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Ein Jahr nach der „Wende“ in der BRD

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Vor rund einem Jahr, Anfang Oktober 1982, wurde durch ein konstruktives Mißtrauensvotum Bonns damalige sozialliberale Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt durch eine christlichliberale unter Helmut Kohl abgelöst. Wie sieht ein Jahr nach dieser Wende die politische Landschaft der BRD aus?

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Vor rund einem Jahr, Anfang Oktober 1982, wurde durch ein konstruktives Mißtrauensvotum Bonns damalige sozialliberale Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt durch eine christlichliberale unter Helmut Kohl abgelöst. Wie sieht ein Jahr nach dieser Wende die politische Landschaft der BRD aus?

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Der Begriff „Wende“ tauchte schon in der Endphase der sozialliberalen Koalition auf, er wurde sowohl von der damaligen Regierungspartei FDP wie von der CDU CSU-Opposition verwendet und spielte im Wahlkampf eine große Rolle.

Eine Wende sei notwendig, wurde damals immer wieder betont. Und so darf mit Recht die Frage gestellt werden, ob nun tatsächlich in der Bundesrepublik eine Wende eingetreten ist, zumal diese durch die Bundestagswahl vom 6. März dieses Jahres von den Wählern eine Bestätigung erhalten hatte.

Abgesehen vom üblichen Personalaustausch, den es bei einem Regierungswechsel gibt, wurde die Wende vor allem in zwei Bereichen beschworen: In der Wirtschaftspolitik und in zunehmen-

dem Maße auch im geistig-moralischen Bereich, wie Helmut Kohl immer wieder betont.

Regierungskritiker bemerken von ihrer Sicht, daß die Wende in der Wirtschaftspolitik bisher noch nicht eingetreten sei. Die Arbeitslosenzahl liegt noch immer bei über zwei Millionen, obwohl sie etwas zurückgegangen ist, das Wirtschaftswachstum kommt nur langsam voran. Dagegen wird von Regierungsseite eingewendet, daß ja erst einmal die fehlerhafte Wirtschaftspolitik der letzten 13 Jahre korrigiert werden muß.

In der Tat hat sich in der Finanz- und Budgetpolitik Finanzminister Gerhard Stoltenberg, im Zivilberuf Professor für Neuere Geschichte in Kiel, innerhalb der Regierungsmannschaft deutlich profiliert. Er konnte im großen und ganzen sein Maßnahmenpaket zum Teil gegen den Wider-

stand von Kabinettskollegen (z. B. Arbeitsminister Norbert Blüm) und Ländern durchsetzen und gilt als wichtige Führungsreserve der CDU.

Weiters ist die Bundesrepublik innerhalb des wirtschaftlichen Geschehens keine „Insel der Seligen“ und von Außeneinflüssen (Dollar-Kurs, Zinsentwicklung etc.) abhängig. Daß diese Umstände noch keine rasche wirtschaftliche Wende herbeigeführt haben, dafür mußte die CDU unlängst in Hessen zum Teil ihr Lehrgeld zahlen.

Trotzdem machen sich die verbesserten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sowie eine positive Stimmung in diesem Bereich in den Unternehmen bemerkbar: Man traut dieser Regierung viel eher zu, mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten fertig zu werden, als der früheren. Und diese Stimmung schafft bei den Unternehmen wiederum Investitions- und Risikolust, die sich aber erst mittel- bis langfristig auswirken wird.

Eine geistig-moralische Wende, wie sie von Kohl immer wieder betont und von linken Meinungs medien gefürchtet wird, ist nur schwer auszumachen. Sie kann auch nur sehr schwer stattfinden, weil die Wurzeln der gegenwärtig geistig-politischen Situation der Bundesrepublik in der Vergangenheit ruhen. Hier einen positiven Ansatz zu unternehmen, dazu braucht es einmal Zeit und vor allem eine geistige Führung, von der zwar Kohl spricht, die aber auszuüben sehr schwierig ist.

So spielt sich diese Wende — oder was dafür gehalten wird — auf den Plätzen der Rechts- und Gesellschaftspolitik ab. Ausländerpolitik, Volkszählung, Datenschutz, Personalausweis usw. sind die Reibungsflächen zwischen Regierung und parlamentarischer wie außerparlamentarischer Opposition, wobei das Groteske ist, daß die meisten dieser Vorhaben noch unter Helmut Schmidt beschlossen wurden.

Die Frontstellungen in der Bundesrepublik verlaufen nicht nur wie üblich zwischen Regierung und Opposition in verfassungsmäßiger Weise, die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen (Friedensbewegung, Umweltbewegung, Grün-Alternati ve) gehen quer durch. Ist Regierung und Opposition zahlenmäßig im Bundestag abzahlbar, so sind in diesem Bereich die Zahlen schwierig zu eruieren, weil vieles in Bewegung ist und die Grenzen fließend sind. Wieweit sich dieser gesellschaftspolitische Konflikt entwickelt, wird man nach dem „heißen Herbst“ besser beurteilen können.

Das Bild der Parteien stellt sich ein Jahr nach der Wende folgendermaßen dar: Innerhalb der CDU CSU ist Helmut Kohl unumstritten, obwohl er an Profil noch einiges zulegen könnte. Auch gegenüber Franz Josef Strauß konnte sich Kohl letztlich durchsetzen.

Sowohl auf Bundesebene wie in den Ländern profitiert die Union von einer führungslosen SPD. Hans Jochen Vogel konnte weder Helmut Schmidt noch Herbert Wehner bisher ersetzen.

Die SPD rückt in ihrer Sicherheitspolitik immer mehr von ihren eigenen Beschlüssen unter Helmut Schmidt ab und macht es so der Regierung leicht, zu argumentieren. Willy Brandt träumt von einer Mehrheit links von der

Union mit den Grünen, ohne seine Ablöse wird es mit der SPD kaum aufwärtsgehen.

Die FDP unter Hans-Dietrich Genscher konnte mit CDU-Hilfe, etwa in Hessen, wieder Tritt fassen, sein Kurs wurde bestätigt. Der Wechsel der FDP wurde jedenfalls besser überstanden, als ab 1969 der Eintritt in eine SPD- Regierung.

Die Grünen bieten sich dem Beobachter als uneinheitlicher Haufen dar, der noch dazu durch innere Kontroversen zerrüttet wurde. Die große Gefahr für die Grünen besteht jedoch darin, daß sich zunehmend die großen Parteien ökologischer Themen annehmen. Man denke an die eingeleiteten Maßnahmen gegen den sauren Regen und für bleifreies Benzin von Innenminister Zimmermann, der ansonsten der Schrecken der Kulturlinken ist.

In der Tat beschäftigen sich die Grünen in der Optik nur mehr mit den Themen des „heißen Herbstes“: NATO-Nachrüstung, Friedensbewegung etc. Außerdem machen sich im Wählerpotential der Grünen leichte Ermüdungstendenzen bemerkbar, wie ihr jeweils schlechteres Abschneiden bei den Ein-Jahres-Landtags- wahlen (Hamburg, Hessen) zeigte.

Die Regierungskoalition CDU CSU und FDP kann der nächsten Zeit gelassen entgegensehen, auch wenn sich die Wende noch nicht so rasch vollzieht, wie sie vielleicht wünschenswert wäre. Eine personelle wie sachliche Alternative zur gegenwärtigen Regierung ist nicht in Sicht, solange die SPD bei sich noch nicht ins reine gekommen ist, und man noch nicht weiß, wie und wohin sich die Grünen entwickeln werden.

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