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Zankapfel Energiepolitik: Schmidt schweigt, die FDP zögert, die Opposition ohne politische Führung

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Wer derzeit die politische Szenerie in Bonn betrachtet, erinnert sich unwillkürlich an des alten griechischen Philosophen Heraklit berühmtes Wort „Alles fließt“. Altgewohnte Fronten - hier Regierung und Koalitionsparteien, dort Opposition - haben sich nicht nur verschoben, sondern teilweise schon aufgelöst und umgekehrt. Das Hin und Her der Disküs- sion um die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, die besten Methoden zur Ankurbelung der Konjunktur, um die innere Sicherheit oder (und vor allem) um die Energiepolitik haben deutlich werden lassen, daß die neuen Fronten quer durch die Parteien verlaufen.

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Wer derzeit die politische Szenerie in Bonn betrachtet, erinnert sich unwillkürlich an des alten griechischen Philosophen Heraklit berühmtes Wort „Alles fließt“. Altgewohnte Fronten - hier Regierung und Koalitionsparteien, dort Opposition - haben sich nicht nur verschoben, sondern teilweise schon aufgelöst und umgekehrt. Das Hin und Her der Disküs- sion um die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, die besten Methoden zur Ankurbelung der Konjunktur, um die innere Sicherheit oder (und vor allem) um die Energiepolitik haben deutlich werden lassen, daß die neuen Fronten quer durch die Parteien verlaufen.

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Der merkwürdige Immobilismus der Bundesregierung, im Innern der Bundesrepublik sehr viel deutlicher zu spüren als außerhalb, rührt daher. Die Regierung in Bonn ist in der fatalen Lage, daß sie sich nicht mehr unbedingt auf die Loyalität der sie tragenden Mehrheit im Parlament verlassen kann, auf die eigenen Parteien außerhalb schon gar nicht. Dies wird nirgendwo deutlicher als auf dem heißen Feld der Energiepolitik. Hier müssen für die Zukunft lebenswichtige Entscheidungen getroffen werden. Eine Wohlstandsgesellschaft wie die deutsche - so dia einleuchtende Rechnung der Bundesregierung - benötigt zur Sicherung ihres sozialen Besitzstandes eine auf die Dauer gesunde wirtschaftliche Grundlage. Gestmd ist diese aber nur dann, wenn sie ein stetiges Wachstum aufzuweisen hat. Dazu wiederum ist ein steigender Energieverbrauch notwendig.

Seit der Ölkrise weiß man, daß die Energiegewinnung aus fossilen Materialien (Öl, Kohle) nicht nur quantiativ begrenzt, sondern auch politischen Unzuverlässigkeiten unterworfen ist. Die Bundesrepublik verfugt zwar über beachtliche eigene Kohlenvorräte. Deren Umsetzung in Energie stößt aber sowohl auf natürliche Grenzen, d> durch die vorhandenen Kapazitäten gezogen werden, als auch auf starke Bedenken hinsichtlich der Umweltbelastung. Kohlekraftwerke wären also allenfalls eine Übergangslösung. In diesem Sinne hat die Bundesregierung sich für die Kernkraft entschieden und ein sogenanntes Energieprogramm aufgestellt, das in halbjährlichem Abstand unter Berücksichtigung der neuesten Daten fortgeschrieben werden soll.

Hier nun scheiden sich in den Regierungsparteien SPD und FDP die Geister, wobei die Sozialdemokraten die härtesten Kämpfe untereinander austragen. Daß der Widerstand vor allem vom linken Flügel kommt, ist nicht verwunderlich. Die Jungsozialisten, sozusagen Vorbereiter und Vorantreiber der sozialdemokratischen „Kernspaltung“, machten dabei eine Entwicklung in drei Phasen durch: Zunächst assoziierte man Kernenergie mit Atombombe und war daher schon, prinzipiell dagegen. Dann tauchten überall Bürgerinitiativen gegen Kern kraftwerke auf, was für die Jusos eine höchst willkommene Gelegenheit war, ihre akademischen Vorstellungen von Sozialismus in Form von Basisdemokratie (sprich Majorisierung der Bürgerinitiativen) in die Praxis umzusetzen. Nun hat sich die linke Parteijugend mit starken Kräften in der SPD auf eine neue Grundsatzdebatte über das Thema Wirtschaftspolitik eingelassen, in der die Atomkraft eine zentrale Rolle spielt.

Wenn nämlich Kernenergie, so argumentiert man, nötig ist, um Wachstum zu sichern, so bedeute das doch nichts anderes als eine Uberlebensthe- rapie für den verhaßten Kapitalismus, dem man unermüdlich die letzten Zuckungen attestiert. Das aber läuft sozialistischen 'Heilsvorstellungen diametral entgegen. Unzählige Anträge auf SPD-Parteitagen in den Bezirken und Ländern haben dieses Denkmodell deutlich werden lassen. Es hat sie nur niemand so recht ernst genommen bis zu jenem Zeitpunkt im März dieses Jahres, als eine Gruppe SPD-Bundestagsabgeordneter unter Führung der an der äußersten Linken angesiedelten schleswig-holsteini- ,scheu Genossen das Forschungsprogramm der Bundesregierung mit Schwerpunkt Kernenergie durch ein

Nein bei der Abstimmung zu Fall zu bringen drohte. Der Eklat konnte zwar abgewendet werden, doch seitdem geht es in den Regierungsparteien drunter und drüber.

Die FDP, bis dahin von internen Konflikten über dieses Thema weitgehend verschont, beitam ihren Knacks im Juni in Saarbrücken auf dem sogenannten „kleinen Parteitag“, der einen Baustopp beschloß, der solange dauern sollte, als das Problem der Endlagerung des Atommülls nicht gelöst sei. Wirtschaftsminister Friderichs,- energischer Statthalter der Marktwirtschaft in seiner Partei und als solcher Befürworter der Kernenergie, war der Blamierte, nur halbherzig unterstützt von Parteichef Genscher, der inzwischen - stets die Nase im Wind - mehr und mehr zu den vermeintlichen stärkeren Bataillonen der Kernkraftgegner im eigenen Lager abdriftet. Der Ruf an Friderichs, Ponto-Nachfolger zu werden, kam genau zurecht — der Ministerstuhl, den er gegen einen besseren hingibt, war hart und wackelig geworden.

Die Schwierigkeiten, die Friderichs das Ministerleben vergällten, werden auch an den für Kernenergie plädierenden SPD-Ministern nicht spurlos vorübergehen. Forschungnninister

Matthöfer zum Beispiel, sinnigerweise selbst ein „Linker“, ist zwar von der Notwendigkeit eines zügigen Atomkraftausbaus überzeugt. Trotzdem erklärte er jetzt, der SPD-Bundesparteitag in Hamburg werde im November wohl einen unausweichlichen Beschluß gegen die Kernenergie fassen. Diese Äußerung hatte die Qualität eines mittleren Gewitters. Die in ihren Vorbehalten bestärkte Parteilinke jubelt ihm (wie früher) zu, während in der Regierung selbst sich einiger Ärger über die vor allem zeitlich völlig deplacierte Erklärung des Ministers breitmachte. Inzwischen hat Matthöfer zurückgesteckt und schließt für den Fall eines „unsinnigen“ Beschlusses in Hamburg seinen Rücktritt nicht mehr aus.

Während der Kampf hin und her wogt und eine Diktatur der Parteibasis immer deutlichere Konturen annimmt, hüllt sich Kanzler Schmidt in Schweigen. Ein klärendes Wort ist von ihm auch nicht zu erwarten, da es nur wütendes Geheul von der Parteilinken provozieren würde.

Wäre es nicht gar so utopisch - Schmidt könnte sachlich mit der CDU/CSU-Opposition genau die Politik machen, die er für richtig hält, während die SPD und ein Großteil der FDP seine eigentliche Opposition sind. In dieser Verkehrung der Fronten hätten die Christlichen Demokraten die große Chance, den Wählern eine regierungsfähige Alternative zu bieten. Daß sie dies nicht zustande bringen, liegt nicht an einem sachpolitischen Dissens, sondern an der innerparteilichen Vertrauenskrise, die aus dem unbehaglichen Bewußtsein resultiert, man habe zwar einen Parteichef, aber keine politische Führung.

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