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Ein kurzes Erfolgserlebnis

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Was mit CDU und CSU geschehen wäre, wenn Karl Carstens nicht zum Bundespräsidenten gewählt worden wäre, mag theoretische Gedankenspielerei sein. Vor dem 23. Mai, dem Tag der Wahl, allerdings hatten nicht wenige Unionsangehörige ein flaues Gefühl im Magen. Seit zehn Jahren sitzen ihre beiden Parteien in Bonn in der Opposition, und die Aussichten, 1980 endlich aus dieser unbequemen Rolle herauszukommen, sind nicht eben besonders gut.

Unter diesem Vorzeichen lechzte die Union nach einem Erfolgserlebnis. Die Wahl zum Bundespräsidenten bot die Gelegenheit, das angekratzte Nervenkostüm wieder in Ordnung zu bringen.

Daß es schließlich ohne Komplikationen gelang, dafür kann sich die Union allerdings im wesentlichen bei den Koalitionsparteien SPD und FDP bedanken. Hätten diese beiden nicht ein so unwürdiges Schauspiel bei der Kandidatenfrage geboten, wäre die Geschlossenheit hinter dem in seiner Partei nicht völlig unumstrittenen Karl Carstens möglicherweise fraglich gewesen.

Doch bis zuletzt taktierte vor allem die SPD im Kandidatennebel herum, ohne am Ende jemanden aufbieten zu können, der vielleicht auch Unionsdelegierte hätte schwankend machen können. Zu lange hatte man gehofft, der amtierende Bundespräsident Walter Scheel könnte sich noch einmal zur Wiederwahl stellen, auch dann noch, als Scheel schon mehrmals öffentlich erklärt hatte, er denke nicht daran.

Allerdings war Scheels Begründung, er wolle nicht Kandidat einer Minderheit sein, auch nicht gerade besonders überzeugend. Statt einen anderen geeigneten Bewerber aus den eigenen Reihen zu suchen, konzentrierte sich die SPD darauf, den Unionskandidaten Carstens in ein möglichst schlechtes Licht zu rük-ken.

Dazu mußte sowohl seine ehemalige Mitgliedschaft in der NSDAP herhalten als auch seine harte Oppositionshaltung gegen die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition. Er sei weder der Kandidat der Jugend noch ein integrierender Faktor. Im Gegenteil, so behaupteten die SPD-Politiker aller Ränge, er polarisiere und könne damit auch nicht Bundespräsident der Deutschen sein.

Solch infamer Demagogie stand die Union erstaunlich gelassen gegenüber. Sie weidete sich an der aufgeregten Taktiererei, die die SPD immer tiefer in die Sackgasse führte. Auch blieb der Öffentlichkeit die moralische Heuchelei nicht verborgen. Denn daß Scheel ebenfalls einmal der NSDAP angehört hatte, spielte in SPD-Augen offenbar keine Rolle.

Erst der immer stärkere Druck der Basis, hervorgerufen durch das Unverständnis an den taktischen Winkelzügen der Parteiführung, veran-laßte dann die Spitzen von SPD und FDP, vier Tage vor der Wahl einen neuen gemeinsamen Kandidaten aus dem Hut zu zaubern. Der Auserwählte war Carl Friedrich von Weizsäcker, hochangesehener Physiker und Philosoph, parteiloser Bruder des CDU-Politikers Richard von Weizsäcker.

Er hätte eine Alternative zu Carstens sein können, die auch dem einen oder anderen Unionsdelegierten die Wahl zur Qual zu machen imstande gewesen wäre. Doch Weizsäk-ker sagte ab - mit der einzig richtigen und durchschlagenden Begründung, er wolle den Koalitionsparteien nicht aus einer Verlegenheit helfen. Die Würde des Amtes, das anzutreten sei, vertrage sich nicht mit solchen Winkelzügen.

Die erneut in die Bredouille geratene Koalition fiel daraufhin in Sachen Bundespräsidentenwahl auseinander. Die FDP beschloß Stimmenthaltung, die SPD präsentierte Annemarie Renger, die Vizepräsidentin des deutschen Bundestages. Damit war sicher, daß der neue Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland Karl Carstens heißen würde.

Die steinernen, teilweise sogar offen unfreundlichen Mienen der SPD-Delegierten bei der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses bewiesen ein weiteres Mal, daß die Sozialdemokraten schlechte Verlierer sind - nicht gerade ein besonders gutes Zeugnis für das in ihren Reihen vorherrschende Demokratieverständnis.

Immerhin rief Herbert Wehner, der Zuchtmeister der SPD, nach der Wahl seine Genossen zur Ordnung und verabreichte ihnen eine Lektion in demokratischer Umgangsform: es sei eine demokratische Entscheidung getroffen worden und der Respekt vor dem Amt verbiete es, mit persönlichen Verunglimpfungen gegen den Neugewählten zu agitieren. Wehner, früher selbst ein strammer Kommunist, weiß, wovon er spricht.

Daß die Union sich nicht sehr lange an ihrem Erfolgserlebnis freuen konnte, lag an Franz Josef Strauß. Kaum war Carstens gewählt, tickerte aus der Münchner Staatskanzlei eine Zweizeilenerklärung über die Fernschreiber der Nachrichtenagenturen: er stehe der Union als Kanzlerkandidat für 1980 zur Verfügung. Seither redet von Carstens niemand mehr, aber alle über Strauß und die Führungskrise der CDU.

Bevor Kohl, der nach langem Zögern seinen Verzicht beschlossen hatte, den Wunschkandidaten seines Generalsekretärs Geissler, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht, als Kanzlerkandidat der CDU offerieren konnte, machte Strauß seinen Anspruch geltend. Damit sind zwar die Fronten geklärt, aber die Zukunftsaussichten für die sich noch so nennende Union an einem entscheidenden kritischen Punkt angelangt. Denn nun gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder man einigt sich auf einen gemeinsamen Kandidaten - sei es Strauß, sei es Albrecht - oder die Spaltung ist besiegelt. Im letzteren Fall würde ein Machtwechsel in Bonn endgültig in weite Ferne rük-ken.

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