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Alte, neue Mannschaft

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„Never change a winning team“ — nach diesem Satz scheint bei der Bildung der neuen Regierung der Bundesrepublik Deutschland verfahren worden zu sein. Denn das Kabinett, das Willy Brandt dem Bundestag präsentierte, zeigt wenig neue Gesichter und relativ gering veränderte Kompetenzen der einzelnen Ressort. Und doch trifft die Devise, eine siegreiche Mannschaft sei nicht zu verändern, nicht die Situation.

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„Never change a winning team“ — nach diesem Satz scheint bei der Bildung der neuen Regierung der Bundesrepublik Deutschland verfahren worden zu sein. Denn das Kabinett, das Willy Brandt dem Bundestag präsentierte, zeigt wenig neue Gesichter und relativ gering veränderte Kompetenzen der einzelnen Ressort. Und doch trifft die Devise, eine siegreiche Mannschaft sei nicht zu verändern, nicht die Situation.

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Denn nicht das Team war es, das den Wahlkampf entschieden hat, sondern der Kanzler. Dieser aber hatte, obwohl während der Kabinettsbildung im Hintergrund agierend, ursprünglich doch wohl die Absicht, die eine oder andere etwas weitergehende Veränderung vorzunehmen. Erst eine Gegenüberstellung der ursprünglichen Planungen und der Verhandlungen zwischen den Koalitionspartnern SPD und FDP mit dem nun amtierenden Kabinett gibt Aufschluß darüber, welche Politik von dieser Regierung zu erwarten ist und wer in Willy Brandts Mannschaft den Ton angeben wird.

Am spekatulärsten war die Aufteilung des Erbes des einstigen Superministers Schiller. Schmidt, seit dem Rücktritt Schillers Herr über das vereinigte Wirtschafts- und Finanzministerium wußte, daß er diese Kompetenzfülle nicht werde halten können. Von Willy Brandt gestützt („Schmidt ist der erste Mann im Kabinett“), nicht frei von Ehrgeiz und auf eine ziemliche Hausmaoht in der SPD bauend, konnte Schmidt allerdings darum kämpfen, als Finanzminister viele Kompetenzen des Wirtschaftsministeriums zu erhalten. Nach einigem Hin und Her, das zunächst bei einem mächtigen „Schatzkanzleramt“ für Schmidt begann, dann ein unbeschnittenes Wirtschaftsministerium für FDP-Genscher vorsah und schließlich bei einem mächtiger, aber nicht übermächtig gewordenen Finanzminister Schmidt und einem nicht zur Bedeutungslosigkeit verurteilten FDP-Wirtschaftsminister Friderichs endete, ist eine vernünftige Lösung gefunden worden. Ihr Zustandekommen wirft jedoch Fragen nach dem Regierungsstil Brandts wie auch nach dem Verhältnis zwischen SPD und FDP auf. Wahrscheinlich gefördert durch Brandts Erkrankung, fehlte der Regierungsbildung die starke Hand. Beide Parteien, und in ihr wieder verschiedene Gruppen, versuchten trickreich, gelegentlich unter bewußter Verbreitung von Zwischenergebnissen der Regierungsverhandlungen, ihr Ziel zu erreichen.

Wenn die Verhandlungen zwischen SPD und FDP in diesem Falle gezeigt haben, daß zwischen den Partnern nicht reine Harmonie herrscht, sie aber gemeinsam vertretbare Kompromisse finden können, so waren die Kämpfe innerhalb der SPD überraschender, heftiger und für die weitere Regierungsarbeit der SDP vielleicht bedenklicher. Eine Polarisation zwischen rechts und links brach auf. Der linke Flügel, zahlenmäßig wesentlich gestärkt, wollte möglichst bald die Weichen für weiterreichende gesellschaftliche Reformen gestellt sehen. Der rechte Flügel sah sich zur Abwehr genötigt. Erst Brandts Donnerwort vor dem Parteirat — gegen jede Flügelbildung gerichtet — scheint diese Auseinandersetzungen vorläufig beendet zu haben. Es ist allerdings schwer denkbar, daß sie im Laufe der vierjährigen Legislaturperiode nicht wieder aufbrechen sollten. Brandt würde dann seine Entscheidungskraft und seine Leitungsautorität, die ihm im letzten Kabinett oft fehlten, wie bereits jetzt während der Regierungsbildung mehr als Parteivorsitzender denn als Regierungschef gebrauchen.

Brandts zwar relativ spätes, aber doch entschiedenes Eingreifen in die Verhandlungen um die Regierungsbildung ist sicher ein Zeichen für die ihm mit dem Wahlsieg neu zugewachsene Autorität. Daß er sie aber nicht in dem autokratischen Stil benützt wie Adenauer, dessen Regierungsbildungen oft weit länger dauerten und mit weit mehr Tricks und Überraschungen gespickt waren, zeigt den Unterschied zwischen Brandt und Adenauer, mit dem er gerade seit seinem Wahlsieg zunehmend verglichen wird. Die Ministerliste zeigt allerdings, daß auch ein „autoritärer“ Brandt, infolge der Rücksichtnahme auf den Koalitionspartner, auf Flügel in seiner Partei wie auch auf Personen, zu — manchmal etwas bedenklichen — Kompromissen gezwungen ist. Sowohl die Einführung von Ministern ohne Geschäftsbereich wie auch die Teilung des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums sind dafür die deutlichsten Beispiele. Zu deutlich trägt die Einrichtung der Minister ohne Geschäftsbereich den Charakter der Verlegenheitslösung.

Dohnänyi, bisher für Bildung und Wissenschaft zuständig, ist nunmehr für Bildung, Ehmke für Wissenschaft und Technologie zuständig. Die persönliche Rücksichtnahme auf Ehmke, der drei Jahre lang Brandts Kanzleramtsminister und in diesem Amt sehr umstritten war, ist der Lösung deutlich anzumerken. Daß Ehmke auch noch das ehemals dem

Verkehrsministerium angeschlossene Postressort zugeschlagen bekam, unterstrich die Verlegenheitslösung und bescherte Ehmke auch reichlichen Spott. Hans-Jochen Vogels Bautenressort hat zwar etwas erweiterte Kompetenz, ist aber auch gegenüber ursprünglichen Plänen, ihn zu einem populären Starminister für Umweltschutz zu machen — hier hütet Genscher sorgsam seine Kompetenzen —, ein deutlicher Kompromiß. Das Überleben von Justizminister Jahn im Kabinett, dessen Ausscheiden allgemein erwartet worden war, zählt weiter zu den Verlegenheitslösungen und läßt mit einiger Spannung auf die weitere Entwicklung der Justizreform — vor allem des Abtreibungsparagraphen — warten, die unter Jahn bislang für die Regierung glücklos verlief.

Das Fortbestehen des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen läßt weniger einen Schluß auf die Deutschlandpolitik der SPD/FDP-Regierung zu, als auf die Bedeutung bestimmter Flügel in der SPD. Der Leiter dieses Ressorts,

Egon Franke, ist Chef des rechten SPD-Flügels, der „Kanalarbeiter“, für die in jüngster Zeit auch Schmidt

— vor den Wahlen noch durch plötzliche Juso-Sympathien aufgefallen

— seine Liebe entdeckt hat.

So trägt dieses Kabinett gegenüber dem vorhergegangenen mehr die Züge einer Schönheitsoperation, nicht aber einer grundsätzlichen Reform. Brandt deutete an, daß in der Mitte der Legislaturperiode ein Wechsel in einigen Ressorts stattfinden könnte. Eine Praxis, die bereits im letzten Kabinett üblich war, damals allerdings in Form von Ministerrücktritten. Hätte es die nicht gegeben (einige Ministerien waren verwaist), so hätten jetzt noch weniger Änderungen stattgefunden. Das Kabinett ist kein Wechsel auf radikale Reformen. Es repräsentiert Kontinuität und das Versprechen, einige der 1969 angekündigten Reformen nun auszuführen. Damit deckt es sich mit jener Regierungserklärung, die Brandt im Jänner abgeben wird und die einen ähnlichen Tenor haben dürfte.

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