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Die Problematik der deutschen Rechten

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Als Sir Ivon Kirkpatrick eine Reihe deutscher Nationalsozialisten — unter denen der jetzt wieder in Freiheit gesetzte Walter Naumann als der bedeutendste anzusehen war — in-Gewahrsam nehmen ließ, war die Kritik in Deutschland recht allgemein, gewisse Korrespondenten österreichischer Zeitungen haben den ausgelösten Unwillen trefflich zu schildern verstanden.

Merkwürdigerweise haben es dieselben Korrespondenten größtenteils unterlassen, sich mit dem Material zu befassen, das die englische Untersuchung zutage gefördert hat. Nun kann man sehr wohl der Meinung sein, daß man der Demokratie niemals auf un demokratische Weise dienen kann, wie es Sir Ivon tun wollte, es ist aber doch ein wenig übertrieben, wenn man diesen Grundsatz auch dahingehend interpretiert, daß man seine Augen und Ohren vor Aufschlüssen, die auf diese Weise gewonnen wurden, zu verschließen habe. Die englischen Untersuchungen haben nämlich ein recht anschauliches Bild der Führungsmentalität und Technik innerhalb der Freien Demokratischen Partei gegeben, das durch die infolge des Naumann-Aschenbach-Skandals ausgebrochenen Konflikte abgerundet wurde. Das Bemerkenswerteste ist dabei nicht so sehr die Virulenz nationalsozialistischer Infiltration, die keinesfalls staunenswert heftig war, das Bemerkenswerte war der Mangel eigener, ideologischer Widerstandskraft, die da und dort mit viel Naivität, gepaart war. Der Landesverbandvorsitzende Middelhauve hat, will man seinen eigenen Worten glauben, durch mehrere Monate ein Verhalten an den Tag gelegt, das ein wenig an jene unglücklichen Kinder im deutschen Walde erinnert, die mit Sprengkörpern des letzten Krieges spielen — dadurch wird zwar der Weltfrieden nicht bedroht, aber es ist doch keine ganz hannlose Beschäftigung.

Untersucht man das Phänomen einer ge-wisssn Richtungslosigkeit etwas eingehender, so erkennt man bald, daß im engen Rahmer einer einzigen Partei kaum gültige Schlüsse gezogen werden können. Man muß vielmeht

den Versuch machen, sich mit der deutschen Rechten als Gesamtphänomen zu befassen und ihre Problematik zu analysieren. Es ist dabei gar nicht so einfach, den Begriff der „deutschen Rechten“ überhaupt zu definieren. Die landläufige Vorstellung, daß die CDS/CDU“ als Mittelpartei unmittelbar an den rechten Flügel der SPD grenzt und daß somit alle anderen nichtsozialistischen Parteien rechts der regierungstragenden Großpartei stehen müssen, erweist sich bald als unstatthafte Vereinfachung. Das kleine Zentrum — das der Kanzler, trotz seines Kampfes gegen die Zwergparteien, nicht ungern auch im neuen Bundeshaus vertreten sehen würde — steht eher links denn rechts der CDU/CDS, in bestimmten Ländern gibt es FDP-Politiker, die eine Koalition mit der SPD befürworten, sogar hoffen, in diesem Fall den Kanzler stellen zu können, ehemalige Anhänger der Hedlers, Remers und Doris — Männer dieses Schlages haben zweifelsohne an Popularität stark ein-

gebüßt — die in der inzwischen verbotenen SRP vereint waren, finden sich nun in der „Deutschen Aufbau-Vereinigung“ des Alfred L o r i t z, und, ehe sich herausstellt, wer in diesem seltsamen Bündnis zwischen ehemaligen Nationalsozialisten und ehemaligen Entnazifizierungsministern bei dem fröhlichen Spiel der Unterwanderung auf Gegenseitigkeit den kürzeren zieht, läßt sich hier eine Placierung überhaupt nicht treffen. Kleinere Gruppen und Funktionäre der SRP aber scheinen wieder auf einen nationalbolschewistischen Kurs eingeschwenkt zu sein. Reicht schon hier das alte Vorstellungsschema auch dann nicht aus, wenn man sidi die Parteien in einem Kreis sitzend vorstellt, so daß die äußerste Linke neben der äußersten Rechten zu sitzen käme, so ergeben sich neue Schwierigkeiten bei dem „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“, der Flüchtlinge des ganzen Bundesgebietes und jeder sozialen Schichte umfaßt (bei den Flüchtlingen wird

fehlen, Zapfenstreich und Fahneneinmarsch spielen wieder ihre Rolle, bei einer FDP-Tagung in Düsseldorf saß Middelhauve unter zwei mächtigen Vorderladerflinten, Pulver-hörnern und einem großen Hifthorn, also: Volkskundemuseum gebrochen durch Karinhall.

Wieder ergibt sich aber die Frage nach einem tragfähigen nationalen Konzept. Und hier ist das Fatale zunächst, daß jedes rein nationale Anliegen in Deutschland ein Herauslösen aus dem größerem Rahmen zu bedeuten scheint; während in der klassischen Periode des deutschen Nationalismus, den Befreiungskriegen, sehr mächtige Impulse zu einem großen Zusammenschluß drängten, scheinen dieselben Kräfte heute bestehende und als zu eng erkannte Grenzen verewigen Zu wollen. Die deutschen Rechtsparteien könnten daher einmal in die Gefahr geraten, im europäischen Rahmen die Rolle einer Art glorifizierten Bayernpartei zu .spielen.

Im Augenblick hat man sieh allerdings noch grundsätzlich zu einer Europapolitik durchgerungen, wobei es vielleicht eine gewisse Rolle gespielt hat, daß man in der Größe und imponierenden Geschlossenheit des „Neins“ sowieso von einer mächtigeren Partei, der SPD, überspielt worden wäre, die in ihrer Ablehnung von Montan-Union wie EVG das problematische Erbe Schumachers verwaltet. Allerdings hat man diese Europapolitik stets mit allerlei Klauseln und Konditionen verknüpft, die, mögen sie auch an sich ganz gerechtfertigt gewesen sein, doch zu der Größe der Fragen und drohenden Gefahren in einem offenkundigen Mißverhältnis standen und die Politik des Kanzlers zwar nicht unmöglich, aber doch sehr dornenvoll machten. Für solche Tendenzen war lange Zeit das Problem der noch wegen „Kriegsverbrechen“ in Gewahrsam gehaltenen deutschen Offiziere symptomatisch. Für den Kanzler lag das Problem auf der juristisch-

humanitären Ebene, für seine Koaütions-partner aber auf der politischen Ebene; nachdem es gelungen war, eine Identifikation zwischen der Masse der ehemaligen Soldaten und ihren Heerführern herzustellen, war die Haftentlassung, Rehabilitierung oder Begnadigung der noch Inhaftierten zu einer nationalen Angelegenheit geworden, an der man seinen Angriffsgeist beweisen konnte. Mit welcher Mühe ward da etwas konstruiert, das sich früher als pure Selbstverständlichkeit einzustellen pflegte!

Zusammenfassend läßt sicli also wohl sagen, daß es kaum möglich ist, ein rein konservatives oder rein nationales Programm in Deutschland aufzustellen, da man mit den Begriffen dieser Vorstellungswelten den Problemen nicht recht zu Leibe rücken kann. Es ergibt sich natürlich die Frage, welche Schlußfolgerungen daraus für die kommenden Wahlen zu ziehen sind. Nun, es scheint vor allem festzustehen, daß keine der Rechtsparteien das Zeug in sich hat, sich zu einer Großpartei vom Rang der CDS/CDU oder der SPD zu entwickeln. Parteien ohne ein klares, bindendes Programm sind im wesentlichen nichts anders als regionale Vertretungen mit bestimmten finanzpolitischen Schwerpunkten, größere „pressure groups“ sozusagen, die versuchen, auf der Bundesebene eine gemeinsame Taktik auszuarbeiten. Sodann muß darauf hingewiesen werden, daß diese Gruppen, wie man nun auch in Italien sieht, schwierige Koalitionspartner sein können. Das Manko einer festen ideologischen Untermauerung, die sich daraus ergebenden prinzipiellen Spannungen, erzeugen ein Unsicherheitsgefühl, das in übersteigerten Forderungen und einem anmaßenden Ton Ausdruck finden kann. Schließlich ist die Gefahr einer Infiltration von rechts und links immer gegeben, da bei solchen Gruppen die Abwehrstoffe nie in genügender Menge gebildet werden.

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