eine bundesweit motivierte Koalitionsbereitschaft zum Ausdruck gebracht. Die CSU sei bereit — so erklärte Strauß im August im Münchner Presseklub — auch bei erneutem Gewinn der absoluten Mehrheit in Bayern, bei den nächsten Landtagswahlen die FDP an der Regierung zu beteiligen: „Ein faires Angebot im Interesse des Zusammenrückens der demokratischen Kräfte.“ In ihren kürzlich erlassenen Leitlinien hat sich die bayrische FDP allerdings eindeutig auf ein Bündnis mit der SPD festgelegt. Die CSU-Landesleitung wies dann darauf hin, daß dieser Beschluß gegen den Willen des Landesvorsitzeniden Ertl gefaßt worden sei. Die FDP habe damit dem Druok der eigenen Linken und des Bonner Koalitionspartners nachgegeben und auf die Freiheit der politischen Partnerwahl verzichtet.

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