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Die Zeichen stehen auf Sturm

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Walter Scheel, einer der Gründerväter des SPD/FDP-Bündnisses in Bonn, Bundespräsident a. D. und Ehrenvorsitzender seiner Freien Demokraten, streute Salz in die sozialliberalen Koalitionswunden. öffentlich dachte er darüber nach, ob das „historische Bündnis“ nicht am Ende sei. In wesentlichen Problemfragen, so sinnierte der Ehrenliberale, gebe es zwischen FDP und SPD tiefe Meinungsverschiedenheiten, während in den gleichen Dingen zwischen FDP und CDU nahezu Deckungsgleichheit bestünde. „Das schafft Verärgerung, Mißtrauen.“

Fast sieben Monate nach der Bundestagswahl, die der SPD/FDP-Koali- tion im Bundestag eine satte Mehrheit beschert hatte, kränkelt das Bündnis nach wir vor an seinen eigenen Unzulänglichkeiten. Den Krisenherd im eigenen Laden bildet die SPD. Selten war die politische Distanz zwischen einem sozialdemokratischen Kanzler und seiner Partei so groß wie derzeit zwischen Schmidt und der SPD-Basis.

FDP-Chef Genscher seinerseits, Außenminister und Vizekanzler, muß sich vom linken Flügel der Sozialdemokraten ständig „Säbelrasseln“ vorwerfen lassen, weil er nachdrücklich die N ATO- Bündnispolitik gegenüber der Sowjetunion verteidigt.

Zur Zeit ist die FDP-Zentrale in Bonn mehr damit beschäftigt, geharnischte Antworten auf angriffige SPD-Verlautbarungen zu formulieren, als sich mit dem politschen Gegner CDU zu beschäftigen. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht einer der Spitzen- Koalitionäre nach dem Zustand des sozialliberalen Bündnisses befragt würde.

Die innere Lage der Koalition ist trostlos - und trotzdem hält irgendein Kitt die auseinanderdriftenden Partner noch zusammen. Zweifellos liegt der Schlüssel für ein Fortbestehen oder Auseinanderbrechen beiden Freien Demokraten. Ohne sie kann die SPD nicht regieren, also hängt alles davon ab, wieviel die FDP an T oleranz gegenüber sozialdemokratischen Eskapaden aufzubringen bereit ist.

Das Maß dieser Toleranz indes bestimmt sich allein nach partei-opportunistischen Gesichtspunkten. Die FDP, die immer gewisse Schwierigkeiten hatte, sich zwischen den großen Parteien als eigenständige politische Kraft darzustellen, muß geradezu entzückt darüber sein, wenn sie angesichts heftiger interner Auseinandersetzungen in der SPD ständig Gelegenheit findet, sich zu profilieren.

Tatsächlich ist es ja nicht so, als wenn die Liberalen demütig den Kopf hinhalten würden, um sozialdemokratische Prügel einzustecken. Vielmehr muß die SPD immer wieder dicke Kröten freidemokratischer Machart schlucken.

Für Genscher und seine Mitstreiter stellt deshalb der Nachrüstungsbeschluß der NATO den Prüfstein für die Haltbarkeit der Koalition schlechthin dar. „Wenn die SPD insgesamt davon abrückt und damit den Kanzler in Zugzwang setzt, bedeutet das das Ende der Koalition“, erklärte Genscher noch vor kurzem.

Die Mehrheitsverhältnisse in der SPD, was die Nachrüstung anbetrifft, scheinen aber inzwischen ein Plus auf Seiten der Gegner der deutschen Bündnispolitik auszuweisen. Die Resolutionen von Parteigliederungen gegen den Nachrüstungsbeschluß und Für eine Annahme des von Moskau vorgeschlagenen Raketen-Moratoriums häufen sich.

In den nächsten Wochen werden sich mehrere Landesparteitage der SPD mit diesem brisanten Thema befassen. In Hamburg unterschrieben 23 SPD-Abgeordnete einen einseitigen Appell zur Abrüstung und gegen die NATO. Die Zeichen stehen auf Sturm.

Angesichts dieser Situation, in der das Koalitionsschiffhęftig ins Wanken geraten ist, gewinnt die Wahl in Berlin am 10. Mai bundespolitische Bedeutung. Dort war nach mehreren Skandalen der alte, von SPD und FDP gebildete Senat zurückgetreten.

Die SPD schickte ihren neuen Kronprinzen Jochen Vogel an die Spree, um eine marode Partei wieder auf Vorder mann zu bringen und Berlin als sozialdemokratische Bastion zu erhalten. Trotz dieser Rettungsaktion steht die CDU in Berlin mit ihrem Spitzenkandidaten Richard von Weizsäcker nach allen Meinungsumfragen vor der absoluten Mehrheit.

Die FDP hat sich auf ein Weiterführen der dortigen sozialliberalen Koalition festgelegt und angekündigt, sie würde lieber in die Opposition gehen als mit der CDU eine Regierung zu bilden. Nur, dafür muß sie zunächst einmal wieder ins Berliner Abgeordnetenhaus zurückkehren - und genau dort liegt das Problem.

Die Freien Demokraten bewegen sich nämlich nach den Meinungsumfragen knapp an der parlamentarischen Existenzgrenze von fünf Prozent. Scheitert sie bei der Wahl, bedeutet das für die Partei insgesamt einen heftigen Dämpfer.

Nicht zuletzt wegen solcher Aussichten verbreiten die Freien Demokraten von Scheel über Genscher bis zu Erti und Lambsdorff düstere Gedanken über den Zustand der Bonner Regierung. Sie sind viel zu sehr Taktiker, um nicht zu wissen, daß es für den Fall des Falles unbedingt nötig ist, beizeiten den Schuldigen zu markieren - nämlich die SPD.

Geht die sozialliberale Ehe in Brüche, wird für die Zerrüttung die SPD die Verantwortung angelastet bekommen. Und sie kann sich dagegen nicht wehren, weil der politische Streit über NATO, Nachrüstung, Atomenergie, Wohnungspolitik, Wirtschaftsflaute und Arbeitslose wenigerzwischen FDP und SPD, sondern viel stärker in der SPD selbst geführt wird.

Allerdings geht die FDP ebenfalls unruhigen Zeiten entgegen. Ein Durchfallen bei den Berliner Wahlen könnte alte Wunden zwischen linken und rechten Liberalen wieder aufreißen. Innerhalb der Partei formiert sich zudem auf dem linken Flügel Widerstand gegen Genschers Bündnispolitik. Die Nachrüstung wird neuerdings auch von dieser Seite unter Feuer genommen.

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