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Der Wahlkampf hat begonnen

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Die Hauptstreiter im Wahlkampf zu den deutschen Bundestagswahlen vom 17. September 1961 befinden sich noch im Stadium des Schmahstreits der homerischen Helden. Noch sind die letzten Karten nicht aufgedeckt. Da aber die drei grofien Parteien — CDU CSU, SPD und FDP - ihre kon- stituierenden Parteitage bereits abge- halten und den Wahlkampf eroffnet haben, kann eine erste, vorlaufige Bi- lanz der Ausgangspositionen schon gegeben werden. Zu den drei senann-

ten Parteien, die sich eine Chance aus- rechnen konnen, die Ffinfprozentsperr- klausel zu iiberspringen, kommt noch als moglicher Anwarter die aus der Fusion von BHE und Deutscher Partei hervorgegangene Gesamtdeutsche Partei. Von dieser war die Deutsche Partei durch Wahlhilfe der CDU 195 3 und 1957 in den Bundestag gekom- men, wahrend der BHE 1957 knapp unter den geforderten ffinf Prozent geblieben war.

Die Programme der drei groBen Parteien scheinen praktisch die gleichen innenpolitischen Ziele zu verfolgen, sofern man von Zielen uberhgupt rden,;nn. Es, bar nicht mehr darum, was die Parteien, wollgn, spridern, wa ,.'s»e glap- ben, daB die Wahler horen wollen. Die Unterscheidungen betreffen nur noch Nuancen. Zwischen dem „Wohl- stand fur alle“ der CDU CSU und dem „Wohlstand ist fur alle da“ der SPD konnen bestenfalls noch Sprach- forscher einen wesentlichen Unter- schied heraushdren.

„Kein Brandt ohne Brenner"

Sieht man die Position der vier Parteien an, so fallt zunachst auf, dafi der Kanzlerkandidat der SPD, Willy Brandt, trotz intensiver Bemuhungen stark an Anziehungskraft verloren zu haben scheint. Zu dieser Entwicklung hat freilich die sich selbst rasch ad absurdum fuhrende bedauerliche Emigrantenhetze von der CDU nahe- stehenden Kreisen offenbar nur wenig beigetragen. Diese Ernuchterung uber Brandt durfte in erster Linie von den Reden des Vorsitzenden der Industrie- gewerkschaft MetalL Brenner, aus- gehen, der, ganz im Gegensatz zu der weichen Linie Brandts, durch seine jedes MaB sprengenden Forderungen eindrucksvoll demonstriert, zu wel- chen Auswfichsen sich die alten sozia- listischen Theorien vom Klassenkampf und der kommenden Diktatur des Proletariats auch heute steigern lassen. Das gut erfundene Wort „Kein Brandt ohne Brenner" durfte dem Berliner Biirgermeister viele Sympathien ge- kostet haben. Wer bereit war, unter Brandts biirgerlichem Auftreten den Sozialisten zu iibersehen, den diirften Brenners destruktive Kritik und das Beispiel des belgischen Streiks zu Be- ginn dieses Jahres daran erinnert haben, wie leicht eine in der Voll- beschaftigung um ihre Existenz kamp- fende Gewerkschaft eine sozialistische Parteileitung mit ins Chaos reifien kann.

Hier wird auch deutlich, in welche Radikalisierung die SPD nach einer vernichtenden Wahlniederlage ab- gleiten kann, weshalb die schroffe Ab- lehnung der CDU nicht ganz verstand- lich ist. Eine bequemere SPD als die von Brandt wird die CDU kaum wie- der vorfinden. Die radikale, von den eigenen Parteimitgliedern nur mit Vor- behalten gebilligte Annaherung an die AuBen- und Wehrpolitik der Bundes- regierung — in der Frage der Atom- bewaffnung sind die Erklarungen der beiden Parteien so widerspriichlich ge- worden, daB auch ein Fachmann nicht mehr durchsehen kann — gibt nun der CDU CSU die Gelegenheit, die Politik der letzten vier Jahre der SPD als ver- fehlt hinzustellen. Dahinter tritt das groBe Verdienst dieser Partei zurfick; in den vergangenen vier Jahren mit ihrer Sperrminoritat die Bundesregie- rung zu verfassungsmafiigem Regieren gezwungen zu haben. Die Vorgange bei der Bundesprasidentenwahl 1959, der Versuch einer verfassungswidrigen Notstandsgesetzgebung und der Fern- sehstreit sind die auch in eine breitere Offentlichkeit gedrungenen Stationen dieses Weges. Davon ist aber im Wahlkampf keine Rede, wie fiberhaupt die geringe Angriffsfreudigkeit Brandts auffallt, der mit seinen innenpolitischen Versprechungen (Fernsehgerate fur alle alten Leute) offenbar an die Grenzen des Glaubwurdigen ging.

nichts andern, ja sie wird hochst- wahrscheinlich sogar noch eine weitere Starkung der Position von Straufi bringen. Die Abneigung gegen Straufi ist aufierhalb Bayerns sehr viel grofier. Sie wird sich aus den Wahlergebnissen um so weniger ablesen lassen, als die von Straufi geleitete bayrische CDU unzweifelhaft einem grofieren Stim- mengewinn in den Bundestagswahlen entgegengeht. Die seit 195 3 nicht mehr im Bundestag vertretene, von der CSU mit alien Mitteln nieder- geboxte Bayernpartei hat zum ersten- mal auf eigene Kandidaten verzichtet, was der CSU die Chance gibt, an die vor Bestehen der Bayernpartei erreich- ten 64 Prozent heranzukommen. Eine ahnliche Situation ergibt sich in Nie- dersachsen, wo die fast die Rolle einer Heimatpartei spielende Deutsche Partei sich mit der Fliichtlingspartei, dem BHE, zur Gesamtdeutschen Partei ver- schmolzen hat. Auch hier ist mit einem Zuwachs aus den Reihen der enttauschten Anhanger der DP zu rechnen, auch wenn die Gesamt- deutsche Partei fiir den Bundestag kandidiert.

Die Chancen dieser Partei, die Fiinf- prozentklausel zu uberspringen, sind schwer zu beurteilen. Sie ist bisher im Wahlkampf wenig hervorgetreten. Da sie in sich sehr ungleiche Krafte ver- einigt, wird das Rechenexempel, das die Starke der beiden Parteien addiert, kaum aufgehen. In Ermangelung ge- meinsamer Interessen wurden bisher die von beiden Parteien schon fruher herausgestellten nationalen Tone be- sonders hervorgehoben. Da sich gerade im BHE eine ganze Reihe ehemaliger Nationalsozialisten und Antisemiten eingenistet hat, bleibt abzuwarten, wieweit diese Phrasen im Eichmann-

Jahr bei den Wahlern ankommen werden.

FDP: „Auf uns kommt es an!"

Sehr viel reeller sind die Chancen der drittstarksten deutschen Partei, der freien Demokraten (FDP). Diese wollen durch den neuen Parteivor- sitzenden, den zugkraftigen, schonen, aber wenig profilierten ehemaligen aktiven Offizier und Ritterkreuztrager Erich Mende, jenes Terrain wiederge- winnen, das die Partei unter seinen Vorgangern, dem bissigen, witzigen schwabischen Altliberalen Reinhold Maier und dem nicht minder profilier- ten heiBblfitigen Bayern Thomas Deh- ler, verloren hat. Als weitere giinstige Chance kommt das Bekenntnis des hohes Ansehen geniefienden Altbun- desprasidenten Theodor Heuss zu seiner alten Partei, der FDP, hinzu, das dieser, klarer und deutlicher, als selbst die Parteileitung gehofft hatte, auf dem Bundesparteitag der FDP im Marz aussprach. Das in Plakaten be- reits ausgeschlachtete Ansehen von Heuss scheint allerdings neben Mendes

Sex-Appeal die einzig reale Hoffnung dieser Partei auf Stimmengewinn zu sein, deren Wahlstrategen ihre Chancen darnach berechnen, wie oft ihr Parteivorsitzender im Fernsehen wah- rend des Wahlkampfes sich in die Herzen der Hausfrauen lacheln kann. Hatte die FDP 1957 mit ihrer Parole von der dritten Kraft und dem Slogan: ,,Auf uns kommt’s an!", bei der der Koalitionspartner offen blieb, Stimmen- verluste hinnehmen miissen, so hat sie sich heute bereits auf eine Koalition mit der CDU festgelegt. Da ihre auBenpolitischen Ziele — Aufnahme von Beziehungen zu den Ostsatel- liten — sich eher mit denen der SPD vertragen und von der CDU auch bereits zerpfluckt wurden. so durfte das eher dem Ehrgeiz, wieder an der Regierung beteiligt zu werden, ent- springen als echter Uberzeugung. Jedenfalls wuBte Mende in einem Interview mit dem Nachrichtenmaga- zin ,,Der Spiegel" selbst keinen anderen Grund dafiir anzueeben als den, es werde ja doch die CDU gewinnen und daher ein Koalitionsangebot der SPD reine Spekulation bleiben.

Mit dieser Behauptung erwies sich Mende auf der Hohe der augenblick- lichen Situation. Die CDU CSU sieht sich vor einem vierten Wahlsieg. was manche Funktionare diesen Wahlkampf etwas auf die leichte Schulter nehmen laBt. Wenn sich trotzdem Adenauer zu einem noch groBeren per- sonJichen Einsatz entsc1l’ossen hat als in den verangenen Wahliahren, so durften dafiir hauptsachlich zwei Griinde bestimmend gewesen sein: einmal. daB das Ansehen der CDU CSU m?hr denn je auf seiner Person be- ruht, die allein imstande ist, das Unbehagen uber die Nachfolge zum Schweigen zu bringen. Zum anderen aber. daB die planmaBig durchgefiihr- ten Reisen seines Rivalen Brandt einen solchen Einsatz ratsam erscheinen lassen. um alien moglichen Uberraschun- gen die Stirn bieten zu konnen.

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