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Jusos auf Sparflamme

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Auf dem Höhepunkt ihrer Macht nach Kriegsende angelangt, befindet sich die deutsche Sozialdemokratie zugleich in einer ihrer ernstesten Krisen. Es ist eine Krise, die durch das Erreichen des nach 1945 gesteckten Ziels — Bundeskanzler und solide Mehrheit im Bundestag — mit ausgelöst wurde, und deren offenes Austragen, wie es vor dem Bundesparteitag der SPD in Hannover und auf dem Parteitag selbst zu beobachten war und ist, durch diese gesicherte Position ermöglicht und erleichtert wird.

Der Besitz der Regierungsmacht, ein mehrjähriges, durch die FDP allerdings etwas gebremstes sozialdemokratisches Regieren, haben in der Partei vielfach Unmut über das Auseinanderklaffen von realer' Politik und theoretischem Programm hochkommen lassen. Die gesicherte Macht jedoch erlaubt es auch, den darüber aufgetretenen Konflikt offen auszutragen.

Diese Möglichkeit, sich auf den internen Konflikt zu konzentrieren hat denn, auch in den letzten Bundestagsdebatten vor dem Parteitag dazu geführt, daß die SPD reichlich lässig ihrer Debattenpflicht nachkam, Brandt sich unkonzentriert geben konnte und mit seinen Gedanken bereits auf dem Parteitag verweilen durfte, ohne dadurch politischen Schaden zu Pehmen.

Brandts im Bundestag geäußerte Mahnung an die Opposition, sich von dem Parteitag nicht zuviel zu erwarten, da er für sie eher enttäuschend ausfallen wird, war nicht nur Zweckoptimismus. Denn trotz eines in bisher nicht gekannter Stärke auf dem Parteitag aufmarschierenden linken Flügels in der Partei, weiß man rechts wie links in der SPD, daß die Krise zwar vorhanden ist, aber weder die Gefahr einer Spaltung besteht, noch einer zu schnellen Machtergreifung durch die Jusos und ihre Sympathianten. Wie sich allerdings der momentane parteiinterne Konflikt und die Richtungskämpfe auf längere Sicht auswirken werden, vermag heute noch niemand bestimmt zu sagen.

Feststeht, daß eine ständig zunehmende Zahl von SPD-Mitgliedern, vertreten vor allem durch die Jusos, einen Richtungswechsel in der Partei wünscht. Der Streit, ob es dabei um eine Erfüllung oder eine Veränderung des Godesberger Programms von 1959 geht, ist, zumindest was bestimmte politische Schritte, wie etwa die Sozialisierung der Grundstoffindustrie und der Banken betrifft, reichlich theoretisch. Denn zweifellos bietet auch das Godesberger Programm dafür die Möglichkeit.

Der Streit ist dort von ziemlicher Brisanz, wo von der weltanschaulichen Neutralität des Godesberger Programms abgewichen wird und eine rein marxistische Betrachtungsweise die Grundlage wird. Hier sträuben sich nicht nur die Väter des Godesberger Programms, für die eben der ausdrückliche Verzicht auf eine ausgesprochen marxistische Basis die große Errungenschaft war. Eine solche Wendung in der SPD mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen schreckt auch viele SPD-Wähler.

Die großen politischen Erfolge der letzten Zeit, erstritten auf der Basis des Godesberger Programms und der klaren Ausrichtung als Volkspartei, könnten schnell zunichte werden, wenn die SPD zur marxistischen Klassenkampfpartei würde. Bei den Jusos wird darauf verwiesen, daß 80 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung Arbeitnehmer seien. Alle Vertreter dieser „Klasse“ würden nach dieser Überlegung eine ausreichende Basis für eine Volkspartei bieten. Vorerst allerdings, und dies wird bei den Jusos, die einen bereits sprichwörtlich schwachen Kontakt zu den Arbeitern in den Betrieben haben, oft übersehen, sieht der größere Teil der Arbeitnehmer seine Interessen nicht bei den Partei-Linken gut aufgehoben und vertreten, sondern bei der „alten“ SPD oder sogar bei FDP und SPD.

Nicht ohne Unterstützung durch die Parteispitze wurde daher zur Blockierung des Vormarsches der Jusos eine Aktivierung des traditionellen Arbeitnehmerflügels unter den Parteimitgliedern betrieben. Eine „Arbeitsgemeinschaft der Arbeitnehmer“ wurde als Gegengewicht zur „Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten“ gegründet. Auch organisatorische, verfahrenstechnische Änderungen, wie das Verbot von „Mitternachtsabstimmungen“, bei denen nur noch die Jusos, die am nächsten Tag nicht zur Arbeit mußten, wählten, sollten dazu beitragen, daß die Ausgewogenheit der Kräfte in der SPD bewahrt bleibt.

Die Parteiführung weiß dabei, daß sie zahlenmäßig unter den Mitgliedern eine deutliche Mehrheit auf einer rechten oder mittleren Position hat. Die starke Repräsentation der( linKen Gruppe auf dem Parteitag' entspricht nicht den Mehrheitsverhältnissen in der Partei.

In den letzten Jahren sind immer mehr der neueintretenden Mitglieder im Juso-Alter. Im vergangenen Jahr waren es von 150.000 rund 100.000. Sie bringen viel Engagement in die Parteiarbeit und erobern dadurch schnell die Positionen. Die alten SPD-Funktionäre, oft genug einem durch Wahlerfolge und zunehmende Regierungsverantwortung gesteigerten Pragmatismus huldigend, kommen dabei schnell unter die Räder.

Noch ist es der SPD gelungen, den sich aus diesen Verhältnissen ergebenden Konflikt auf Sparflamme brennen zu lassen. Der Wahlkampf 1972 mag durch die dabei nötige Solidarität innerhalb der Partei dazu beigetragen haben,, einen offenen Ausbruch zu verhinden. Mit der Wahl des Juso-Vorsitzenden Wolfgang Roth in den SPD-Vorstand zeichnet sich außerdem die Möglichkeit ab, wie die Partei den Konflikt bewältigt.

Dieser Versuch der Integration der linken Kräfte mag gelingen. Er könnte dazu geeignet sein, ein Auseinanderbrechen zu verhindern. Er könnte aber, wenn sich die Kräfte der Mitte und des rechten Flügels als zu schwach erweisen, auch bedeuten, daß jenen Gruppen, die aus der SPD eine marxistische Partei machen wollen, rasch die Führung gewinnen und die Partei dann auf ihren extremen Kurs bringen. Sollte dies aber der Fall sein und würde all dies Programm werden, was etwa die Jusos wünschen, dann sähe sich die SPD wohl vor einen Konflikt gestellt, gegen den die jetzigen Auseinandersetzungen Präliminarien sind.

Dann müßte sie nämlich wahrscheinlich wieder von der Regierungsbank Abschied nehmen und auf die harten Plätze der Opposition zurückkehren. Noch scheint allerdings die Integrationskraft dieser sozialdemokratischen Partei, wie sie nach dem Krieg, vor allem in Godesberg, geformt Wurde, stark genug zu sein, um auch parteiintern jenen Kurs zu verfolgen, den sie in 1er Politik gegen die linken Anfeindungen durchzusetzen versucht.

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