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„Laßt den Quatsch!“

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Ein Jahr vor den nächsten Bundestagswahlen hat sich die SPD ins Gerede gebracht, haben Teile der Sozialdemokraten für eine Erschütterung des sozialliberalen Bündnisses am Rhein gesorgt. Bezirksparteitage in Westfalen und Schleswig-Holstein haben nämlich erneut Forderungen nach staatlichen Investitionslenkungen erhoben und damit nicht nur in den Augen der Opposition und beim Koalitionspartner FDP, sondern sogar in Kreisen der Sozialdemokraten selbst den nachhaltigen Eindruck aufkommen lassen, das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft solle nachhaltig durchbrochen werden.

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Ein Jahr vor den nächsten Bundestagswahlen hat sich die SPD ins Gerede gebracht, haben Teile der Sozialdemokraten für eine Erschütterung des sozialliberalen Bündnisses am Rhein gesorgt. Bezirksparteitage in Westfalen und Schleswig-Holstein haben nämlich erneut Forderungen nach staatlichen Investitionslenkungen erhoben und damit nicht nur in den Augen der Opposition und beim Koalitionspartner FDP, sondern sogar in Kreisen der Sozialdemokraten selbst den nachhaltigen Eindruck aufkommen lassen, das Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft solle nachhaltig durchbrochen werden.

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Die Parteitagsbeschlüsse ließen den Wunsch nach staatlichen Investitionskontrollen und nach staatlichen Investitions- und Wirtschaftsplänen erkennen. Da im November der Bundesparteitag der SPD in Mannheim stattfinden wird, kommt solchen jetzt gefaßten Bezirksparteitagsbeschlüssen erhebliche Bedeutung zu. Denn die Forderung nach verstärkter und ausgebauter staatlicher Investitionskontrolle ist in Änderungsanträgen zum sogenannten „Oriehtierungsrahmen 85“ enthalten, der in Mannheim verhandelt werden wird.

Nun ist es zwar reichlich unwahrscheinlich, daß in Mannheim eine Abkehr von der Sozialen Marktwirtschaft beschlossen wird, aber die Beschlüsse von Westfalen und Schleswig-Holstein, denen ähnliche in Hessen-Süd vorausgingen, haben doch gezeigt, daß die Kräfte am linken Flügel, die nach „mehr Staat“ in der Wirtschaft rufen, in der SPD stärker geworden sind. Diese Kräfte, parteiintern gern als „Spinner“ bezeichnet und damit deutlich abqualifiziert, haben sich offensichtlich bis in die Mitte der SPD vorangearbeitet. Der Unmut vieler Genossen über die verschlechterte wirtschaftliche Lage und die Schwierigkeiten' der SPD/ FDP-Regierung bei deren Bewältigung hat offensichtlich den Boden für den Wunsch nach mehr staatlicher Kontrolle in der Wirtschaft bereitet.

Bundeskanzler Sehmidt und sein Finanzminister Apel haben allerdings zur gleichen Zeit, da die SPD-Basis nach Investitionskontrolle rief, klargemacht, daß dies, zumindest zur Zeit, nicht die Meinung der Partei ist. Apel meinte vor dem Hamburger Landesparteitag schlicht: „Laßt doch den Quatsch!“ Schmidt machte am gleichen Ort die Ideen von verstärkten staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft lächerlich, indem er aufzeigte, daß es nicht bei der Investitionskqntrolle bleiben könne, sondern, ist der erste Schritt einmal getan, auch staatliche Eingriffe in die gesamte Unternehmensplanung erfolgen müßten. „Ich sehe schon die Beamten, risikofreudig wie sie sind, über Investitionen entscheiden“, spottete der Kanzler.

Parteivorsitzender Willy Brandt versuchte dagegen durch Abwiegeln die linken Beschlüsse der Parteitage in den Griff zu bekommen. Er weiß, daß derartige Gedanken in der Partei zu weit verbreitet sind und zu intensiv diskutiert werden, als daß sie aus der Parteidebatte ausgeklammert werden könnten. Offensichtlich ist es seine Taktik, den linken Kräften Gelegenheit zu geben, etwas Dampf abzulassen, ja, ihnen noch vor Mannheim zu zeigen, welche Reaktionen sich einstellen, wenn in der SPD sozialistische Ideen kräftig propagiert werden.

Denn die Reaktionen auf die Parteibeschlüsse von Westfalen und Schleswig-Holstein haben deutlich gezeigt, daß mit solchen Ideen, die nach einer Änderung der Wirtschaftsordnung riechen, zur Zeit kein Staat zu machen ist und keine Wähler zu gewinnen sind. Schon gar nicht kann man mit solchen Ideen einen Koalitionspartner finden. Mit Vehemenz haben FDP-Politiker erklärt, daß sie für solche Ideen nicht zu haben sind, daß eine Koalition mit der SPD auf dieser Basis staatlicher Eingriffe in die Wirtschaftsinvestitionen unmöglich sei. Die FDP, ohnedies in letzter Zeit weder intensiv um Profilierung gegenüber dem Seniorpartner in der Koalition bemüht und dabei oft etwas verkrampft wirkend, hat hier plötzlich Gelegenheit bekommen, sich geradezu spielerisch von der SPD abzuheben und ihre Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen.

Besonders nach den scharfen' Angriffen von Seiten der FDP, aber natürlich auch von Seiten der Unionsparteien, versucht die SPD, die in ihren Kreisen virulenten Wünsche nach staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft herunterzuspielen. Mit Recht kann sie darauf hinweisen, daß bereits jetzt eine staatliche Investitionslenkung in Form von Regionalförderungen oder steuerlichen Maßnahmen stattfindet. Mancher Genosse, der nur noch Investitionslenkung wünscht, mag darunter wirklich nichts anderes als einen Ausbau und eine stärkere Anwendung dieser Maßnahmen gesehen haben. Aber in vielen Fällen ist doch der Wunsch nach rigoroser Steuerung der Investitionen, nach einem staatlichen Plan und nach einer strengen Kontrolle dieser Investitionen überdeutlich. Selbst an ein entsprechendes Bundesamt wurde schon gedacht. Der Aberglaube, daß wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit Bürokratie beizukommen sei, scheint sich in der SPD wieder auszubreiten, obwohl diese Partei schon in der Nachkriegszeit mit diesen Ideen Schiffbruch erlitten und der CDU mit Erhard einen großen Triumph überlassen mußte.

Vor allem zeigen die noch den Mannheimer Parteitag beschäftigenden Pläne und ihre Absegnung durch Bezirksparteitage, daß linke Kräfte in der SPD erheblich an Boden gewonnen haben. Die einst als „Kinderkrankheiten“ abgetanen Ideen der Jusos haben die Partei befallen, meinte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und wies darauf hin, daß Kinderkrankheiten bei Erwachsenen besonders gefährlich sein können.

Das Erstarken der linken Kreise, die nach Brandts Rücktritt als Kanzler einige Zeit stillgehalten haben, ist auch sonst unverkennbar. Bundesverteidigungsminister Georg Leber mußte auf eine neuerliche Kandidatur in seinem hessischen Wahlkreis verzichten. Zwar soll der „rechte“ Leber mit dem ersten Platz der hessischen Landesliste der SPD getröstet werden, seine Niederlage innerhalb der Partei ist jedoch unverkennbar.

Dem Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, Egon Franke, droht nun ein ähnliches Schicksal wie Leber. Er dürfte seinen Wahlkreis in Hannover verlieren. Franke, Chef der rechten Gruppe in der Bonner SPD-Fraktion, der „Kanalarbeiter“, war schon lange linken Gruppierungen in seiner Partei ein Dorn im Auge. Franke versuchte nun sein Heil in der Flucht nach vorne und warf bestimmten Kreisen in der SPD vor, Gedanken zu vertreten, die eigentlich in die DDR gehörten. Aber damit dürfte er seine Position nur verschlimmert haben.

Von solchen programmatischen und personellen Querelen, die sich unter der Devise „Marsch nach links?“ zusammenfassen lassen, geschüttelt, tritt die SPD in den inoffiziell bereits laufenden Wahlkampf. Sollte Mannheim nicht eine Beruhigung bringen, ist Helmut Schmidt nicht zu beneiden, die Union aber zu beglückwünschen.

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