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Doch ein Modell für Bonn?

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In Düsseldorf, der Hauptstadt Nordrhein-Westfalens, hat sich, mit der knappsten aller denkbaren Mehrheiten, die alte Koalition CDU-FDP als neue Regierung etabliert. Das Echo auf diese Mehrheitsbildung war in der deutschen Presse fast einhellig negativ. Sogar CDU nahe Blätter, wie der „Rheinische Merkur“ und „Christ und Welt“, nahmen gegen diesen Versuch eines Regierens gegen den Wahlsieger, die SPD, in teilweise scharf formulierten Kommentaren Stellung. Die Meinung herrscht vor, man hätte eine notwendige Therapie gescheut, nämlich eine Koalition zwischen SPD und CDU. Was bleibt, ist eine latente Krise; daß diese Krise mehr eine von Bonn als eine von Düsseldorf ist, darin sind sich alle Beobachter einig.

Diese Krise ist jedoch nicht nur durch ein Schwinden des Vertrauens in die politischen Fähigkeiten Bundeskanzler Erhards verursacht, sondern auch und vor allem durch eine allgemein vorhandene Rat- und Konzeptlosigkeit. Es ist das Dilemma der Bonner Parteien, daß sie oft eher darüber klare Vorstellungen zu haben scheinen, was zu tun ist, als über die Form, in der die als dringlich erkannten, wenn auch nicht immer eingestandenen innen- und außenpolitischen Maßnahmen durchzusetzen wären. Einem Teil der

Bonner Politiker schwebt eine Koalition der beiden Großparteien als die in der gegenwärtigen Situation geeignetste Form des Regierens vor. Die Argumente, die einer solchen Modellvorstellung entgegengehalten werden, sind bekannt: Eine

Koalition der Großparteien würde die politische Verantwortlichkeit verwischen, das Fehlen einer starken Opposition beinhalte die Gefahr einer de facto unkontrollierten Oligarchie einer kleinen Gruppe von Parteifunktionären. Aber wie anders könnte die Lösung der Probleme erfolgen, über deren Dringlichkeit sich niemand auf deutscher Seite Illusionen machen dürfte, als eben in der Form der großen Koalition? Es kann nicht mehr übersehen werden, daß die Regierung Erhard gerade die Schwächen aufweist, die man sonst eher als die Folgen einer großen Koalition erwartet: mangelnde

Mobilität, geringe Entschlußkraft, völliges Fehlen jenes Ausmaßes an politischer Führung, das auch in der Demokratie vorhanden sein muß.

In Österreich ist es vielfach Mode geworden, die mehr als zwei Jahrzehnte an der Regierung gewesene Koalition prinzipiell als eine Fehlentwicklung der Demokratie abzustempeln. Das erscheint uns ebenso falsch zu sein wie eine unkritische Glorifizierung. Die Koalition hat entscheidend zur Stabilisierung der österreichischen Demokratie und zur Erringung unserer Souveränität beigetragen. Daß der Koalition schließlich immer mehr strukturelle Mängel anhafteten, daß dann der Übergang zur Einparteienregierung ohne Erschütterung möglich war, darin spiegelt sich doch gerade der Erfolg der Koalition: Durch die Zementierung unserer Demokratie hatte sie sich selbst ihren essentiellen Charakter genommen und den Übergang zum demokratischen „Normalmor dell“, zum Modell Regierung-Opposition, ermöglicht.

Eine Koalition der Großparteien ist eine bewußte Beschränkung der demokratischen Konkurrenz um eines höher eingestuften Zieles willen. In Österreich war dieses höhere Ziel die Überwindung der fundamentalen Gegensätze, die sich aus der Ersten Republik und dem Bruderkampf von 1934 herleiteten, oder besser die Einbettung dieser Gegensätze in einen demokratischen, allgemein anerkannten Rahmen. Ein zweites Ziel hieß Staatsvertrag. Wir glauben, neben dem zweiten Ziel im wesentlichen auch das erste erreicht zu haben. Österreichs Demokratie scheint zu einer Normaldemokratie geworden zu sein; nicht ohne große Probleme, nicht ohne große Fehler, auch nie völlig ungefährdet. Aber die wichtigsten nationalen Aufgaben — soweit sie sich nicht einer direkten politischen Einflußnahme entziehen — sind gelöst. Und die deutsche Demokratie?

Der westdeutschen Politik stehen wichtige Schritte bevor. In der Innenpolitik warten manche Projekte der Regierung auf eine Erledigung, die auch den berechtigten Einwänden der Opposition Rechnung trägt. In der Außenpolitik wird eine westdeutsche Regierung, die die Zeichen der Zeit zu deuten versteht, um eine wirkliche Konfrontation mit den Realitäten nicht herumkommen und auch die Ehrlichkeit aufbringen müssen, die Bevölkerung von einigen noch immer gepflegten Traumvorstellungen zu befreien; nur so wird man der Lösung des Deutschlandproblems, falls man überhaupt eine Lösung will, einen Schritt näher kommen können. Das alles scheinen die führenden Politiker Bonns durchaus zu wissen. Aber der Schritt vom bloßen Einsehen zum politischen, in der deutschen Öffentlichkeit auch zu vertretenden Handeln wäre nun doch einmal erforderlich.

„Die österreichische Koalition — Modell für Bonn?“ fragte nunmehr fast vor Jahresfrist der „Spiegel“ und verneinte diese Frage nach einer gruseligen Fahrt durch die Geisterbahn gar schauriger Austriaca. Nun, es scheint, als gebe es für Bonn tatsächlich kein besseres Modell als die große Koalition. Nicht als Patentlösung für ewige Zeiten, sondern als die realistischeste aller Möglichkeiten, die dringendsten Probleme zu meistern und den Übergang zu einem funktionsfähigen Zweiparteiensystem zu vollziehen. 1962 hatte das schon Adenauer vorgeschlagen: Koalition mit der SPD zur gemeinsamen Überwindung von Hindernissen, die im Alleingang ebenso unübersteigbar erschienen wie mit dem Anhängsel FDP, und dann Übergang zum Zweiparteiensystem durch Einführung des Mehrheitswahlrechtes. Doch damals war die SPD vor ihrem eigenen Mut zurückgeschreckt. Vielleicht ist heute das Selbstvertrauen der SPD schon größer, und dem sozialdemokratischen Ja zur großen Koalition könnte ein Ja zur Wahlrechtsreform und zum Zweiparteiensystem folgen. Für den ersten Schritt wäre die österreichische Koalition Modell, der zweite Schritt könnte jedoch Muster für Österreich sein, wo man es versäumt hat, den Übergang zum Zweiparteiensystem nach britischem Vorbild durch eine Wahlrechtsreform zu vollziehen. Jedenfalls steht der Bundesrepublik noch einiges bevor, was Österreich bereits zum Teil hinter sich gebracht hat.

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