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CDU: Fünf Minuten vor zwölf?

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Vom Zufall der Autorität, die die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland bedroht, war im letzten Aufsatz die Rede. Heute wenden wir uns der Innenpolitik zu. Wir werden hier demselben Phänomen begegnen.

Da ist einmal die Politik des Wohnungsbauministers Lücke. Seit mehr als einem Jahr vertritt er ein höchst kompliziertes System der stufenweisen Freigabe des bis dahin gelenkten Wohnungsmarktes. Obwohl seine Politik nachweislich auf unrichtigen statistischen Angaben beruhte und in verschiedenen Kreisen auch zu unerträglichen Zuständen geführt hat, blieb der Minister hart. In den letzten Wochen schei

nen sich jedoch die Wahlstrategen der CDU über den Zündstoff klargeworden zu sein, der im Wahljahr in dieser Politik liegt. So wurden auf einmal alle Grundsätze über Bord geworfen und das Gesetz auf zwei Jahre, also über den Wahltermin, ausgesetzt. Ähnliches zeichnet sich in der Agrar- und Energiepolitik ab, wo das bisherige Treibenlassen die Bundesregierung vor Entscheidungen gebracht hat, die im Wahljahr besonders schwierig, weil unpopulär sind. In diese Reihe gehört auch der Sturz des Wehrbeauftragten des Bundestages, Admiral Heye. Seit Monaten wurde von der CSU, besonders von dem Vizepräsidenten des Bundestags und

Vorsitzenden des Wehrausschusses, Jäger, gegen diesen Mann Sturm gelaufen. Unlägst kam, dank der Ungeschicklichkeit des Admirals, diese Privatpolitik des rechten Flügels der CDU CSU, die gegen die Linie der Bundesregierung geht, zum Erfolg.

Der Fall Jagusch

Fast am schlimmsten aber ist der Fall des Präsidenten des 4. Senats des Bundesgerichts, Dr. Heinrich Jagusch. Die bekannte „Spiegel“- Affäre ist inzwischen verhandlungsreif geworden. Es ist verständlich, daß die CDU ČSU der Verhandlung im Wahljahr mit gemischten Gefühlen entgegensieht, in der das Vorgehen der Regierung Adenauer im Herbst 1962 höchstwahrscheinlich in einem Zwielicht erscheinen wird und bei der zumindest der damalige Bundesverteidigungsminister Strauß nicht im besten Licht erscheinen wird. Der ehemalige Bundesanwalt und jetzige CDU-Bundestagsabgeordnete Güde hat daher eine Vertagung um zwei Jahre vorgeschlagen, obwohl er bisher auf eine rasche Erledigung der Affäre drängte. Kaum war diese Empfehlung ausgesprochen, als im beklagten Magazin „Der Spiegel“ zwei Artikel erschienen: „Droht ein neuer Ossietzky-Fall?“ und „Handel mit Verrätern“. Ossietzky war ein bekannter Publizist in der Weimarer Republik, der wegen Geheimnisverrat in einem höchst umstrittenen Prozeß zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war.

Die außerordentlich gut informierten Artikel des „Spiegel“ warnten vor einer Verhandlung, da die

Behandlung und Anwendung des Landesverratsparagraphen auf Geheimnisverrat in der „Spiegel“- Sache nur in einem Justizdebakel enden könnte. Verständlich, daß sich das Interesse auf den Artikelverfasser konzentrierte, der sich hinter dem Pseudonym Judex versteckte. Als erste brachte die „Süddeutsche Zeitung“ die Vermutung, der Verfasser sei der Präsident des 4. Senats des Bundesgerichts, Jagusch. Dieser leugnete, ließ die Pressestelle des Bundesgerichts ein Dementi verbreiten, gab aber schließlich unter dem Druck der Ereignisse doch seine Autorschaft zu. Die Sensation war um so größer, da Jagusch als einer der schärfsten Bundesrichter bekannt war und in einigen Fällen bei Landesverrat, wie im Fall des SPD-Abgeordneten Frenzei, besonders harte Urteile gefällt hatte. Jagusch zog die Konsequenz und trat zurück.

Erhards Wankelmut

Es ist möglich, daß die Affären Jagusch und Heye in dem allgemeinen Wirbel um die Außenpolitik untergegangen sind. Es ist jedoch mehr als wahrscheinlich, daß sie eines Tages bei dem allgemeinen Autoritätsfall, der seit 1960 mit wenigen Unterbrechungen in Westdeutschland anhält, wieder eine Rolle spielen werden. Dies wird um so mehr der Fall sein, je mehr Erhard von seinem Ansehen einbüßt, das in diesen Wochen schweren Schaden genommen hat. Er kann durch Wankelmütigkeit, wie sie in der Telephonfrage und dem Lücke- Plan zum Vorschein kam, mehr verlieren, als die Wahltaktiker durch die Zurücknahme unpopulärer Maßnahmen zu gewinnen glauben.

Jnruhe an der Ruhr

Ein weiteres Beispiel ist das Ver- lalten der Bundesregierung in der Energiepolitik. Das weitere Vor- Iringen des Heizöls ist an der Ruhr aicht ohne Folgen geblieben. Wei- ;ere Absatzschwierigkeiten führten ,u Stillegungsankündigungen un- entabel gewordener Zechen. Die beunruhigte Steinkohlenindustrie setzte Bonn unter zunehmenden Druck. Am vergangenen Mittwoch 'ab Bundeskanzler Erhard diesen Druck an, . die Ölindustrie, weiter,' lie sich schließlich berei^epclärIfi, in einem Zwangskartell die künftige Zuteilung von Heizöl zu regeln. Unter den verschiedenen Möglichkeiten einer Regelung ist diese sicher die der von Erhard propagierten freien Marktwirtschaft am venigsten gemäße. Höheren Preisen, äinem umstrittenen Zuteilungssystem ind der Preisgabe bisher vertretener Prinzipien stehe eine nur vorübergehende Beruhigung der Ruhrindustrie gegenüber. Im übrigen scheint auch die Bundesregierung an ihren eigenen Maßnahmen irre geworden zu sein. Am Freitag versuchte Bundesarbeitsminister Blank die neuen Maßnahmen vor dem Landesparteitag der CDU in Dortmund zu rechtfertigen. Es gelang ihm aber nicht, die Diskrepanz zwischen dem Willen nach freiem Wettbewerb und seiner Beschränkung und das Versprechen, die freie Marktwirtschaft zu fördern, mit der Ankündigung ihrer Aufhebung in der Energiewirtschaft in Einklang zu bringen.

Hingegen dürfte Rainer Barzel mit seiner Warnung mehr auf dem Boden der Tatsachen stehen: „Für die CDU ist es fünf Minuten vor zwölf.“ Er hat auch sicher recht mit seiner Feststellung, für die CDU sei die Bundestagswahl von 1965 noch keineswegs verloren. Dazu ist die Politik der SPD zu ungeschickt, zu wenig auf neue Alternativen bedacht. Nur müßte sich die Bundesregierung darüber klar sein, daß es ein grundsätzliches Mißverständnis vom Wesen der Demokratie ist, wenn man glaubt, mangelnde Leistungen durch Wahlgeschenke aller Art ersetzen zu können. Wenn das deutsche Volk so weit wäre, daß es nur die Partei wählt, die ihr am meisten an wirtschaftlichen Vorteilen bietet, dann müßte auch der zweite Versuch notwendig scheitern, in Deutschland eine Demokratie zu errichten.

Die große Angst heißt 1965

Was sich hier abspielt ist in Wirklichkeit eine tiefgreifende Krise der CDU. In sich zerstritten, kaum fähig, die außen- und innenpolitischen Probleme zu meistern, ist sie offenbar von panischer Angst be-

fallen, die Bundestagswahlen 1965 zu verlieren. Was aber erwartet den deutschen Wähler nach der Wahl, wenn man zu offensichtlich den internen Streit nur darum vertuschen will, weil der Streit negative Auswirkungen bei den Wahlen haben könnte, wenn man die Gebührenerhöhung bei der Post nur aus demselben Grund zurücknimmt

und alle Prinzipien bei der Energie- und Währungspolitik fahren läßt? Muß sich da nicht die Überzeugung eines großangelegten Täuschungsmanövers bei den Wählern geradezu zwangsweise einstellen, zumal sich jeder ausrechnen kann, daß eine solche Politik nicht über den Wahltermin hinaus eingehalten werden kann? Was aber geschieht mit einer

Partei, die über ihre Niederlage bei den Kommunalwahlen bereits derart ins Wanken gerät?

Es war Rainer Barzel, der nach den Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saargebiet meinte, das Ergebnis habe gezeigt, daß die Partei wieder Tritt gefaßt habe. Tritt wohin? In die größte Niederlage ihrer Geschichte?

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