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Wurde Erhard uberrumpelt?

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Es scheint, als hätte es Erhard vor dieser Opposition mit der Angst zu tun bekommen. Diese hat insofern an Gewicht gewonnen, als es Barzel, der seit Brentanos Erkrankung Fraktionsvorsitzender ist, offenbar gelungen ist, die Fraktion der CDU/CSU auf seine Seite zu bringen. Jedenfalls zeigte Erhard plötzlich souveräne Gedächtnisschwäche, als er erklärte, er werde sich nicht noch einmal zu einem solchen Abkommen wie dem vom Dezember drängen lassen. Man tat in Bonn so, als habe sich Erhard von Brandt zu einem Abkommen überrumpeln lassen, dessen Folgen nicht durchdacht waren. Was Erhard selber noch im Dezember als großen Erfolg bezeichnet hatte, das war im Februar eine durch die Weihnachtsstimmung hervorgerufene Entgleisung, die man der SPD verdankte. Für die Stärke der Opposition in der CDU/CSU spricht, daß der wendige Schröder schon Mitte Jänner auf diese Linie eingeschwenkt war, indem er erklärte, er sei zur Zeit, als das Abkommen unterzeichnet worden war, zu sehr durch die EWG-Verhandlungen in Brüssel abgelenkt gewesen. Offenbar merkte man in Bonn nicht, welches Armutszeugnis da Ludwig Erhard ausgestellt wurde.

Neben Barzel war es besonders der Fraktionsvorsitzende der CDU in Berlin, Amrehn, der sich erbittert gegen eine Wiederholung des Passierscheinabkommens wandte. Amrehn vertrat die These, ein Gewöhnen an die Mauer würde in Deutschland die „blutende Wunde“ in Berlin vergessen machen. Daß Amrehn mit seiner Politik die CDU in Berlin in eine Sackgasse geführt hat, schien man in Bonn vergessen zu haben. Jedenfalls ließ sich die Bundesregierung von diesen Vorstellungen bestimmen: Am 6. Februar hatte sich Korber mit der Anwesenheit der Ostpostler in West-Berlin zu Ostern einverstanden erklärt. Wenige Tage später mußte er diese von Bonn genehmigte Erklärung zurücknehmen.

Die von Erhard dem Berliner Senat angesonne Desavouierung Korbers freilich unterblieb. Die Verhandlungen wurden bis nach Ostern unterbrochen.

Die Differenzen zwischen Bundesregierung und Berliner Senat wären vielleicht nicht so offenkundig geworden, hätte nicht Brandt in einer Rundfunkerklärung den Vorschlag gemacht, die verantwortlichen Männer der Bundesregierung, des Berliner Senats und der drei Parteien sollten sich zusammensetzen und Klarheit darüber suchen, „wie wir unserer Verpflichtung gerecht werden sollen, den von uns getrennten Landsleuten Erleichterungen zu verschaffen und ihnen mit mehr als mit Worten zu helfen“. Diese Erklärung rief eine geharnischte Gegenerklärung Erhards hervor, die vielleicht nicht ganz so scharf ausgefallen wäre, wenn Erhard ein besseres Gewissen gehabt hätte. Was Erhard so in Harnisch gebracht hatte, war Brandts Forderung nach einer neuen Berlinpolitik. Das entsprach zwar ungefähr der von Erhard im Dezember vertretenen Politik, stellte aber eine außenpolitische Aktivität dar, die dem Regierenden Bürgermeister von Berlin nicht zusteht und obendrein die Bundesregierung unter Druck setzte. Erhards gereizte Reaktion verriet eine innere Unsicherheit, die er bisher nicht gezeigt hatte. Wie nicht anders zu erwarten, einigten sich Brandt und Erhard am 6. März.

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