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Schmidt's letztes Aufgebot

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Es handelte sich um ein ganz normales Kabinettsrevirement, verkündete Regierungssprecher Klaus Bölling den ungläubig lauschenden Journalisten in der Bonner Bundespressekonferenz. Der beste Beweis dafür sei die Schnelligkeit, in der alles über die Bühne gegangen sei. In der Tat, es ging wirklich mit geradezu atemberaubendem Tempo von statten in Bonn, aber Hektik wäre der treffendere Ausdruck gewesen. Und ob sie der umfänglichen Regierungsumbildung bekommen ist, kann man füglich bezweifeln. Denn wenn auch der Schein für ungebrochenes Machertum des Bundeskanzlers Helmut Schmidt spricht - die Tat-sache, daß es sich eben nicht um ein „normales“ Auswechseln der Regierungsmannschaft handelte, sondern um den (vorläufigen) Höhepunkt einer lange schwelenden Kabinetts- und Koalitionskrise, kann auch durch eifrig bekundeten Optimismus nicht aus der Welt geschafft werden.

Der entscheidende Auslöser war der von einer Affäre in die andere stolpernde Verteidigungsminister Georg Leber. So unbestritten seine Verdienste auch sind - was er sich im Zusammenhang mit der Spionageaffäre Lutze und den anschließend ans Licht gekommenen Abhöraktionen seines Militärischen Abschirmdienstes (MAD) an Peinlichkeiten leistete, konnte man nur als Ausdruck größter Hilflosigkeit deuten. Hilflos aber darf in Bonn kein Minister sein, der Ressortchef des Verteidigungsministeriums schon gar nicht. Helmut Schmidt hatte das seinen alten Freund Leber in den Wochen vor dessen Fall deutlich spüren lassen, indem er ihn sogar im Parlament blamierte und wissen Heß, daß er, der Kanzler, seit langem mehr wußte als der unmittelbar betroffene und verantwortliche Minister.

Daß Leber also zurücktreten würde, war klar. Nur über den Zeitpunkt konnten sich die SPD-Strategen, die ihren Blick schon fest auf die diesjährigen Landtagswahlen in vier Bundesländern gerichtet haben, nicht einigen. Als sie schließlich zu dem Entschluß kamen, man solle im späteren Frühjahr eine größere Kabinettsumbildung vornehmen, damit das Ausscheiden Lebers nicht so deutlich im Vordergrund stehe, war es schon zu spät. Mit-'ten in diese Überlegungen hinein meldete sich plötzlich (als erster) der glücklose Bildungsminister Helmut Rohde, der endgültig keine Lust mehr hatte, sich in dem von der SPD-Linken mit Hingabe betriebenen Grabenkrieg um die Berufsbildungspolitik zu verschleißen. Fast gleichzeitig merkte Georg Leber, daß er - wenn auch gutgläubig - vor dem Parlament die Unwahrheit gesagt hatte, als er nur von einem MAD-Abhörfall berichtete. Niemand konnte ihn mehr von seinem Rücktritts-Entschluß abbringen.

Da aber Rücktritte in Serie noch schlimmer sind als mehrere gleichzeitig, machte Schmidt reinen Tisch. Wohnungsbauminister Ravens, nicht gerade ein Glanzlicht im Kabinett, wurde vorzeitig nach Hannover geschickt, wo er als Spitzenkandidat der SPD im Juni in die niedersächsischen Landtagswahlen ziehen soll. Marie Schlei schließlich, die Entwicklungshilfeministerin, die mit sicherem Instinkt keines der insbesondere in Afrika zahlreich vorhandenen Fettnäpfchen ausließ, wurde als eklatante Fehlbesetzung aus dem Verkehr gezogen.

Das eigentliche Ausmaß der Kabinettskrise wurde dem Kanzler, aber erst bewußt, als er nach ministrablen Personen forschte, die die Lücken schließen konnten. Dabei hatte er die schmerzliche Erkenntnis, daß die Personaldecke der SPD hauchdünn geworden ist, was bei einem bisherigen Verschleiß von fast zwei Dutzend Ministern und einem Bundeskanzler auch nicht verwunderlich ist. Die gefundene Lösung ist denn auch angesichts der in den einzelnen Fachbereichen anstehenden Probleme mehr schlecht als recht.

Der bisherige Finanzminister Hans Apel übernimmt das Verteidigungsministerium. Er wechselt damit in das Ressort, mit dem er bisher immer die härtesten Kämpfe um den Anteil am Bundeshaushalt ausgefochten hatte. Daß Äpel, der nach eigenem Bekunden keinen Sinn fürs Militärische hat, gar nicht oberster Dienstherr der zweitstärksten NATO-Streitmacht werden wollte, beeindruckte den Kanzler ebenso wenig wie die Tatsache, daß der verteidigungspolitische Laie Apel eine lange Zeit zum Einarbeiten in solch komplizierte Materien wie SALT, MBFR und Heeresreform benötigt. Die Staatsraison siegte, der Notfall ließ dem Finanzminister keine Wahl. Er mag sich aber damit trösten, daß er mit dem Amtsantritt auf der Bonner Hardthöhe deutlich sichtbar in die Kronprinzrolle schlüpfte - ein bisher in der SPD vakantes „Amt“.

Während man ihm sogar noch zutraut, daß er in seinem neuen Amtsbereich trotz einer fatalen Neigung zur Wurstigkeit (was die NATO-Partner überhaupt nicht mögen) eine halbwegs akzeptable Figur ahgeben könnte, sind bei seinem Nachfolger im Finanzministerium dicke Fragezeichen anzubringen. Hans Matthöfer ließ noch vor kurzem jeden wissen, der es hören wollte, er gedenke bis 1984 Forschungsminister zu bleiben - vorausgesetzt, die SPD halte sich bis dahin an der Macht. Auch er wollte nicht ins Finanzressort, von dem er nicht allzuviel Ahnung hat. Aber als einer der treue-sten Diener seines Herrn Helmut Schmidt blieb er nicht lange bei seinem Nein. Fröhlich ist er jedenfalls über den Amtstausch nicht Dem in politischen Eiertänzen wohlgeübten Matthöfer wird denn auch diese von den eigenen Genossen als schnöder Opportunismus angekreidete Fähigkeit im Finanzministerium wenig nützen. Angesichts wachsender Staatsverschuldung und zunehmender Un-durchsichtigkeit des Finanzgebahrens des Bundes wären Prinzipientreue und Standvermögen im harten Kabinettsgerangel um die Etatposten bessere Voraussetzungen. Bei Apel konnte man sicher sein, daß die Inflationsschraube kontrollierbar blieb, Matthöfer hingegen ist in dieser Hinsicht ein völlig unbeschriebenes Blatt.

Die neuen Gesichter im Kabinett, die drei Staatssekretäre Hauff (neuer Forschungsminister), Haack (Woh-ungsbauminister) und Offergeid (Entwicklungshilfeminister) sowie der SPD-Abgeordnete Schmude (neuer Bildungsminister), müssen sich erst noch bewähren, bevor sie politisch einigermaßen eingeschätzt werden können. Den von Kanzler Schmidt herbeigewünschten frischen Wind in der Koalition werden aber auch sie kaum mitbringen. Dafür sorgt schon der Koalitionspartner FDP.

Die freien Demokraten hielten sich bei der hektischen Kabinettsumbildung auffällig zurück., Das lag nicht nur daran, daß für die neuzubesetzenden Posten ausschließlich die SPD zuständig war. Der eigentliche Grund lag vielmehr in dem schon seit einiger Zeit vorhandenen, aber durch die Krise noch verstärkten unguten Gefühl, das die FDP immer mehr an der Seite der labil gewordenen SPD befällt. Der freidemokratische Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Wolfgang Mischnick, bisher einer der Garanten des Bündnisses zwischen SPD und FDP, artikulierte dies mit den Worten, die Koalitionsabsprachen werde man zwar einhalten, aber die Zusammenarbeit mit der SPD sei schwieriger geworden.

Die geübten Leser im Kaffeesatz der Bonner Politik werteten Mischnicks Äußerung denn auch gleich als deutliche Warnung an die SPD, die um so schwerer wiegt, als die FDP in den Bundesländern immer mehr Lust zeigt, auf die Avancen der CDU einzugehen. Die Spannungen in der SPD und die Schwierigkeiten des Bundeskanzlers, in seiner Partei die nötige Mehrheit zu finden, tun ein übriges dazu. Zum Jubel besteht für die FDP daher kein Anlaß. Im Gegenteil: Es zeigt sich immer mehr, daß allein Helmut Schmidt die Koalition noch zusammenhält. Das aber wird er kaum noch können, wenn seine neuen Minister versagen.

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