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Erhard im Kampf mit sich selbst

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Als sich nach dem 19. September die Öffentlichkeit über das allen Wahlprognosen widersprechende Ergebnis der deutschen Bundestagswahlen beruhigt hatte, schien eine Tatsache festzustehen: Der Wahlsieger hieß Ludwig Erhard. Die absolute Mehrheit der CDU/CSU war ihm, wie der „Rheinische Merkur“ schrieb, erspart geblieben; sein stärkster Rückhalt, die FDP, hatte sich besser gehalten, und sein Hauptwidersacher, Franz-Josef Strauß, schlechter abgeschnitten, als allgemein erwartet worden war. Die SPD iedoch war so weit hinter den hochgespielten Erwartungen zurückgeblieben, daß ihr Zuwachs zur Niederlage wurde. Das schien alles ziemlich eindeutig. Ein Monat hat aber genügt, um zu zeigen, daß die Dinge so einfach gar nicht waren.

Kaum war die Wahl gewonnen, als die CDU/CSU wieder in jene drei bis vier Gruppen zerfiel, in die sie sich in den letzten Jahren auseinandergerauft hat. Jetzt, im Nahkampf aller gegen alle, mußte Erhard plötzlich seine Politik gegen die Angriffe aus den eigenen Reihen verteidigen. Dabei zeigte sich, daß die überraschende Stärke seiner Partei seine persönliche Position nicht verbesserte.

Was will Erhard wirklich?

Ludwig Erhard hat in den vergangenen zwei Jahren versucht, eine Politik der mittleren Linie und der Vernunft einzuhalten. Bei diesem Unterfangen hat er nur einen Teil seiner eigenen Partei, die FDP und TeUe der SPD hinter sich gehabt, die ihrerseits annahm, daß ihr die Unterstützung Erhards eines Tages honoriert würde. Das Ergebnis des 19. September schien diese Linie zu bestätigen. Es ist aber nach dem Ringen um die Regierungsbildung zweifelhaft geworden, wieweit sich Erhard eine genügend breite Basis für seine Politik bewahren konnte. Die Frage stellen heißt zugleich, die eigentliche Quintessenz aus den Vorgängen um die Regierungsbildung ziehen, die zu unerfreulich waren, als daß sie im einzelnen aufzuzählen Interesse beanspruchen könnte. Zunächst, was war eigentlich Erhards Politik: Nach außen eine Fortsetzung der engeren Zusammenarbeit mit den angelsächsischen Mächten, die Erhard an sich lag, ihn aber auch unabhängiger von der Prestigepolitik Frankreichs machen sollte. Damit verbunden war eir langsamer Abbau der illusionärer Hallstein-Doktrin, was wiederum di« Voraussetzung für die erstrebte Aktivierung der Ostpolitik war. Wieweit hier die Absichten gingen, isl schwer präzise anzugeben, doch sine zumindest zwei Länder des Ostblocks, Rumänien und die Tschechoslowakei, zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen ohne irgendwelche Bedingungen bereit. In der Innenpolitik erstrebte Erhard besonders den Abbau des Subventionswesens. Wieweit die im Wahlkampi herausgestellte „Formierte Gesellschaff' ein konkretes Ziel ist, muß sich erst erweisen.

Im Kreuzfeuer der Kritik

In den Verhandlungen um die Regierungsbildung sind zwei Kernprobleme der Erhardschen Außenpolitik, die etwas zurückhaltender gewordenen Beziehungen zu Frankreich und die vorsichtigen Ostkontakte in das Kreuzfeuer schärfster Kritik geraten. Hierbei war er wieder Angriffen aus den eigenen Reihen, die offensichtlich eine andere Politik wollten, ausgesetzt. Noch ehe Erhard zu regieren begonnen hatte, war klar, daß seine Politik nur von einem Teil der CDU/CSU unbeschadet der Tatsache gebilligt wird, daß Erhard dieser Politik seinen Wahlsieg verdankt. Auch wurde klar, daß diese Politik in der FDP und auch in der SPD große Sympathien besitzt. Unter diesen Umständen wäre eine große Koalition die logische Konsequenz gewesen, weil sie allein imstande war, Erhard eine krisenfeste Basis zu geben. Da sich Erhard jedoch im Wahlkampf schärfstens gegen sie ausgesprochen hatte, war dieser Weg verbaut. Erhard hielt an der Koalition fest und geriet alsbald in den Strudel der Gegensätze innerhalb der CDU/CSU, die, wenn nicht alles trügt, auch die kommenden vier Jahre seine Politik bestimmen werden. Dabei wurde er rücksichtslos von seinen Partnern erpreßt und mußte Stück um Stück Teile seiner Konzeption preisgeben. Sie konnten das, weil innerhalb dieser Koalition Erhard zwar die Mehrheit besitzt, die Minderheit aber stark genug ist, ihm parlamentarische Niederlagen beizubringen. Erhard ist von einer Gruppe von 60 bis 70 CDU/CSU-Abgeordneten abhängig, die seiner Politik aus den verschiedensten Gründen mißtrauen.

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