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Der „Bürger“ und „Genosse“ Trend

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So zurückhaltend die Parteien in der Bundesrepublik die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Niedersachsen und Hessen ■ vom 22. Oktober kommentieren, in der einen oder anderen Vergleichsrechnung triumphierte doch die Versuchung, die Ergebnisse regionaler Gemeinderatswahlen auf Bundesebene hochzurechnen. Bei solchen Versuchen, die einen Gewinn von zwei Prozent für die SPD bei gleichbleibendem Stimmanteil der übrigen im Bundestag vertretenen Parteien ergaben, torarde vor allem großzügig übersehen, daß weder Hessen mit seinen Itädtlschen Ballungsgebieten im Rhein-Main-Raum noch Niedersachten als relativ dünn besiedelter Flächenstaat im Norden repräsentativ für die gesamte Bundesrepublik Vrt.

Nüchterner beurteilte der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Erhard Eppler, die regionalen Aspekte der Bundestagswahl bei einem Besuch in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover nach der Kommunalwahl: „Als SPD-Mann aus dem Süden, muß einen bei den SPD-Erfolgen im Norden der Neid überkommen.“ Aus diesen Worten des aus Württemberg stammenden Ministers sprach nicht nur die Erinnerung an die bereits geraume Zeit zurückliegende Niederlage bei den baden-württembergischen Landtagswahlen, sondern auch die Erfahrung des Wahlkämpfers, der in seinem Heimatbundesland, aber auch sonst im Süden, bemerkt, daß die Stimmung nicht gerade SPD-freundlich zu sein scheint. CDU-Leute kommentieren diese Tendenz oft noch deutlicher: „Im Süden ist für uns die Wahl bereits gelaufen.“

Solche optimistische Äußerungen stützen sich weniger auf soziologische Überlegungen als auf Ergebnisse zurückliegender Wahlen und Beobachtungen im Wahlkampf. Denn den Gedanken etwa, daß die SPD in dem industrialisierten, sich zunehmend vom bäuerlich-katholischen Charakter wegentwickelnden Bayern, automatisch mit wachsender städtischer Bevölkerung einen Stimmenzuwachs verzeichnen könnte, hat sich schon 1969 nicht bewahrheitet. Auch jetzt scheint „Genosse Trend“ in Bayern nicht so zu marschieren, wie es sich die Wahlplaner in der SPD-Baracke in Bonn vorstellen.

Die Gegenrechnung aufzumachen und zu sagen, was CDU und CSU im Süden sicher haben, das ist im Norden um so unsicherer, ist allerdings auch trotz eindeutiger SPD-Erfolge bei den jüngsten Kommunal wählen nicht statthaft. Unbestreitbar hatten aber die Christdemokraten bei allen Landtagswahlen der letzten Jahre deutliche Erfolge zu verzeichnen. Der ziemlich weit rechts stehende Dregger holte in Hessen gegenüber der SPD kräftig auf. Der zunächst als Außenseiter geltende Köppler brachte den Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen eine Schlappe bei. Und Stoltenberg wehrte in Schleswig-Holstein den Angriff von Steffen, dem „roten Jochen“, ziemlich sicher ab. In Niedersachsen, einem Land mit traditioneller SPD-Mehrheit, kam die CDU bis auf einen Sitz im Landtag an die SPD heran. In den Stadtstaaten Bremen und Hamburg konnte dagegen die SPD ihre Position sicher behaupten.

Es kann nicht wundernehmen, daß die CDU sich infolge dieser Erfolge auch in cüesen für sie wesentlich kritischeren Gebieten der Bundesrepublik einige Chancen ausrechnet. Daß die Wahl in der geographischen Mittelzone der Bundesrepublik entschieden wird, darüber sind sich die Wahlpropheten aller Richtungen einig. Es sind dies Gebiete, die konfessionell nicht so eindeutig gebunden sind wie der Süden, wo vor allem bei protestantischen Wählern, auch auf dem Land, die noch gegebene Verwurzelung in der christlichen Tradition nicht gleichbedeutend mit der Wahl einer Partei mit diesem Attribut ist. Es sind aber auch Gebiete, in denen die sozialen Bindungen, die Gruppenzugehörigkeit, weitaus schwächer als im Süden sind. Es ist jene Zone, die in großer Zahl die Mittelschicht kennt, die zwischen Arbeitern und Mittelständlern angesiedelt, im Wahlverhalten offen ist und bei der letzten Bundestagswahl der SPD zum Durchbruch verhalf. Den Schwerpunkt bildet dabei Nordrhein-Westfalen, das mit mehr als elf Millionen Wahlberechtigten fast ein Drittel der Wähler stellt. In diesem Ballungsgebiet erkannten die Sozialdemokraten nach der letzten Bundestagswahl den „Bürger Trend“, der den „Genossen Trend“ ablöste. Ob er auch diesmal noch in diesem entscheidenden Bundesland auf seiten der Sozialdemokraten marschiert, davon wird wesentlich der Wahlausgang abhängen.

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