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Konfrontation statt Koalition

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Eine Tücke des Geschicks ist es für einen Journalisten, wenn er, während in seinem Land die politische Szene umgebaut wird, weit weg vom Schuß sich befindet. Dies hat in der vergangenen Woche der Chefredakteur dieses Blattes am eigenen Leib erfahren. Während er in den Städten und Dörfern des fernen Siebenbürgen den Spuren der alten großösterreichischen Völkerfamilie begegnete, sprach in der Heimat der außerordentliche Parteitag der SPÖ sein halbes Ja und halbes Nein zu den Vorschlägen der Volks- nartei für eine weitere Regierungsbeteiligung. Und während er über den Karpatenbogen hinweg in die Waldtäler der einstigen Bukowina zu ihren von der Vergänglichkeit unberührten orthodoxen Klöstern vordrang, wurden zu Hause die Kulissen für einen neuen Akt der österreichischen Innenpolitik aufgestellt.

Das Spiel heißt nun nicht mehr wie in den vergangenen 21 Jahren Koalition. Konfrontation steht mit großen Buchstaben auf dem Theaterzettel des Hauses Österreich. Heute, morgen, bis auf weiteres…

Davon erfuhr der Schreiber dieser Zeilen allerdings erst, als er den rot-weiß-roten Grenzpfahl bei Berg hinter sich gelassen hatte. Er merkte rasch, daß sich alle Akteure der österreichischen Politik äußerst behutsam und, beinahe wäre man versucht zu sagen, in dicken Filzschuhen über die Szene bewegen. Die neuen Männer genau so wie die Abgetretenen, die „Alleinherrscher“ in gleicher Weise wie jene, die ihre Hoffnung auf den „Jungbrunnen“ Opposition gesetzt haben.

Und das ist auch gut so. Wenn siamesische Zwillinge durch eine Operation getrennt werden, geht es auf Leben und Tod. Für beide. Und wer wollte leugnen, daß durch mehr als zwei Jahrzehnte gemeinsamer Machtausübung von Schwarz und Rot die beiden großen Parteien sich in zunächst von aller Welt bewunderte, dann bestaunte, zuletzt aber, leider durch ihre Mitschuld, oft nur belächelte und verspottete siamesische Zwillinge der Politik verwandelt hatten. Und dennoch können und wollen wir nicht mit einem Scherzwort auf den Lippen von der großen Koalition Abschied nehmen. Zu groß sind nämlich, wenn wir von den letzten Jahren ihrer Degeneration absehen, ihre auf der Habenseite zu Buch stehenden Leistungen. Wir denken dabei nicht einmal so sehr an das heute gerne als „selbstverständlich“ hingenommene Werk des wirtschaftlichen Aufbaues aus Ruinen in einem damaligen Wetterwinkel der Weltpolitik. Über allem steht, daß in diesen zwei Jahrzehnten ein alle Klassen, Stände und Parteien umfassendes Nationalbewußtsein gewachsen ist und Wurzeln in den Herzen gefaßt hat, daß ein österreichischer Consensus entstanden ist, der allein den vollzogenen Übergang von der Koalition zur Konfrontation möglich macht, ohne für die Zukunft schwarz sehen zu müssen.

Aber haben wir überhaupt die Alleinregierung einer Partei? Gewiß. Aber genau so gewiß ist, daß künftig an die Stelle der politischen Achse Kärntnerstraße-Löwelstraße jene getreten ist, die sich zwischen Kärntnerstraße und Laudongasse spannt. Mit anderen Worten: Der Schlüssel zur Zukunft Österreichs liegt beim Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbund. Seine Vertreter haben mit einer Ausnahme alle bisher von Sozialisten verwalteten Ressorts übernommen. In den kommenden Monaten und Jahren werden sie nicht nur alte christlichsoziale Positionen mit neuem Leben zu erfüllen haben. Sie werden diese auch politischen Gegnern und Parteifreunden gegenüber mit demselben Emst und Nachdruck zu vertreten haben. Geht es doch um nicht mehr und nicht weniger, als den breiten Massen der Arbeitnehmer gegenüber die Probe aufs Exempel zu bestehen, daß die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen nicht ein sozialistisches Monopol ist. Die über „das Soziale“ hinausgehende vermehrte Verantwortung für einen geradlinigen Kurs der österreichischen Politik vor aller Welt kommt hinzu.

Ein Letztes für heute: Zu den Aufgaben, die dieses Blatt seit seiner Gründung sich gestellt hat und denen es seither auch diente, gehörte die Heilung der in der Vergangenheit geschlagenen Wunden, die Überwindung der tiefen Kluft, die das „linke“ von dem „rechten“ Österreich trennte. Ist diese Aufgabe mit dem Übergang von der Koalition in der Regierung zur Konfrontation im Parlament nun erledigt, unaktuell, nicht mehr zeitgemäß? Ganz im Gegenteil.

„Wir sind also weit davon entfernt, uns Illusionen zu machen, aber wir glauben, daß trotz des erwarteten harten Ringens um politische und wirtschaftliche Macht, ja auch trotz der möglichen Frontstellung Regierung—Opposition in den zwanzig Jahren der Zweiten Republik aus gemeinsamem Leid und gemeinsamer Arbeit genügend Boden gewonnen wurde, auf dem die große Koalition weiter bestehen kann, von der in dieser Zeitung schon öfters die Rede war: Die Koalition der überzeugten Demokraten und ehrlichen Österreicher, die, bei allem, was sie sonst trennt, in Lebensfragen der Republik doch den rettenden Ausgleich suchen und finden.“

Diese Zeilen wurden nicht von uns geschrieben, sie sind der mehrheitlich von sozialistischen Gewerkschaftern redigierten Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ entnommen. Aber: Sie könnten genauso in der „Furche“ stehen. Und damit sind die Sicherheitsketten auch erkennbar, die den von vielen Fragezeichen begleiteten Weg in die Zukunft säumen. Die schwarz-rote Koalition mag der Geschichte angehören. Jene „andere Koalition“, von der oben die Rede ist — wir nannten sie einmal die- rot-weiß-rote Koalition — aber ist nach wie vor eine Realität. Man wird sie in Zukunft noch bitter nötig haben.

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