6896558-1980_13_07.jpg
Digital In Arbeit

Alarm bei den Etablierten

19451960198020002020

Wieder sitzen die Strategen der etablierten Parteien in ihren Zentralen und kratzen sich ratlos den Kopf. Zum zweiten Mal ist es den Umweltschützern mit ihrer grünen Partei gelungen, in ein Landesparlament einzuziehen. Nach dem Stadtstaat Bremen sind sie nun auch mit sechs Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag vertreten. Sind sie als politische Kraft also doch ernster zu nehmen als bisher geschehen?

19451960198020002020

Wieder sitzen die Strategen der etablierten Parteien in ihren Zentralen und kratzen sich ratlos den Kopf. Zum zweiten Mal ist es den Umweltschützern mit ihrer grünen Partei gelungen, in ein Landesparlament einzuziehen. Nach dem Stadtstaat Bremen sind sie nun auch mit sechs Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag vertreten. Sind sie als politische Kraft also doch ernster zu nehmen als bisher geschehen?

Werbung
Werbung
Werbung

Zu erwarten war der Erfolg der Grünen im „Ländle" nicht unbedingt. Meinungsumfragen prophezeiten noch bis wenige Tage vor der Wahl, daß ihnen der Einzug in den Stuttgarter Landtag nicht gelingen werde. Nun sitzen sie drin, und bei den Unionsparteien, der FDP und der SPD fragt man sich etwas bang, was das wohl für die kommenden Wahlen im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und schließlich im gesamten Bundesgebiet im Oktober bedeuten kann.

Nun, intensives Nachdenken über die Ursachen der „grünen" Erfolge schadet sicher nicht, aber die hier und da schon zu beobachtende hektische Aktivität der Etablierten und Anbiederungsversuche an ein verlorengegangenes Wählerpotential zeugen nicht von allzu großer Sicherheit. Alles dreht sich um die Frage, wer wem wieviel Stimmen abjagt.

Die Ausgangslage macht solche Überlegungen plausibel. Seit den letzten Bundestagswahlen 1976 hat sich eine bis dahin nur als Trend zu beobachtende Entwicklung zur Gewißheit verfestigt, daß die deutsche Wählerschaft parteipolitisch so weit festgelegt ist, daß größere Verschiebungen untereinander kaum mehr stattfinden werden.

Die politischen Lager - hier Union, dort SPD/FDP - stehen sich etwa gleich stark gegenüber. Wahlent-scheidend werden damit die sogenannten Wechselwähler, die sich teilweise erst in der Wahlkabine entscheiden, wem sie ihre Stimme geben, und die sogenannten Jung- oder Erstwähler.

Der Prozentsatz der Unentschiedenen, also der potentiellen Wechselwähler, ist seit einigen Jahren immer kleiner geworden. Entsprechend wächst die Bedeutung der Erstwähler. Gleichzeitig macht sich im Zuge der grünen Bewegung eine gewisse Erosion am linken Rand des Parteienspektrums bemerkbar. Die daraus zu ziehenden Schlüsse beunruhigen die SPD am meisten. Warum? Nun, Baden-Württemberg ist hiefür ein Beispiel.

Trotz aller Eigentümlichkeiten im deutschen Südwesten, die es nicht zulassen, das Landtagswahlergebnis insgesamt auf die Bundesrepublik hochzurechnen, bestätigen die Analysen, daß die Kundschaft der Ökologie-Jünger im wesentlichen abtrünnige SPD-Wähler sind. Dieser Trend kommt nicht von ungefähr.

Eines der verläßlichsten Wählerre-servoirs war für die Sozialdemokraten immer die Jungwählerschaft. Bis zu 60 Prozent der 18- bis 25jährigen gaben der SPD ihre Stimme. Die jungen Leute eilten mehrheitlich immer - was wunder - dem hinterher, der die sozialen bis sozialistischen Fahnen am höchsten hielt.

Doch die modische Attitüde des Antikapitalismus hat sich bei der SPD auf ein Maß reduziert, das - erzwungen durch die vielfältigen Sach-zwänge, denen eine Regierungspartei ausgesetzt ist - für viele zur großen Enttäuschung geführt hat. Das Bild der Partei prägt dabei ihre Aktivität in Bonn, und vor allem Helmut Schmidt. So haben die Wähler in den Ländern bei ihrer Entscheidung für oder gegen die SPD nicht das jeweilige Erscheinungsbild der Landespartei im Hinterkopf, sondern das der Bundes- und damit der Bonner Regierungspartei.

Nur so ist es erklären, daß der entschiedene Kernenergie-Gegner Erhard Eppler, die „grüne Speerspitze" der SPD, es mit seiner ebenfalls auf grün getrimmten Landes-SPD nicht geschafft hat, den Erfolg der baden-württembergischen Grünen zu verhindern und darüber hinaus sogar noch Verluste hinnehmen mußte.

Hier haben die Jungwähler der SPD einen Strich durch sämtliche Rechnungen gemacht Zwar waren die Sozialdemokraten im liberalkonservativen Baden-Württemberg noch nie auf Rosen gebettet. Doch Eppler hatte sich einige Chancen ausgerechnet, mit seinem in der Bundespartei umstrittenen Ökologie-Kurs wenigstens regional ein Zeichen setzen zu können und einige Prozentpunkte zuzulegen. Aber die für grünes Gedankengut anfälligen jungen Leute wählten nicht die SPD, sondern liefen gleich zu den Grünen

Das macht das baden-württembergische Wahlergebnis für die kommenden Wahlen so interessant. Denn wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte es sein, daß die Grünen die Mehrheitsbeschaffer für die CDU werden. Da kaum zu erwarten ist, daß die Unionsparteien ein Wahlergebnis bei den Bundestagswahlen im Herbst erzielen, das über dem von 1976 liegt (damals waren es mit Helmut Kohl an der Spitze 48,7 Prozent), könnte jedes Prozent, das die SPD an die Grünen abgibt, der Union zur absoluten Mehrheit verhelfen.

Die Rechnung ist zwar mit einigen Unbekannten bestückt, hat aber die

Logik des Wahlsystems für sich. Da nur die Partei in ein Parlament einziehen kann, die mehr als fünf Prozent der Stimmen erreicht, aber noch niemand damit rechnet, daß die Grünen dies bundesweit schaffen, fallen die Stimmen für diese Partei praktisch unter den Tisch.

Sie wirken sich wegen der 5-Pro-zent-Hürde auf die Machtverteilung in Bonn zunächst nicht aus. Sie haben aber Folgen für die Partei, die die meisten Wähler zu den Grünen hat ziehen lassen müssen, und das ist nach allen bisherigen Erkenntnissen die SPD.

Auf diese Weise würden die Grünen die Funktion einer sogenannten vierten Partei erfüllen, die nach dem Kalkül von Unions-Kanzlerkandidat Strauß CDU und CSU an die Macht verhelfen soll. Nur käme sie aus einer Ecke, in der sie noch vor einem Jahr niemand gesucht hätte.

Eine grüne Partei, die vorwiegend für linkssozialistische Wähler attraktiv ist, bedeutet für die SPD um so mehr eine Gefahr, als sich die Sozialdemokraten den Luxus leisten, in allen wesentlichen Fragen der Energiepolitik mit verschiedenen Zungen zu sprechen.

Während die Unionsparteien also relativ gelassen der weiteren Entwicklung zuschauen können, klingeln in der SPD-Zentrale die Alarmglocken. Was tun, um den Abmarsch zu den Grünen in kontrollierbaren Grenzen zu halten? Anbiedern kann man sich nicht, weil Kanzler Schmidt diesen Kurs nicht mitmacht. Er hat nicht umsonst im vergangenen Dezember sein ganzes Prestige in die Waagschale geworfen, um seinem Parteitag den Pro-Kernenergie-Beschluß abzupressen.

Aber entschlossenen Gegenkurs zu den Grünen zu steuern ist ebenfalls nicht ungefährlich, weil das die noch Schwankenden endgültig verprellen könnte. Die eindeutig nach links ausgezogene Programmlinie, die die Grünen am Wochenende auf ihrem Parteitag in Saarbrücken beschlossen haben, macht für die SPD die Sache auch nicht leichter.

In Ermangelung eines Gegenrezepts hofft man jetzt im Erich-Ollenhauer-Haus, daß die Grünen sich wegen der ideologischen GegenÄtze doch noch spalten. Denn damit würde sich das Problem von selbst erledigen. Doch so weit ist es noch nicht gekommen ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung