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Gerstenmaier auf Extratour

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Es schien eine Zeit lang unklar, auf welche Linie die Parteien im deutschen Wahlkampf einschwenken und welche Rolle die Berlinkrise dabei spielen würde. Seit Mitte Juli sind diese Zweifel behoben. Es wird einen Wahlkampf mit der ganzen Schärfe gegenseitiger Diffamierungen geben, wobei die Berlinkrise sozusagen ein schwer einzukalkulierender Faktor sein wird. Diese Entscheidung ist erst in der ersten Julihälfte und besonders am 16. Juli in Dortmund gefallen, wo Dr. Adenauer und seine Mannschaft die Parole für die letzte Phase des Wahlkampfes für die CDU ausgaben. Daß diese so kompromißlos scharf ausfiel, verdanken wir einer Episode, die, ungeschickt inszeniert und ebenso ungeschickt aufgenommen, für die ausgesprochen unbehagliche Situation verantwortlich ist, in der sich Westdeutschland heute befindet.

Der Bundestagspräsident tritt aus der Kulisse

Die von Dr. Adenauer schon seit langen Jahren mit dem ganzen Elan seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit vorgetragene These von der Regierungsunfähigkeit der SPD hatte diesmal in eigenen Kreisen Unbehagen hervorgerufen. Einmal, weil sie an sich einem Mann gegenüber nicht sehr glaubwürdig ist, der von Kennedy mit Auszeichnung behandelt wurde und neben Adenauer wohl der in der Welt bekannteste westdeutsche Politiker ist. Zum zweiten aber, weil eine solche innenpolitische Kampfsituation in der gegenwärtigen außenpolitischen Lage der Bundesrepublik wenig angebracht erscheint. Bundestagspräsident Doktor Gerstenmaier benutzte daher seine als sensationell empfundene, von allen Parteien gebilligte Abschlußerklärung des dritten deutschen Bundestages vom 30. Juni zu einer Demonstration der Einigkeit der deutschen Parteien gegenüber dem Berlinproblem. Darüber hinaus wies er in dieser Erklärung den Weg zu einer deutschen Initiative, indem er nicht mehr die abgenutzte und wenig besagende Formel ..Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit“ gebrauchte, sondern von einem Gesamtfriedensvertrag sprach und die Bereitschaft Deutschlands betonte, an der Lösung der Berlinkrise aktiv mitzuwirken. Er distanzierte sich damit von dem bisher eingehaltenen Standpunkt der CDU, diese Frage ginge nur die Westmächte an, die sich in Verträgen verpflichtet hätten, die Freiheit Westberlins zu erhalten.

„Gemeinsamkeit“ wenig gefragt

Die Folgen dieser Erklärung waren nun sehr zwiespältig. An sich schien diese Gemeinsamkeit ein Gebot der Stunde zu sein. Allein sie geriet sehr rasch in die von Parteitaktik beherrschte Situation, in der gemeinsame Erklärungen aller Parteien wenig gefragt sind. Solche Erklärungen mußten zwangsläufig Wasser auf die Mühlen des Berliner Bürgermeisters sein, der seinen ganzen Wahlkampf darauf aufbaut, die deutschen Parteien müßten gemeinsam an die Lösung dieser Frage herangeben. Hätte Gerstenmaiers Erklärung Schule gemacht, so wäre Brandt gleichberechtigt neben Adenauer gerückt. Gegen diese ungebetene , Umärmung des jungen Mannes setzt ja Adenauer; mit-jder gan?en Überzeugungskraft seines Alters und seiner Erfahrung die Parole ein, die SPD sei regierungsunfähig und es sei mit ihr auch keine Koalition möglich, ohne wesentliche Positionen aufzugeben, auf denen die Sicherheit Westdeutschlands beruhe. Adenauer durchschaute sehr viel klarer als Gerstenmaier die Wahltaktik Brandts, dessen Zurückhaltung und Fairneß wesentlich auf der Hoffnung aufgebaut sind, die Berlinkrise werde eines Tages Adenauer und ihn an einen Tisch zwingen und die Aden- auersche Wahlparole von selbst ad absurdum führen. Brandts Wahlkampfstrategie zielt daher auf eine möglichst enge Tuchfühlung mit dem großen alten Mann, als dessen Kronprinz er gerne erscheinen möchte. Bei dem letzten Berlinbesuch des Bundeskanzlers befand sich dieser geradezu auf der Flucht vor dem „zudringlichen jungen Mann“, der keine Gelegenheit ungenutzt ließ, um sich neben Adenauer photographieren zu lassen. Streng genommen, ist die Situation einigermaßen grotesk, in der unfreiwillig eine Partei der anderen die besten Wahlparolen liefert. Die CDU mit ihrer in der außenpolitischen Lage schwer verständlichen Betonung der grundsätz-

liehen, von den anderen Parteien geradezu leidenschaftlich geleugneten Verschiedenheit der Parteien. Die SPD. indem sie im Grunde genommen Adenauers Politik, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, für so richtig erklärt, daß sie selbst versichert, es ihm gleichtun zu wollen. Brandt nahm daher am 10. Juli die ihm von Ger- stenmaier unfreiwillig zugespielte Möglichkeit auf, die ihm bisher von der CDU verweigerte Einigkeit der Parteien zu demonstrieren. Mit Hinweis auf Gerstenmaiers Erklärung machte er am 11. Juli vor der Presse den Vorschlag von einem Friedenskongreß der 52 am Krieg gegen das Dritte Reich beteiligt gewesenen Staaten. Ob die Idee sehr glücklich war, bleibe dahingestellt. Nur zwang sie die CDU-CSU zur Desavouierung Gerstenmaiers und zu der starren, sowohl alles Gemeinsame mit der SPD wie jede außenpolitische Aktivität verleugnenden Haltung, wie sie Adenauer am 15. Juli in Dortmund propagierte. Damit legte er sich sowohl innen- wie außenpolitisch in einer Weise fest, die unter Umständen seine Aktionsfähigkeit bis zum 17. September gefährlich einengt. Diese Haltung der CDU war nicht ganz freiwillig, was in einem Wahlkampf immer eine etwas heikle Situation ist, sondern war durch die plötzlich erkennbar werdende Neigung eines Teiles der CDU ausgelöst, an die von Adenauer verkündete Regierungsunfähigkeit der SPD nicht ganz zu glauben. Damit hat aber Adenauer auch in der Berlinkrise gefährlich an Bewegungsfreiheit eingebüßt. Sein persönliches Ansehen und die Blößen, die sich Brandt im Wahlkampf bisher gegeben hat, verbürgen ihm den Sieg, wenn sich bis zum 17. September in der Berlinkrise nichts ereignet hat. Kommt es aber zu einer Verschärfung oder zu einer Lösung der Krise, bei der ein Beitrag Westdeutschlands nötig wird, so kann Brandt, der sich bislang von jeder Diffamierung seiner Gegner ferngehalten hat, eine Chance bekommen, deren Ausmaß schwer zu beurteilen ist. Es ist dann möglich, daß die Parole, die deutschen Parteien müßten sich in der Stunde der Gefahr zusammenschließen, situationsgerechter erscheint als die, man solle der alten Mannschaft vertrauen und jenen eine Abfuhr erteilen, die aus opportunistischen Gründen heute in Einigkeit machten, um morgen ihre alten Klassenkampfziele wieder hervorzuholen. Auch ist die Wirkung nicht vorauszusagen, die ein als regierungsunfähig apostrophierter Brandt erhält, wenn er plötzlich in der internationalen Politik zum Zuge kommt.

Gerstenmaier ließ erkennen, daß er im Grunde der Meinung der SPD zuneigt, daß diese Krise nur von den beiden großen Parteien gemeinsam gemeistert werden kann. Adenauer hingegen hat unmißverständlich zu erkennen gegeben, daß er in seiner künftigen vierten Amtsperiode die Berlinkrise allein lösen will. Es bleibt nur die Frage, ob ihm Chruschtschow und Kennedy die Zeit lassen oder ob Deutschland gezwungen wird, vor dem 17. September zu handeln. Jede Aktivität Deutschlands vor dem 17. September' erhöht die Chancen des Berliner Bürgermeisters.

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